Der Tag, wo Siegeshymnen singt das Volk, das heute
duldend schweigt,
Von seines Jammers Ries’ger Wucht in stummen
Schmerz dahin gebeugt;
S. 15
Der Tag, wo durch die Lüfte braust das Lied
des Dankes und der Lust,
Aufsteigend aus der Seele Grund, aus qualbefreiter
Menschenbrust;
Der Tag, an dem aus tiefem Staub ein neu’
Geschlecht sich kühn erhebt,
In dessen Herzen sitt’ge Kraft und reinste
Liebe pulst und bebt;
Das auf die Fahne des Triumphs, die es erhob, in
Flammen schrieb;
„Jedweder Arbeit ihr Genuß! –
Seid frei und gleich, und habt euch lieb!“ –
Indeß – bis diese Finsterniß uns
jenes Tages Morgenroth
Mit seinen goldnen Strahlen hellt – wir
harren aus im Kampf und Tod!
Wir harren aus, und halten hoch der Gleichheit
herrliches Panier:
Die Fahne unserer Partei! – Ihr leben und
ihr sterben wir!
Ob Sturm und Wetter sie umbraust, ob Feuer ihren
Flag umweht,
Und ob der Feind in unsre Reihn vernichtende
Geschosse sät:
Die Fahne hoch! Wir harren aus! – Wir wissen
doch, es kommt die Zeit,
Wo zu Triumph und Sieg sie führt die
Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit!
Gefängnis Garsten, 26. Dezember 1870
S. 16
Meiner Frau zum Neuen Jahr 1871
I.
Wie bald ist doch ein irdisch Jahr vergangen
Mit seinem schmerzlich-lust'gen Einerlei!
Das jagt und stürmt und tanzt an uns vorbei,
Wie sehr wir auch an der Minute Hangen! -
So wär' ich nun zehn Monde schon gefangen?
Mir deucht, daß es nicht halb so lange sei,
Und manchmal hiel ich's fast für
Träumerei -
Säh' ich den Himmel nicht durch eh'rne
Spangen!
Indeß die Zeit auf dem beschwingten Rosse
Unendlichkeit die kühnsten Flüge thut,
Zähl' ich mich geistig ihrer Bahn Genosse:
Ich wappne mich mit frischbehertzem Muth,
Und schmiede mir des Wissens Sprenggeschosse
In heißen Freiheitsdranges reinster Gluth! -
II.
Erwarte nichts von eitlen
"Wunsch"-Gedichten
Und Neujahrsgratulationsgeduldel:
Mir ist der Kern von einem solchen Pudel
Die abgeschmackte- und fad'ste der Geschichten! -
S. 17
Ich muß darauf bescheidentlich verzichten,
In ungenießbar-ellenlangem Strudel (*)
Ein glaubend, hoffend, wünschendes Gesudel
Zum Jahresschluß - wie's Mode - zu
berichten.
Wir wissen ja, was uns im Herzensgrunde
In unterschöpften Weisen tönt und
schlägt -
Denn es gemahnt daran uns jede Stunde;
Und tiefer fühlt, wer scheu im Busen hegt
Der zarten Sehnsucht süßdurchbebte
Kunde,
Als der sie stetig auf den Lippen trägt!
Garsten, 28. Dezember 1870
S. 17
Freiheitsgang
1. Wir schulden unser Leben jenen Zwecken,
In deren Werkstatt die Geschlechter nur
Arbeiter sind, Organe der Natur,
Die das Gesetz des Weltengeists vollstrecken.
2. Gewalt und Tod wie der Vernichtung Schrecken
Bezeichnen der Geschichte ew'ge Spur:
Es muß der Freiheit heiligste Kultur
Sich jeden Schritt mit blut'gen Leibern decken.
S. 18
3. Ob auch die besten stets der Streiter sanken,
Die ihrem kühnen Zuge sich gesellt -
Fortstrebend ist ihr Tritt und ohne Schwanken.
4. An ihrem Schild der Blitze Macht zerschellt,
Ihr wucht'ger Arm zerschmettert alle Schranken,
Und unter ihrem Gange bebt die Welt!
Gefängfniß Garsten, 1. Januar 1871.
S. 18
Unbesonnener Streik
Nun denn, ihr wackren Brüder,
Schmiedsgesellen,
Die ihr, der Plage müde, abgeputzt
Vom schweiß'gen Leib den Ruß, der ihn
beschmutzt,
Dem Meister Filz die Arbeit einzustellen;
2. Es kam just so, wie meist in solchen
Fällen:
Nachdem ihr hungernd wochenlang getrutz,
Sankt euch die Kraft; es hat zu nichts genutzt -
Und euer Lohnherr wird euch weiter prellen!
