Das erste Armen- und
Arbeitshaus Dessaus
Über das „erste
Armen- und Arbeitshaus Dessaus“ fand sich am
25. Oktober 1919 in der Beilage zur
„Anhaltischen Rundschau“ eine
Erinnerung an diese Errichtung, die mit einer
Lobpreisung des Fürsten Franz von Anhalt
einherging. Während seiner Regierungszeit ab
1758 machte sich Fürst Leopold III. Friedrich
Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) u.a. als
Aufklärer, Gründer der
Wörlitzer-Anlagen (Dessau-Wörlitzer
Gartenreich), eines Museums der Weltkulturen und
eines damals hervorragenden Armenwesens einen
Namen. Das besprochene Armen- und Arbeitshaus
brannte 1945 aus und wurde 1958 gesprengt. In dem
oben angesprochenen Zeitungsartikel heißt es
u.a.:
Im Jahre 1766 legte er den
Grundstein zur Erbauung eines Armen- und
Arbeitshauses hinter dem „Rondel“, und
der Bau wurde im Jahre 1770 vollendet. Der untere
Teil des ziemlich geräumigen Hauses war
größtenteils für die Zöglinge
und Arrestanten bestimmt, der übrige Raum
diente zur Aufnahme Armer, alter Leute und
Gebrechlicher. Auch Kinder von armen Eltern fanden
darin Platz, Voll- und Halbwaisen. Wir sehen also,
welche „gemischte Gesellschaft“ dort
sich zusammenfand und gewiß nicht immer
friedlich mit- und nebeneinander lebte.
Die Ueberschrift über dem
Eingang war Miseris et malis. Der Unterhalt des
Hauses wurde von verschiedenen Einnahmen
bestritten, denn das Land war arm wie sein
Fürst. Es kamen z. B. alle Geldstrafen der
Gerichte, die Innunsgelder, die durch die
Innungsbriefe bei dem Meisterwerden eingingen, wie
die Gesellen- und Lehrlingsgroschen bei dem
Lossprechen ihm zu gute. Eine gute Einnahmequelle
bildeten die Auszugsgelder der Juden bei Erhaltung
des Schutzbriefes, 10 bis 15 Taler. Auswärtige
Israeliten mußten sogar 500 Taler an die
Regierung abgeben, wollen sie dauernd in Anhalt
leben. Hundert bis 150 Taler warf die Steuer der
Handwerksburschen ab, die 2 Groschen zu zahlen
hatten, wenn sie sich bei der Zunft um Arbeit
bewarben. Das Fehlende, was natürlich viel
größer war als die vorstehenden
Einnahmen, deckte der Fürst und die
Fürstin aus ihrer Privatschatulle. […]
Die Oberaufsicht nach der
Vollendung hatte der Regierungspräsident
Stubenrauch und dessen Sohn, der Bürgermeister
Dessaus. Tätig an der Zeitung des Armen- und
Arbeitshauses war ein Arbeitsmeister. Er leitete
die Arbeit der Kinder, verschaffte die Wolle zur
Spinnerei und lehrte auch die Kinder die damals
viel geübte Kunst. Ein nach damaligen
Begriffen tüchtiger Schulmeister leitete die
Unterrichtsstunden der Knaben und Mädchen und
hielt die üblichen Betstunden ab.
Zur Verwahrung der Gefangenen
wir für renitente Insassen sorgte der
sogenannte Zuchtknecht. Diese drei Bediensteten
wohnten in der Anstalt, bezogen ein kleines Gehalt,
freie Wohnung, Holz und Licht.
Auch zwei Waisenmütter
und vier Armenvögte waren im Haus
untergebracht, sie hatten ebenfalls Wohnung,
Feuerung und Licht frei, den Lohn und die Kleidung
zahlte die Fürstliche Rentenkammer.
Eine der Waisenmütter war
zugleich als Krankenpflegerin vorgesehen, der
Anstaltsarzt war Herr Hofrat Kretschmar, die
Arzeneien lieferten die Apotheken auf
fürstliche Rechnung. Für die Verpflegung
der Arrestanten sorgte das Gericht, die
Züchtlinge, ingegen mußten sich den
Unterhalt durch eifriges Wollespinnen verdienen,
solange es ihre körperlichen Kräfte
hergaben.
