Ich wurde am 27. Januar 1844 in Wien geboren. Mein
Vater, der Sohn katholischer Eltern, war als Möbelschreiner und
Zeichner von Koblenz am Rhein nach Oesterreich eingewandert, und meine
Mutter war die Tochter eines ungarischen Potestanten, der in Wien ein
Weib gefunden und eine Familie gegründet hatte. Da meine Mutter
keine Glaubensverschiedenheit unter uns Kindern haben wollte, so
leistete sie auf das Recht, die Mädchen protestantisch erziehen zu
können, Verzicht, und die zwei Schwestern wurden gleich uns drei
Brüdern der katholischen Pfarrschule anvertraut. Ich trat dort mit
meinem fünften Jahren ein und mit meinem zehnten wieder aus und in
die Kommunal-Realschule, deren zwei untere Klassen ich mit gutem
Erfolge absolvirte. Daß der Erfolg keinen besseren namen bekam,
war wohl vorwiegend meinen „Sitten“ zuzuschreiben, die der
Herr Schuldirektor als „kaum genügend“ zu bezcihnen
sich veranlaßt fand. Ich merkte nämlich nicht blos auf das,
was die Professoren sagten, sondern auch auf ihre Manieren und
nationalen Accente, ihre Gewohnheitsphrasen und Bewegungen, die ich
dann in den Unterichtspausen einer beifallstürmenden Klasse zum
Besten gab. Als der Herr Direktor davon erfuhr, ließ er meine
gute Mutter rufen und rieth ihr, mich doch lieber zu einem
„tüchtigen Meister“ in die Lehre zu geben, welchen
Rath sie auch befolgte.
Ich sollte Vergolder werden und lernte bald, daß nicht Alles Gold war,
was da glänze. Die Werkstätte bot mir wohl der Arbeit genug,
aber des Unterrichtes zu wenig, und ich nahm Zuflucht zur
Gewerbeschule, die ich an Sonntagen regelmäßig genug
besuchen durfte. Die Abendklassen der Wochentage aber mußte ich
oft versäumen, da wir bis spät schafften, und nicht selten
sogar ganze Nächte durcharbeiten mußten. In der Sonntagsschule übte
ich zeichnen und lernte Modelliren, und erwarb mir dadurch eine
große silberne Preismedaille. Noch vor Ablauf meiner
vierjährigen Lernzeit starb mein Vater. Als Gehilfe arbeitete ich
eine Zeitlang in Wien und Prag, von welch letzterer Stadt mich die
zunehmende Krankheit meiner Mutter wieder zurückkehren hieß.
Nach dem Tode der Mutter blieben wir Geschwister noch einige Jahre
beisammen, und ich fand beständige Arbeit in der bedeutendsten
Wiener Bilder- und Spielrahmen-Fabrik als Zeichner und Modelleur. In
dieser Stellung verheirathete ich mich im Mai 1867, im Alter von
dreiundzwanzig Jahren.
Wenige Monate später erhielt ich über
Verwendung meines liebenswürdigen Arbeitgebers, Herrn Benedikt
Kölbl, vom niederösterreichischen Gewerbeverein ein
Stipendium zum Besuche der Pariser
Industrieausstellung, wo ich, im Verein mit
zwanzig anderen auserwählten jungen Leuten, zum ersten Male in die
Wunder der Weltmarkt-Produktion staunenden Einblick nahm. Meine
politisch-ökonomischen Ansichten waren damals noch zu
unentwickelt, um mich in Paris zum Eingehen diesbezüglicher
Verbindungen zu veranslassen; doch war mein Bericht über jene
Ausstellung und über die Rolle, welche das offzielle Oesterreich
auf derselben gespielt, radikal genug abgefasst, um der Kammer den
Abdruck desselben als unthunlich erscheinen zu lassen.
Kurz nach meiner Heimkehr von Paris wurde ich in
den Strudel der Arbeiterbewegung gezogen. Die Wogen derselben gingen
hoch, da der Besitz einer Verfassung und eines entsprechenden
Versammlungsrechts dem österreichischen Volke ein ungekanntes und
darum reizendes Gefühl war. Ich hörte vom Sozialismus zum
ersten Male auf der großen Volksversammlung am 26. Dezember 1867, wo die Staats- und
Selbsthilfler gewaltig aufeinanderplatzen. Von Stund’ an
gehörte ich der Sache .
Ich schloß mich dem Arbeiterbildungsvereine
an, verschlang die Schriften von Lassalle, vertiefte mich in jene von Marx und nahm endlich an den
öffentlichen politischen Versammlungen theil. Bald fühlte ich
mich in den Vordergrund der Aktion gedrängt; ich
vernachlässigte meine Erwerbsgeschäfte und widmete mich mehr
und mehr den Pflichten des Parteikampfes. Im Jahre 1869 war ich einer der
österreichischen Delegirten auf dem Kongreß
zu Eisenach. Dann kam die Demonstration des
13. Dezember vor dem österreichischen Reichsrathsgebäude,
für deren Erfolg ich in den Provinzen thätig war. Am 1. Januar 1870 übernahm
ich mit H. Oberwinder die Redaktion des „Volkswille,“ und am 2. März desselben Jahres wurde ich
auf Anklage des „Hochverraths“ verhaftet. Das Beweismaterial schrumpfte zwar
gemach auf die Mitgliedschaft an der sozialdemokratischen Partei
zusammen – allein nach langer Untersuchungshaft wurde ich am 19.
