Handwerk, Handwerksburschen

Das Handwerksgesellen nach ihrer Gesellenprüfung für einige Jahre auf Wanderschaft gehen, hat seit dem Spätmittelalter tradition. In der Regel ist das auch ein Geben und Nehmen. Der Großteil derjenigen, die das betrifft, lernt andere Regionen oder andere Länder kennen und kann sich ein breiteres Spektrum unterschiedlicher Praktiken aneignen. In der bürgerlichen Gesellschaft angekommen, kann er die Hilfe, die er auf der Waltz erfährt anderen zurück geben.

Handwerksburschen haben im Laufe der Zeit ein je nach Profession bestimmtes Liedgut, in dem das jeweilige Handwerk gewürdigt wird, Rituale gepflegt und tradiert werden. Er war aber, besonders in jener Zeit, in der die öffentliche Kommunikation noch nicht so ausgebildet war wie heute, auch die Funktion eines Nachrichten Transporteurs. Und sozusagen so nebenbei verbreitete er auch politische Vorstellungen. Als solcher war er häufig Repressalien von der Obrigkeit ausgesetzt.

Handwerkerlieder
„Die Zunft ist die Verdichtung von Handwerksgebrauch und Gewohnheit, ist das was sich geziemt, und gehört zu diesem Zeitwort wie Vernunft zu vernehmen, wie Herkunft zu herkommen. Die Zunft ist wie wir sahen längst ausgelöscht, aber das Wort zünftig blieb und erscheint fast in jeder Unterredung auf dem Zimmerplatz. Es ist das ‚dritte Wort' des Zimmermanns!" So begann Eugen Weiss 1923 sein Kapitel über "Handwerksgebrauch und Gewohnheit" (Weiss, 1923, S. 93) Um der „Zimmerwelt das, was sie erst zu einer vollkommenen und ganzen Welt macht" heißt es später, fehlt "der Gesang der Himmel, der Sphären wie die Griechen das nannten". Dieser Gesang begleitet die zünftigen Gesellen auch heute noch. Ob auf seinen Wanderjahren in den Herbergen oder bei zusammentreffen mehrerer Gesellen irgendwo in der Fremde.
Handwerkerlieder können Lieder in der üblichen Volksliedtradition sein, die von besonderen Ereignissen handeln oder sich als oppositionelle Spottlieder über Meister oder die politische Situation lustig machen. Schon seit dem 16. Jh. sind derartige Verse überliefert (vgl. Steinitz, Bd. 1, S. 167ff.). Zu den Anfängen der organisierten Arbeiterbewegung zählen auch die Handwerker- bzw. Gesellenvereinigungen. Darüber hinaus werden die zünftigen Rituale vom Gesang oder dem Klatschen (in einem vorgegebenem Rhythmus klatschen zwei oder mehrere Handwerker ihre Hände zusammen) bestimmt.

Wir teilen allerdings nicht die Ansicht von Wolfgang Steinitz, zumindest die Ansicht, die er in seinen „Volksliedern demokratischen Charakters“ äußerte. Wir zitieren aus dem INOF 0 des e.V. Musik von unten:

Von 1954 bis zur "Wende" 1989 war das Arbeiterliedarchiv der DDR führend in der Aufarbeitung des Materials. In der Praxis wurden aber z.B. sogenannte "Rinnsteinlieder" und Lieder "der Bettler, Vagabunden, Dirnen usw." mit der Begründung, dass sie "zwar auch Opfer der Klassengesellschaft sind, aber nicht zum werktätigen Volk gehören" von jeder Bearbeitung ausgeschlossen (W. Steinitz Bd. 1, S. XXIII). Mit dem menschenfeindlichen Begriff "Lumpenproletariat" wurden zusätzlich eine nicht näher definierte Gruppe und deren kulturelle Artikulationen ausgegrenzt und somit einer wissenschaftlichen Analyse entzogen. Die soziopolitischen Auffassungen wurden in ihrer Einseitigkeit und mit ihren Fehlern auf die Liedforschung transponiert. Diese krampfhaften Versuche, ganz ähnlich denen der bürgerlichen Volksliedforschung, das "echte", "wahre" (mit welchem Attribut auch immer belegte) Volkslied zu suchen, zu finden und zu konservieren, verlagerten den Dogmatismus auf eine andere ideologische Ebene um ihn dort fortzusetzten. Das führte auf der einen Seite zu einer Idealisierung der Schöpfungskraft des Volkes (analog zu der des Arbeiters) auf der anderen zur Ignoranz oder gar Bekämpfung politischer wie philosophischer Gedanken. Verarbeitungen oder Impulse z.B. der anarchistischen Bewegungen, bestimmter Fraueninteressen oder der "Liga der Vagabunden" werden im wesentlichen nicht beachtet. Diese Art der Herangehensweise will MVU aufheben.

Wir habe daher ein eigenes Kapitel für die Lieder der Vagabunen oder wie sie sich häufig selbst nannten „Kunden“ und „Monarchen“: Vagabund Kunde Monarch (siehe hierzu auch: Werner Hinze, Lieder der Straße) Doch zuerst widmen wir uns den Liedern der Handwerksburschen. Beginnen wollen wir mit den Liederbüchern von Handwerker Vereinen aus den Jahren 1848 und 1859 (die Kapitel werden sukzessive mit Inhalt gefüllt).