3. Ihr nahmt zu wenig eures Vortheils Acht;
Von anderen Gewerken habt an keinen
Der Brüder ihr vor eurem Schritt gedacht.
4. Um auszuhalten, müsst ihr euch vereinen!
Ob dann vor solcher festgeschloss'nen Macht
Der Meister nachgiebt? - Nun, das will ich meinen!
-
Gefängniß Garsten, 15. Januar 1871.
Was
fluthet und strömt durch die Straßen dahin (Männer der
Arbeit.) Mel.: Lützow’s wilde Jagd. Garsten, Januar 1871.
(In: Andreas Scheu. In: Deutsche Arbeiter-Dichtung. Eine Auswahl Lieder
und Gedichte deutscher Proletarier, Bd. 5, Stuttgart 1893, S. 19f.
Gefängnis Garsten, Februar 1871
London, April 1890
S. 27
Arbeiter-Mailied.
(Musik von Josef Scheu.)
1. Endlich sind des Winters Plagen
Wieder in den Bann gethan,
Und auf seinem Sonnenwagen
Stürmt der junge Lenz heran.
Aus des Hauses dumpfen Gängen
Lockt er uns zum grünen Hag,
Wo wir unter Laubgehängen
Und in Jubelchorgesängen
Feiern unsren Maientag!
S. 28
2. Was in eis'ger Nächte Grauen
Manchen Kämpfers Muth bedrückt -
Es zerfließt im Frühlingstauen,
Das die Menschenbrust entzückt!
Lichtentflammt is unser Denken,
Frei ist unsrer Herzen Schlag:
Laßt uns unsre Fahnen schwenken
Und die Sinne Aller lenken
Auf der Arbeit Maientag!
3. Laßt zur Festesstimmung heute
Alle Räder stille stehn:
Unsrer Seelen Festgeläute
Soll des Friedens Hauch umwehn!
Nichts kann unsren Geist bezwingen,
Wie die Welt auch dräuen mag.
Unter seinen mächt'gen Schwingen
Millionen sich umschlingen
An der Arbeit Maientag! -
4. Arbeitsbrüder aller Zonen,
Arbeitsschwestern, sei gegrüßt!
Wo der Freiheit Kämpfer wohnen,
Sei der Freiheit Mund geküsst!
Bis die Einheit unsrer Schaaren
Endet aller Knechtschaft Plag':
Laßt im ewig Wandelbaren
Uns der Herzen Gluth bewahren
Für der Völker Maientag! -
5. Es entflieht die schöne Stunde,
Es verrausch des Festes Schall.
S. 29
Flieg hin, du stolze Kunde,
Ueber'n ganzen Erdenball:
"Zählt auf uns im Sturmesgrollen,
Zählt auf uns im Wetterschlag,
Denn wir wissen, was wir wollen -
Einen großen, wonnevollen
Welterlösungs-Maientag!"
London, März 1890.
Maiengeist.
(Musik von Josef Scheu, Wien)
Es lag in schwerer Knechtschaftsfrohn das
Arbeitsvolk der Erde (S. 29-32), London April 1891
Tief in der Erde heißem Schooß
(Metallarbeiterlied), S. 32-35, Harrow, September 1891
Es ruhen deine lichbestrebten Schwingen (Dem
Angedenken der Kommune von Paris 1871; S. 35f.; Harrow, 15, Januar 1892
Wie schlich sie dahin, die lange Zeit (Stimmung)
S. 36-43); Harrow, 13. Dezember 1891.
Milde schließ, o Mutter Erde (Grablied), S.
44; Edinburgh, Oktober 1890.
Wiedererwacht sind das Licht und die Wärme
(Frühlingsruf), S. 45f., Harrow, Februar 1892.
Des neuen Lenzes Odem weht (Der Arbeitsvölker
Maienbund), S. 47f., Harrow, am 13. März 1892
Die du die Binde von dem Blick genommen
(Festgesang zum 25jährigen Gründungsfeier des
Arbeiter-Bildungsvereins Wien 1892. (Musik Josef Scheu), S. 49f.
Harrow, August 1892
Frühlingsboten
Ein Maifestspiel in drei Aufzügen.
Quelle:
Andreas Scheu. In: Deutsche Arbeiter-Dichtung.
Eine Auswahl Lieder und Gedichte deutscher Proletarier, Bd. 5,
Stuttgart 1893.