Arbeitshaus („linke
Winde“)
Hinter dem Begriff verbirgt
sich eine eben solche Vielfalt wie hinter jener des
„Armen- und Arbeitshauses“. Das Prinzip
eines Arbeitshauses war seit der ständischen
Gesellschaft des Mittelalters mit den
unterschiedlichsten Institutionen verbunden:
Armen-, Bettel-, Werk-, Korrektions-
(Nachbesserungs-), Landarbeits-, Irren- oder
Zuchthäuser ebenso wie Spitäler. Arbeit
war im Rechtssystem des 17. und 18. Jh. Strafe und
Disziplinierung gleichermaßen.
Die A. dienten der
Disziplinierung ebenso wie der Erwirtschaftung der
Kosten, die für die Betroffenen entstanden.
Die Armen wurden in zwei Gruppen unterschieden.
Während die arbeits- und integrationswilligen
Sesshaften als „gut“ empfunden wurden,
waren jene Menschen, die sich von der Bettelei
ernährten oder durch das Land walzten mit
einem Makel versehen. Die Differenzierung
resultierte einerseits daraus, dass die jeweilige
regionale Fürsorge ihre Kosten auf ein Minimum
reduzieren wollte und andererseits aus dem bis 1871
vorherrschenden Prinzip des
„Heimatrechts“. Das meint, dass der
Anspruch auf Unterstützung durch Geburt oder
Aufnahme in die Gemeinde als Bürger oder
Beisitzer erworben wurde. Das Heimatrecht galt auch
bei vorübergehender oder dauernder Abwesenheit
vom Heimatort, sofern das Bürger- oder
Beisitzerrecht nicht in einer anderen Gemeinde
erworben wurde.
Nach der Reichsgründung
galt für die Unterstützung in allen
Landesteilen das „Wohnsitzprinzip“, wie
es sich aus der preußischen Gesetzgebung
ergab. Danach war die Gemeinde des Aufenthaltsortes
zur Armenunterstützung verpflichtet. Diese
Veränderung war eine Anpassung an die Folgen
der Industrialisierung und deren erzwungener
Mobilität der Arbeitssuchenden in Deutschland.
Das Arbeitshaus entstand aus
Einrichtungen der Armenfürsorge des 17. bis
19. Jh. wie z.B. Armen- oder Bettelhäuser. Es
wurde für fast ein Jahrhundert als
„Zwangsarbeitshaus“ zum Kernstück
einer repressiven Nichtsesshaftenpolitik. Die
Unterbringung in eines dieser Häuser konnte
ebenso nach einer Haftstrafe stattfinden wie zur
Bestrafung von unerlaubtem Vagabundieren oder
Bettelei. Die Insassen galten unter den Kunden als
die unterste Schicht der nichtsesshaften
Bevölkerung. Wer dort angelangt war, hatte
meistens das ausweglose Endstadium seiner
Nichtsesshaften-Biographie erreicht. Der
Prozentsatz arbeitsunfähiger Insassen war
außerordentlich hoch. 1912 gab Jarotzky in
einem Vortrag vor dem Gefängnisverein in
Köln die unbeschränkt arbeitsfähigen
mit „kaum 25%“ an. (Scheffler, S. 66)
Während der
nationalsozialistischen Terrorherrschaft wurde das
Arbeitshaus durch das Gesetz vom 24. November 1933
in erster Linie zur Sicherungsanstalt mit
Verbindung zu den Konzentrations- und
Vernichtungslagern. Das Gesetz über die
„Besserungs- und Sicherungsanstalt“
fiel erst 1969 mit Inkrafttreten des 1.
Strafrechtsreformgesetzes weg.
Hans Ostwald schilderte in
seinem autobiografischen Roman unterschiedliche
Reaktionen auf die Bedrohung
„Arbeitshaus“. Ein Kunde wollte z.B.
lieber nach Österreich, da er dort nicht
gleich „schieben“ (ins Arbeitshaus)
musste wie in Deutschland. Ein anderer begann
allein aufgrund der Vorstellung, in „die
linke Winde“ eingeliefert zu werden, eine
abenteuerliche Flucht und ein dritter meinte
rückblickend auf die Zeit in einem derartigen
Haus: „Na, is das etwa ne Schande?“.
