Der Schachtmeister und der Budiker
1. Der Schachtmeister und der Budiker,
die werden immer dicker
von unserm verdienten Lohn, o weh,
im Sönke-Nissen-Koog, o weh.
2. Und kommt dann einst der Winter,
dann schreien Frauen und Kinder:
„Wo hast du deinen Lohn, o weh,
vom Sönke-Nissen-Koog, o weh?“
3. „Den Lohn kann ich nicht geben,
und kostet mir mein Leben,
den Lohn hab ich versoffen, o weh,
im Sönke-Nissen-Koog, o weg.“
4. Wir haben da einen Beamten,
der stinkt aus allen Kanten
nach lauter Lug und Trug, o weh,
im Sönke-Nissen-Koog, o weh.
5. Der Beamte soll sich was schämen,
einen Großenrader so zu quälen
für ach so wenig Lohn, o weh,
im Sönke-Nissen-Koog, o weh.
WB: Budiker = Gastwirt
Schachtmeister = Arbeitsleiter eines Abschnitts
Koog = durch Deiche gewonnenes und
geschütztes Marschland
Geschichte / Kommentar:
Das Lied vom Schachtmeister (Arbeitsleiter eines
Abschnitts), der seine Arbeiter schamlos ausbeutet, gibt es in
verschiedenen Berufszweigen, aber besonders bei den Erd- und
Wanderarbeitern. Mit dem Budiker (Gastwirt) zusammen hat er das Leben
der Wanderarbeiter in der Hand. Das abige Lied wurde 1937 in
Dithmarschen von G. Henßen aufgezeichnet.
Der Sönke-Nissen-Koog ist der jüngste
aller Bredstedter Köge. Zwischen Ockholm und der Hattstedter
Marsch bestand seit dem 16. Jahrhundert eine 11 km breite und 3-4 km
lange Wattbucht, die man seit 1742 planmäßig Stück
für Stück trockenlegte. Der letzte Abschnitt dauerte von 1924
bis 1926, aus dieser Zeit stammt unser Lied.
Der Ursprung dieses und vieler anderer Lieder
ähnlichen Inhalts reicht aber in die Zeit um 1860 zurück. Wie
in dem vorliegenden Lied, in dem es um die Eindeichung des
Sönke-Nissen-Kooges geht, schildern die älteren Varianten
ebenfalls die - äußer schlechten - Bedingungen bei der
Arbeit im Eisenbahn-, Straßen- und Kanalbau. In der Mitte des 19.
Jahrhunderts wurden in ganz Deutschland besonders aber in
Norddeutschland und Preußen viele Arbeitskräfte für
Erdarbeiten benötigt. Da nicht genug heimische Arbeiter vorhanden
waren, wurde diese Lücke durch Wanderarbeiter gestopft. Zu ihnen
gehörten auch jene, die sich in das enorme Kontingent der
lippischen Ziegler einreihten. In den neunziger Jahren wurden
zusätzlich besonders billige italienische, polnische, slowakische
Arbeitskräfte herangezogen.
Die vielfachen Formen der Ausbeutung der
Erdarbeiter durch Unternehmer, Schachtmeister, Quartiergeber oder
Budiker, die auch oft verantwortlich für die Massenquartiere
waren, dokumentieren auch die Notwendigkeit einer gewerkschaftliche
Bewegung, die in der Mitte des 19. Jahrhundert noch in den
Kinderschuhen steckte.
Einen Eindruck von den damaligen Bedingung geben
die „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen eines
Arbeiters“ eines Beteiligten (Karl Fischer): „O
Hüneburg … Wie brummten meine Knochen! Das war ein
Stück Arbeit, das will ich jedem versichern! Wer das nicht
mitgemacht hat, der kennt das nicht. Aber es ging alles nur um das
liebe Geld, das mußte man haben, das war der ganze Zwang, anders
war da keiner…“ Daß die Zusammenarbeit von
Schachtmeister und Budiker zu einem System in einem teilweise wie eine
Art Menschenhandel funktionierendem Arbeitsmarkt geworden war, macht
Fischer daran deutlich, daß der Budiker den Schachtmeister
„für seine Vermittlung mit drei Silbergroschen pro
Taler“ entschädigt.
Die Vielzahl der Varianten des Liedes vom
Schachtmeister, der sich schämen sollte, dokumentiert die
Bedeutung der Wanderarbeiter in jener Epoche und offenbart, daß
die Zustände eine allgemeine Gültigkeit gehabt haben. Die
vorliegende Fassung eines Liedes zu diesem Themenkomplex wurde
ausgewählt, weil sie über eine relativ klare Aussage und eine
der Problematik entsprechende Aggressivität in der Melodie
verfügt. Allerdings war die eher klagende Variante „Des
Morgens um halb fünfe“ das „einzige durch Raum und
Zeit weitverbreitete und äußerst beliebte Lied“
(Steinitz).
Weitere Lieder der Erd- und Wanderarbeiter sind:
Lieder:
Und kommt der liebe Winter (Steinitz Nr. 124 C, S.
296)
Der Schachtmeister und der Budiker (Steinitz Nr.
124 E, S. 297)
Der Schachtmeister und der Optiker (Steinitz Nr.
124 F, S. 298)
Des morgens om halb funfel (Steinitz Nr. 124 H, S.
299)
Zieglerlieder:
Quelle:
Wolfgang Steinitz, Dt. Volkslieder demokratischen
Charakters aus sechs Jahrhunderten, Berlin (Ost) Bd. 1, Nr. 124 Nr. 124
E, S. 297