Die Wacht am Rhein
1. Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
2. Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
Und Aller Augen blitzen hell,
Der deutsche Jüngling, fromm und stark,
Geschirmt die heil’ge Landesmark.
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
3.Er blickt hinauf in Himmelsau’n,
Wo Heldengeister niederschau’n
Und schwört mit stolzer Kampfeslust:
„Du Rhein bleibst deutsch wie meine
Brust.“
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
4. „Und ob mein Herz im Tode bricht,
Wirst du doch drum ein Welscher nicht;
Reich wie an Wasser deine Flut
Ist Deutschland ja an Heldenblut.“
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
5. „So lang ein Tropfen Blut noch
glüht,
Noch eine Faust den Degen zieht,
Und noch ein Arm die Büchse spannt,
Betritt kein Feind hier deinen Strand.“
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
6. Der Schwur erschallt, die Woge rinnt,
Die Fahnen flattern hoch im Wind:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wir Alle wollen Hüter sein!
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Geschichte / Kommentar:
Im Jahre 1840 führte die Äußerung
des französischen Ministerpräsidenten Thiers, Frankreich
müsse seine Grenzen an den Rhein vorschieben, dazu, daß der
Fluß in den Mittelpunkt der Tagespolitik rückte.1 Poeten
unterschiedlichster Couleur brachten ihre Vorstellungen des
Zusammenhangs einer geeinten Deutschen Nation und des Besitzes des
Rheins in Versen zum Ausdruck. Der Rhein bekam symbolischen Charakter.
Nicht nur die reaktionären Kräfte waren
für die Einheit und nicht nur sie besangen den Fluß. Aber
wie so häufig in deutschen Landen hatten ihre Ergüsse den
größten Widerhall. Von den unzähligen Liedern und
Gedichten, die in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts den Rhein
besangen, war Der deutsche Rhein von Nikolaus Becker der beliebteste:
Sie sollen ihn nicht haben
den freien deutschen Rhein,
ob sie wie gier’ge Raben
sich heiser danach schrein,
so lang er ruhig wallend
sein grünes Kleid noch trägt,
so lang ein Ruder schallen
in seine Wogen schlägt!
Bereits im November 1840 schrieb der
einundzwanzigjährige Max Schneckenburger das siebenstrophige Lied Die Rheinwacht, das damals
noch nicht über einen Refrain verfügte. Die endgültige
Textfassung unter dem Titel Die Wacht am
Rhein stand nach diversen Änderungen,
nachdem Carl Wilhem, Pianist, Dirigent und Komponist aus Schmalkalden
(Thüringen) 1854 die Melodie und den Satz verfasste. Wilhelm
arbeitete „von 1840 bis 1865 im
preußischen Rheinland, leitet in Krefeld die
‚Liedertafel’ (Männerchor) und den gemischten
Singverein.“ Außerdem war er „Mitbegründer der
berühmten Niederrheinischen Sängerfeste.“3
Der aus dem schwäbischen Bürgertum
stammende Schneckenburger starb bereits mit 30 Jahren. Er konnte so
nicht mehr mit erleben, dass das Lied in den 60er Jahren des
neunzehnten Jahrhunderts mit Wilhelms Melodie zu der deutsch-nationalen
Hymne wurde. Die Wacht am Rhein begleitete unzählige Soldaten noch bis zum
2. Weltkrieg in den „heroischen“ Tod. Es gibt
unzählige Geschichten, in denen das Lied in Form eines
Sängerkrieges den Gegnern Furcht einjagte oder sie „in
Ehrfurcht verstummen ließ“. Darüber hinaus wurde das
Lied ein Stück Feierabendkultur des reaktionären
Bürgertums. Es wurde nicht nur in Schulen gesungen, sondern
gehörte an den Stammtischen zum festen Bestandteil des
Liedrepertoires.
Die Parodien
Die besondere Bedeutung des Liedes zeigt sich u.a.
auch in der großen Anzahl von Parodien innerhalb der
Arbeiterbewegung, die im 19. Jahrhundert zwar kaum eine eigene
musikalische Kultur aufbauen konnte, dafür aber eine ungeheuer
große Zahl von Dichtungen fabrizierte. Die Dichter waren meist
Agitatoren oder Redakteure der organisierten Arbeiterbewegung, wie im
folgenden belegt z.B. Hermann Greulich oder August Geib. Da die Lieder
gesungen werden sollten, war es notwendig, dass die Masse der Noten
unkundigen Arbeiter die Melodien kannten. Das erklärt auch die
häufige Nutzung alter Soldatenlieder. Darüber hinaus hatte es
aber auch den Zweck, bei behördlichen Repressalien (z.B.
Polizeieinsätzen) einfach auf den bekannten Text des jeweiligen
Liedes umzuschwenken. Eine weitere Möglichkeit ergab sich in der
von Johann Most geschilderten Demonstration. So entstand eine
situationsbedingte Parodierung zusätzlich zur textlichen Parodie.
Die erste uns vorliegende Parodie erschien 1869 in
einem kleinen Büchlein mit dem Titel: Social=
demokratische Lieder und Gedichte von Friedrich Polling, Arbeiter im
Selbstverlag. Polling, offensichtlich ein Lassalleaner, schreibt eine
von vielen Lobeshymnen auf den Arbeiterführer, hier verbunden mit
allgemeinen Forderungen und Auseinandersetzungen innerhalb der
organisierten Arbeiterbewegung in den 60er Jahren des
19. Jahrhunderts:
Während der Zeit der Sozialistengesetze
finden wir die folgende Parodie in einem sozialdemokratischen
Liederbuch, in der die repressiven Maßnahmen ironisch karikiert
werden.
Das folgende dreistrophige Lied haben wir dem
demokratischen „Liederbuch zum Gebrauch der Volksvereine. Hrsg.
von einer Kommission des Demokratischen Vereins in München,
Stuttgart 1895, Nr. 34, S. 37“ entnommen:
7. Es geht durch’s Land ein Schrei der Not:
(Die Freiheitswacht)
Die Freiheitswacht
Es geht durch’s Land ein Schrei der Not:
Des Volkes Freiheit ist bedroht.
Viel dunkle Raben fliegen schon
Und krächzen laut: Reaktion
Drum deutsches Volk sei auf der Hut,
Schirm’ fest und treu dein höchstes
Gut,
D’rum deutsches Volks, mein Volk, sei auf
der Hut,
Schirm’ fest und treu, ja treu, dein
höchstes Gut!
2. Die wen’gen Recht, die noch dein,
Beschneidet man und schränkt sie ein;
Das freie Wort wich der Gewalte,
Allmächtig herrscht der Staatsanwalt.
D’rum deutsches Volks nimm dich in Acht,
Halt’ fest und treu die Freiheitswacht!
D’rum deutsches Volk, mein Volk, nimm dich
in Acht,
Halt’ fest und treu, ja treu, die
Freiheitswacht!