Literatur:
Franke, Walter (Hg.): Dieser
Stat Armenhaus zum Bethen und Arbeyten. Geschichte
des Armenhauses zu Bremen 1698-1866 mit weiteren
Beiträgen zur bremischen Sozialgeschichte,
Bremen 1979
Bergmann, Alfred: Das
Detmolder Zuchthaus als Stätte von Christian
Dietrich Grabbes Kindheit und Jugend. Zugleich ein
Beitrag zur Geschichte des Strafvollzuges in Lippe
an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten
Jahrhundert, Detmold 1968
Bergmann, Klaus (Hg): Schwarze
Reportagen. Aus dem Leben der untersten Schichten
vor 1914: Huren, Vagabunden, Lumpen, Reinbek bei
Hamburg 1984
Militzer-Schwenger, Lisgret:
Armenerziehung durch Arbeit. Eine Untersuchung am
Beispiel des württembergischen
Schwarzwaldkreises 1806-1914. Untersuchungen des
Ludwig-Uhland-Instituts der Universität
Tübingen, Bd. 48, Tübingen, 1979
Vereine gegen Armut und
Bettelei
Die „große
Depression", die seit den 1870er Jahren das
deutsche Wirtschaftleben dominierte, brachte in den
1880er Jahren die "Vereine gegen Armut und
Bettelei" hervor. Ihr Ziel war es, einer
Ausbreitung des unkontrollierten Bettelns durch
zentral organisierte private Wohltätigkeit
entgegenzuwirken. Ein Schild an der Tür sollte
die Bettelnden darauf aufmerksam machen, dass das
Anklopfen sinnlos sei. Wer über eine
entsprechende Legitimation verfügte, sollte
zur Zentralstelle gehen und sich von den
Beiträgen der Mitglieder helfen lassen. Der
Gedanke verlief sich jedoch bereits nach einigen
Jahren im Sande und blieb eine kurzlebige
Zeiterscheinung besorgter Bürger.
Der Amerikaner Josiah Flynt
Willard schrieb zum Ende des 19. Jhs. über
eine Begegnung mit einem der Mitglieder: "Am
vierten April um Mittag kam ich mit Karl in
Braunschweig an. (...) Ein Mann, den er heimsuchte,
war Mitglied des Vereins gegen Verarmung und
Bettelei und hatte das betreffende Schild an seiner
Türe angebracht; aber er benahm sich doch
gegen Karl als barmherziger Samariter. Dies
interessiert mich außerordentlich, denn ich
hatte von dieser Gesellschaft, ihren Mitgliedern
und ihrem Erfolg im Kampf gegen das Vagabundentum
viel Gutes gehört. Ich fragte mehrere Kunden,
was sie von dem Verein hielten. Einer
erklärte, daß er die Mitglieder immer
aufsucht - wenigstens die, welche das Schild an
ihrer Türe hätten - denn man würde
ebenso oft gut behandelt wie nicht. Andere ergingen
sich in drastischen Kritiken und sagten, der Verein
würde einen eher verhungern lassen, ehe er
einem ein Stück Brot gäbe. Ich glaube,
Karl traf das Richtige, als er sagte, daß
einige Mitglieder des Vereins Bettlern etwas
gäben, und andere nicht, so daß also
alles vom Zufall abhinge."
Die Geschichte der Vereine hat
sich im Lied aber noch bis in die 1930er Jahre
erhalten. Ein Beispiel dokumentierte J.
Rügheimer 1931 - leider ohne einen Hinweis auf
die Melodie:
"Zwei dufte Kunden zieh'n
von Haus zu Haus,
In dem guten Glauben, sie
schlagen etwas 'raus.
Aber leider ist das nicht der
Fall,
Denn an den Türen steht
dort überall:
[Refrain:]
Hier wohnt ein Mitglied von
dem Verein
gegen Armut, Not und
Bettelei'n.
Hier wohnt ein Mitglied von
dem Verein,
Gegen Armut, Not und
Bettelei'n …"
Siehe auch: