Sedanfeier
Am 1./2. September 1870 fand
bei der französischen Stadt Sedan die
entscheidende Schlacht im
Deutsch-Französischen Krieg statt, die mit der
Kapitulation der französischen Truppen endete.
Dieser Sieg bildete den Anlaß für die
nach ihr benannte Sedan-Feier, die in der
Kaiser-Zeit an jedem 2. September mit großem
Pomp gefeiert wurde. JOHANN MOST neben Bebel
beliebtester Agitator der organisierten
Arbeiterbe-wegung des 19. Jahrhunderts schildert in
seinen Memoiren eine dieser Feiern, die 1872 in
Chemnitz stattfand, aber einen anderen Verlauf
nahm, als von den Herrschenden geplant.
Eine gestörte Sedanfeier
(1872)
Johann Most
... Am 2. September
bemühte sich die Chemnitzer Bourgeoisie, ihren
Reichspatriotismus im hellsten Lichte zu zeigen.
Sie behängte ihre Häuser mit dreifarbigen
Lappen, machte damit jedoch wenig Effekt, weil die
sämmtlichen Arbeiter entweder gar nicht
flaggten, oder auf mein Anrathen alle ihre
Steuerzettel aneinanderklebten und zum Fenster
heraushängten. Auf dem Giebel jenes Hauses
aber, wo die „Ch. Fr. Pr.“
hergestellt wurde, wehten eine rothe und zwei
schwarze Fahnen, welche mehr Aufsehen erregten, als
alle Dekorationen der Protzen zusammengenommen und,
die bei den Einen grosses Aergerniss, bei den
Anderen aber Beifall erweckten.
Am Nachmittag gab es
Freikonzert auf den öffentlichen Plätzen.
Bis dahin war auch eine anonyme „Festzeitung“ erschienen und in den Händen von
zahlreichen Colporteuren, welche sie unter den
patriotischen Spaziergängern und in den
Philisterkneipen emsig verbreiteten. Rasch, wie der
Blitz, tauchten sie auf; eben so schnell
verschwanden sie wieder. Sie hatten ihre guten
Gründe dazu. Die ganze
„Festzeitung“ war von A bis Z ein
ungeheurer Hohn auf die Sedanerei. Gleich auf der
ersten Seite stand die Wacht am Rhein.
Dieselbe war jedoch nach der Crambambuli-Melodie
zu singen und hatte einen sehr boshaften Text, z.B.:
Ihr dauert mich, Ihr armen
Thoren;
Euch macht die Knechtschaft
wenig Pein;
Zu Sklaven seid Ihr auserkoren
Und meint dabei noch frei zu
sein:
Ihr könnet nichts, als
kläglich schrei`n
Das blöde Lied „Die
Wacht am Rhein“;
Die Wi-Wa-Wacht am Rhein,
Die Wacht am Rhein.
Dann kam wieder an einer
anderen Stelle ein „Soldatenlied“ zum
Vorschein, das auch nicht von schlechten Eltern
war. Es begann „Ich
bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne“.
Wie die Poesie, so war auch
die Prosa dieses, wie der Leser schon errathen
haben wird, durch mich veranstalteten literarischen
Fegefeuers. Man kann sich denken, wie über
dieses Flugblatt in den
Bourgeois-Wirthshäusern geschimpft wurde, als
es einmal gelesen und erkannt war. Das
Schönste kam aber erst Abends, wo
mordspatriotischer Fackelzug, reichstreuer
Massengesang, Festrede u. dgl. servirt werden
sollten.
Die Sozialisten versammelten
sich schon eine Stunde vor der angesetzten Fackelei
in der „Stadt Köln“. Die Arbeiter
strömten massenhaft herbei; denn in den
Fabriken war nicht gearbeitet worden. Nicht nur der
Saal war bald überfüllt, sondern auch die
benachbarten Strassen wimmelten von Menschen.