Im unteren Stock, dessen
Fenster mit starkem eisernen Gitter verwahrt, waren
die Wohnstuben des Arbeitsmeisters, durch dieselbe
war der Eingang zur Arbeitsstube der Frauen und
Mädchen, die aus mehreren bretternen
Verschläge bestand, die auch die Schlafstellen
der Insassen bargen. Links von dem Eingang war die
Wohnstube des Zuchtknechts und hinter derselben die
Stube der männlichen Gefangenen, mit 7
besonderen Behältnissen, deren Türen in
die große Stube mündeten. Nach dem Hof
lag eine große geräumige Küche, wo
die Bediensteten und die Armen, die im Hof wohnten,
kochten.
Im Keller befanden sich drei
gewölbte und wohlverwahrte Gefängnisse,
für schwere Verbrecher, dem gegenüber die
Wirtschaftskeller.
Rechts im zweiten Stock, so
lang als die Hälfte des Hauses, lag der
gemeinsame Spinnsaal, wo die Armen Licht und
Wärme umsonst genießend, mit den
größeren Kindern Wolle auf
holländischen Rädern spannen. Dahinter
lag die Schul- und Wohnstube des Lehrers mit
kleiner Schlafkammer. Hier genossen die Kinder
wechselweise den bescheidenen Unterricht, ein
Bissel Schreiben und Rechnen.
Auf der anderen Seite nach der
Straße befanden sich die Zimmer der
Waisenmütter und der ihnen untergestellten
Mädchen. In gleicher Etage die Gerichtsstuben
zu dem Verhören der Gefangenen dienend, die
zwei getrennten Krankenstuben für Männer
und Frauen. Eine Stube für sich allein halten
die Blödsinnigen, meist Kinder in jungen
Jahren.
Hinter dem Hause, dessen
Breite einnehmend, war ein schöner
großer Hof mit Kastanien und Linden
bepflanzt, mit zwei großen Einfahrten. Hier
spielten sich die Erholungsstunden ab und das
frische Luftatmen der Gefangenen, ebenfalls das
Spiel der Kinder.
Ein Hinterflügel war
für Wohnräume von kranken Bettlern
bestimmt. Darin befand sich auch der Armen- und
Siechenvogt untergebracht, wie die Totenkammer.
Hinter dem langen Hintergebäude lag der
große Garten, der bis an die Stadtmauer ging
und mit Obst und Gemüse bepflanzt war, was den
Insassen zugute kam und gleichmäßig
verteilt wurde.
Eingeweiht wurde das Stift mit
170 Armen, Gefangenen, wie Kinder. Den Armen war es
erlaubt, sich neben der Gabe aus der Almosenkasse
noch etwas zu verdienen. Sie erhielten 8 bis 10
Groschen. Den Lohn der Kinder empfingen die Eltern
als Zubuße für den Lebensunterhalt.
Ueber den Verdienst der Waisen wurde Rechnung
geführt und in dessen Beisein in das
„Waisenbüchlein“ angeschrieben und
so für die Kinder gesammelt, um bei ihrem
Abgang aus dem Armenhause ein leichteres Fortkommen
zu ermöglichen.
Die Konfirmanden besuchten den
Unterricht an der Johannis- und Georgenkirche. Die
Pfarrer dieser Kirchen spendeten auch allen
Einwohnern der Anstalt und den Stadtarmen, die aus
Mangel an anständiger Kleidung die Kirche
nicht besuchen konnten das heilige Abendmahl 20-30
Mal im Jahre. Am Abend war Betstunde, die der
Schullehrer abhielt, ein Glockenzeichen bestimmte
den Anfang. Alle Bewohner, so sie nicht durch
Krankheit oder Gefängnisstrafen behindert,
mußten sich einfinden. Ein Gesang
beschloß die kurze Andacht und den
arbeitsreichen Tag der Insassen. Die Gründung
und diese Schöpfung des Fürsten Franz
schränkte natürlich das Betteln in der
Stadt, sowie das Almosengeben sehr ein und leitete
es in richtige Bahnen.
Aus: Unser Heimatland, Beilage
zur anhaltischen Rundschau, 25. Oktober 1919.
Lieder zum Thema Arbeitshaus,
Arbeitskolonie usw.
Drei Winter, vier Sommer (Im
Arbeitshaus)
Ist Dir vielleicht der kleine
Ort (Plötzensee)