Das Liederbuch des Berliner Handwerker Vereins von 1848
und seine beiden Nachfolger 1848 - 1859

Der Berliner Handwerkerverein

„Mit dem Beginn dieses Jahrs hat sich in Berlin unter den Handwerksgesellen ein Verein gebildet, dessen Zweck ist den Gesellenstand sittlich und geistig zu befördern.“ Das schrieb die Berliner „Allgemeine Zeitung“ in ihrer Beilag am Freitag, den 23. Februar 1844. In einer Fußnote ergänzte sie, dass „auch aus dem Hannover’schen […] von der Bildung solcher Vereine berichtet“ würde. Die bislang stattgefundenen Zusammenkünfte hätten sich einer regen Teilnahme erfreut. Allerdings gab es bereits Spaltungstendenzen .Ursächlich dafür sie der rasch Anstieg der Mitgliedszahlen der ursprünglich etwa 250 Gesellen (1845: 1341 und 1846: 2078). Die Räume in dem Gebäude der Sophienstraße 15 seien nicht mehr ausreichend gewesen. Doch scheine man die Probleme behoben zu haben. Man hätte zur Montagsveranstaltung alternativ eine weitere am Sonnabend eingerichtet.

§. 1 der Statuten des Berliner Handwerker-Vereins:
„Durch die Bildung eines Gesellenvereins soll einem mit der Bevölkerung Berlins wachsenden Bedürfnisse abgeholfen, Ehrbarkeit und Sitte im Gesellenstande bewahrt und vorbereitet und den Gesellen sämmtlicher Zünfte Gelegenheit gegeben werden, nicht nur zu ihrer größern Annäherung und Befreundung unter einander, sondern ganz besonders auch zur mehrern Ausbildung und Veredlung des Geistes und des Gemüths, zur Belehrung und Mittheilung von allgemein nützlichen Kenntnissen sowie endlich überhaupt zur Förderung alles dessen was zur wahren Bestimmung der Gesellen, als gute Staatsbürger, tüchtige Handwerksgehülfen und Meister noth wendig und wünschenswerth ist.“

Zum Vorwurf wurde dem Verein gemacht „daß er die Begünstigung der zünftigen Gesellen, deren Altmeister ihm mitvorstehe, grundsätzlich fest halte. Auch waren Gerüchte über pietistische Absichten des neuen Vereins in Umlauf gesetzt worden. Darum denkt man an Bildung anderer Gesellenvereine neben dem ‚zunftgemäßen.’“

Der Streit zwischen den wandernden, den dauerhaft am Ort lebenden Gesellen und auch den Meistern einerseits spielte künftig eine immer größere Rolle. Und auch die Angst der Regierenden hinterließ ihre Spuren. So war z.B. 1835 vom Innenminister ein Wanderverbot für Handwerksburschen nach „denjenigen Ländern und Orten, in welchen offenkundig Assoziationen, wodurch die öffentliche Ruhe im In- und Ausland bedroht oder gestört werden könnte, geduldet werden“, erlassen worden. (Hachtmann, S. 149) Besonders die Schweiz galt als Sammelplatz revolutionärer Ideen. Nicht zu erwähnen vergessen, wollen wir die prekäre Arbeitsmarktsituation zwischen zünftigem Leben und Industrialisierung

Hachtmann verweist darauf, dass bereits die „Selbstbezeichnung des Vereins“ es nahe lege, „eher von einer Art Bindeglied zwischen traditioneller Gesellenbewegung und moderner Arbeiterbewegung zu sprechen“. Jedenfalls war der Verein heftig in die Auseinandersetzungen im Jahr 1848 involviert, was letzten Endes zu seinem Verbot im Jahre 1850 führte. Der Versuch, den Verein 1859 erneut ins Leben zu rufen war dann nicht mehr von Erfolg gekrönt. Nichts desto Trotz spielt der Verein „als Keimzelle der späteren Arbeiterbewegung“ eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Doch an dieser Stelle müssen wir auf die Arbeiten verweisen, die sich ausführlich mit der Geschichte des Vereins und den Beginn der organisierten Arbeiterbewegung auseinandersetzen. Wir wollen uns in erster Linie den dichterischen und singenden Phänomenen des Vereins widmen.

Der Handwerker-Verein tat einiges zur Pflege des Gesanges und des poetischen Ausdruck. So gab er bereits 1846 einen Band mit Gedichten von Vereinsmitgliedern heraus, dem in den beiden folgen Jahren jeweils einer folgte. Auch, und das interessiert uns natürlich besonders gab er ein Liederbuch heraus, dessen zweite Auflage aus dem Jahr 1848 uns vorliegt, und das wir an dieser Stelle vorstellen wollen. Während dem Liederbuch „nur“ eine Widmung vorangestellt wurde, begannen die Gedichtbände jeweils mit einer kurzen Einleitung, die man durchaus als Rechtfertigung empfinden kann, die sich weniger politisch darstellte, da heißt es:
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