Diese Massen ordneten sich nun
in mehreren Marsch- Colonnen. An der Spitze einer
jeden Abtheilung wurde ein grosses Transparent
getragen, worauf zu lesen war:
„40.000 Todte auf
deutscher Seite, mehr noch erschlagene Franzosen;
die Verwundeten sind zahllos; und solche Schmach
bejubelt die Bourgeoisie. Nieder mit den
Mordspatrioten!“
Als man durch die Quartiere
der Plutokratie zog, glaubten die
„vornehmen“ Reichsschwärmer,
welche bereits alle Balkone und Fenster ihrer
Häuser besetzt hatten, der Festzug rücke
an. Flugs steckten sie ihre Illuminationen an,
brannten griechisches Feuer ab, schwenkten
Hüte und Taschentücher und brüllten
Hurrah! Jene in der Strasse liessen den
Sozialismus, die Internationale etc. leben; und da
die vom Festwein schon stark angesäuselten
„Herrschaften“ nicht sogleich richtig
verstanden, so riefen sie selber: „Hoch!
hoch! hoch!“ Endlich machte sie das
darüber entstandene allgemeine
Hohngelächter auf ihren Irrthum aufmerksam. Es
war aber zu spät; das Pulver war sozusagen
verschossen.
Auf dem Neustädter Markt,
wo die Loyalitäts-Posse zur Aufführung
gelangen sollte, stellten sich die Volksmassen so
auf, dass nur die Mitte des Platzes und eine
Strasse frei blieb, durch welche der Fackelzug zu
passiren hatte. Letzterer liess auch nicht lange
auf sich warten, war aber sehr kläglicher
Natur. Etwa 200 Feuerwehrleute trugen Pechfackeln.
An der Spitze marschirte eine Militärkapelle.
Die Mitglieder des Stadtrathes und diverse
Polizisten folgten.
Nachdem diese
Nachtwächter-Prozession den freigelassenen
Raum ausgefüllt hatte, wurde sie auch auf der
vierten Seite vom Volke umzingelt. Die Kapelle
intonirte die unvermeidliche „Wacht am
Rhein“, und siehe da, es brauste in der That
„ein Ruf wie Donnerhall“; die
ungebetenen Demonstranten sangen, dass die
Häuser erbebten. Doch welchen Text
benützten Die? O Schrecken! – der war
Most’s Proletarier-Liederbuch entnommen,
stammte von Greulich her und wies Strophen auf, wie
z.B. folgende:
„Heran, heran, Du
kühne Schaar!
Es bläst der Sturm, es
fliegt das Haar.
Ein Ruf aus tausend Kehlen
braust,
Zum Himmel hoch ballt sich die
Faust.
Es wirbelt dumpf das Aufgebot;
Es flattert hoch die Fahne
roth;-
Arbeitend leben oder
kämpfend den Tod!“
Nachdem dieser Leidenskelch
seitens der anwesenden Stadt- und sonstigen
Unräthe geleert war, bestieg der Festredner,
ein Realschulmeister, die Tribüne. Seinen
rethorischen Siegestaumel-Bandwurm vermochte er
aber nicht so ohne Weiteres abzutreiben. Von allen
Seiten ertönte jetzt nämlich die Parole:
„Auf, nach dem Schützenplatz! Most wird
sprechen!“
Und fort ging es nach dem
bekannt gegebenen Ziele. Festredner, Stadtrath und
Musik blieben einzig und allein zurück um ihr
Programm sich gegenseitig in Verzweiflung
einzutrichtern.
Draussen vor der Stadt, auf
dem Schützenplatze, standen die Proletarier
Kopf an kopf gedrängt und lauschten meinen
Worten, durch welche ich den Sedanfest-Schwindl in
unbarmherziger Weise geiselte und die
internationale Verbrüderung aller Völker
gegen Tyrannen und Ausbeuter predigte.
(Aus: John Most, Memoiren,
Erlebtes, Erforschtes und Erdachtes, Bd. 3, New
York, 19o5, S.16-19. Reprint: Hannover 1978,
Edition Kobaia.)
Siehe auch:
Werner Hinze, Johann Most und
sein Liederbuch. Warum der Philosoph der Bombe
Lieder schrieb und ein Liederbuch herausgab,
Zeitdokumente 1-3 des e.V. "Musik von
unten", Hamburg 2005.
Thematische Querverweise: