Männer der Arbeit
1. Was fluthet und strömt durch die
Straßen dahin
In drängenden, schwellenden Massen?
Was breitet sich aus in dem saftigen Grün
Und schaaret sich dicht um die
Rednertribün’,
Daß der Platz kaum vermag sie zu fassen?
Wer sind die Gestalten in schlichter Tracht?
Männer der Arbeit, der Alles gestaltenden
Macht!
2. Wer spricht zu dem Volk’ von der
Bühne herab
In wahren und zündenden Worten?
Wer schildert ihm treu seiner Knechtschaft Grab,
Und zeigt ihm den siegenden Zauberstab,
Der ihm öffnet der Freiheit Pforten?
Wer sind die Gestalten in schlichter Tracht?
Männer der Arbeit, der Alles gestaltenden
Macht!
3. Wer zieht als Apostel durch’s ganze Land
Und predigt den darbenden Brüdern,
Dem schaffenden recht- und besitzlosen Stand
Das Klassenbewußtsein, das eherne Band
Und singt es in flammenden Liedern?
Wer sind die Gestalten in schlichter Tracht?
Männer der Arbeit, der Alles gestaltenden
Macht!
4. Wer ist’s, der zur Zeit, wo die Sitte
verfällt
In des Goldes entnervendem Schalten,
Der stumpfsinnig taumelnden, schwindelnden Welt
Erhobenen Arm’s gegenüber sich stellt,
Um die Fahe des Rechts zu entfalten?
Wer sind die Gestalten in schlichter Tracht?
Männer der Arbeit, der Alles gestaltenden
Macht!
5. Wer schaart sich um sie in begeistertem Zug
Und liebevoll kämpfendem Werben?
Wer thut ihrem Dienste sich nimmer genug,
Bereit, unter ihrem verheißenden Flug
Für die Sache der Menschen zu sterben?
Wer sind die Gestalten in schlichter Tracht?
Männer der Arbeit, der Alles gestaltenden
Macht!
Garsten, Januar 1871.
Geschichte / Kommentar:
Den Text schrieb im Januar 1871 Andreas Scheu
während seiner Haft in Garsten. Dieses Hohelied der
„Männer der Arbeit“ auf die Melodie von
„Lützow’s wilde Jagd“ ist in den meisten
Liederbüchern der organisierten Arbeiterbewegung aufgenommen
worden.
In Mosts beiden vorhandenen Liederbüchern
fehlt in der 1. Strophe eine Zeile, dort heißt es: „Was
breitet sich dicht um die Rednertribün’“. Es war im
Wesentlichen ein Lied aus der zweiten Hälfte des 19. Jh.
Warum Andreas Scheu als Autor in den
Liederbüchern nicht erwähnt wurde, entzieht sich unserer
Kenntnis.
Quelle:
Andreas Scheu. In: Deutsche Arbeiter-Dichtung.
Eine Auswahl Lieder und Gedichte deutscher Proletarier, Bd. 5,
Stuttgart 1893, S. 19f.
Johann Most, Neuestes Proletarier-Lieder-Buch von
verschiedenen Arbeiterdichtern, 3. verbesserte Aufl., Druck und Verlag
der Genossenschafts-Buchdruckerei Lindenstraße Nr. 9, Chemnitz
1873, Nr. 9;
Most’s Proletarier-Liederbuch. In
fünfter Auflage zusammengestellt und herausgegeben von Gustav
Geilhof in Chemnitz, 1875, Nr. 8;
Sozialdemokratisches Liederbuch. 8.
veränderte Aufl., Zürich, Verlag der Volks-Buchhandlung,
1885, Nr. 31;
Sozialdemokratisches Liederbuch. Sammlung
revolutionärer Gesänge, 12. Auflage, German Printing and
Publishing Co., London 1889, Nr. 36, S. 53f.
Max Kegel’s Sozialdemokratisches Liederbuch,
(3. Aufl.) Stuttgart 1891, Nr. 31;
Max Kegel’s Sozialdemokr. Ldb, (8. Aufl.),
Stuttgart, 1897, Nr. 34;
Hermann Schlüter, Sozialistisches
Arbeiter-Ldb, Chicago, o. J. (ca. 1906), Nr. 51;
Werner Hinze, Johann Most und sein Liederbuch.
Warum der Philosoph der Bombe Lieder schrieb und ein Liederbuch
herausgab, Zeitdokumente 1-3 des e.V. „Musik von unten“,
Hamburg 2005. Nr. 9, S. 41.
Noten:
Franz Magnus Böhme, Volksthümliche
Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert., Leipzig 1895, Nr. 63,
S. 52f.