Juli 1870 mit meinen Genossen Oberwinder, Pabst und Most des genannten Verbrechens für schuldig befunden und
zu fünf Jahren Kerker verurtheilt. Im Oktober wurde ich und
Oberwinder nach der Strafanstalt Garsten abgeführt. Der
Regierungsantritt des Ministeriums Hohenwart macht unserer Haft ein
Ende, da wir in die für die czechischen
Staatsrechts-Hochverräther nothwendig gewordene Amnestie mit
einbezogen wurden, und am 9. Februar 1871 kehrten wir wieder auf unsere
Posten zurück.
In den zwei folgenden Jahren meiner
Agitationsthätigkeit kam ich selbstredend wiederholt mit den
Behörten in Konflikt, wurde in Reichenberg und Pest verhafte und hatte verschiedene Freiheitsstrafen zu
überstehen. Für die Redaktion des „Volkswille“
war ich verantwortlich bis zum Sommer 1873, wo der Abfall
Obersinder’s eine Spaltung der Partei veranlasste
und mich zwang, in Wiener-Neustadt ein neues Parteiorgan, die „Gleichheit,“
herauszugeben.
Die Ehrenbeleidigungsklage, welche Oberwinder
gegen mich als Redakteur der „Gleichheit“ Anfangs 1874
anstrengte, nahm einen für den Kläger
verhängnißvollen Ausgang, denn ich wurde von den
Geschworenen einstimmig freigesprochen.
Nach dem glücklichen Ausgang dieser Sache
fühlte ich mich ebenso berechtigt wie verpflichtet, meine
wirthschaftliche Lage in Betracht zu ziehen. In meinem
Berufsgeschäfte konnte ich leider in Oesterreich keine Verwendung
mehr finden; und als ich auf einer Besuchsreise in Brüsau (Mähren)
verhaftet, von da nach Zwittau und Prag geschleppt und endlich von dort als „erwerbs- und
besitzloser Vagabund“ auf eigene Kosten nach Wien
zurückdirigirt worden war, da kam ich zu dem Schlusse, daß
meines Bleibens „zu Hause“ nicht mehr sei, und ich reiste
im Juni 1874
nach England.
In London war es mir schwerer, als ich erwartet
hatte, in meinem Fache dauernde Verwendung zu finden. Ich schloß
mich der deutschen Sektion der Internationale an und arbeitete mit an deren Vereinigung mit den dortigen Lassalleanischen Elementen. anfangs 1875 ging ich nach Schottland, wo ich in Glasgow Stellung fand. Von dort übersiedelte ich nach Edinburg, wo ich bis 1880
verblieb. Im vorhergegangenen Jahre hatte J. Most in London die
„Freiheit“ gegründet, die sich anfangs auf den Boden
des kommunistischen Manifests gestellt, und die Hoffnung, mit ihm
gemeinsam erbeiten zu können, hatte mich veranlasst, meine
Edinburger Stellung aufzugeben und nach London zu kommen. Als Most aber
in „Anarchismus“ zu machen anfing, trennt ich mich von ihm und wurde in
Folge dessen von ihm und seinem Anhang als
„Abtrünniger“ und „Verräther“ in den
Bann gethan. Seither bin ich als Vertreter ausländischer Firmen
hier thätig gewesen. In meiner freien Zeit wandte ich mich der
englischen Arbeiterbewegung zu, war Mitglied verschiedener
sozialistischer Körperschaften und Mitarbeiter an Zeitschriften
derselben Richtung. Eine sozialistische Partei giebt es in England noch
nicht; doch ist eine solche im Werden, und ich schätze mich
glücklich, an der Gestaltung derselben thatkräftig mitwirken
zu können.
London, November 1892.
Andreas Scheu
Lieder und Gedichte
Arbeiter-Bundeslied (Arbeiter, auf, und
schließt die Hände) Mel.: Josef Scheu, Wien März 1869
– S. 3
Die Arbeit (Wohin, o Mensch, dein Auge sieht) Mel.:
Josef Scheu; Gedichtet zur Eröffnung der ersten
österreichischen Arbeiter-Industrie-Ausstellung in Wien, 1869
(April 1869) – S. 5
An Josef Krosch (Du sankst dahin in Deines Lebens
Blüthe) – S. 6
Sehnsucht nach der Freiheit (Wie pflege ich doch
des müß'gen Geschau's) – S. 7
An T. W. (Es gleicht mein Herz in seiner Liebe
Ringen) – S. 11
An Freund J. M. („Die Lust war groß,
drum ist das Leid unsäglich!" – S. 12
Sy.vester (1870) – (Das Jahr verrinnt
- im Sterben liegt' - es tritt ein neues in den Plan) – S. 13
Meiner Frau zum Neuen Jahr 1871 (Wie bald ist doch
ein irdisch Jahr vergangen) – S. 16
Freiheitsgang (Wir schulden unser Leben jenen
Zwecken) – S. 17
Unbesonnener Streik (Nun denn, ihr wackren
Brüder, Schmiedsgesellen) – S. 18
Juchhei, Achtstundentag (Herbei, ihr lieben
Werkgenossen) Mel. Crambambuli; London, April 1890 – S. 25-27;
Arbeiter-Mailied (Endlich sind des Winters Plagen)
– S. 27
Maiengeist (Es lag in schwerer Knechtschaftsfrohn)
London April 1891 – S. 29-32,
Metallarbeiterlied (Tief in der Erde heißem
Schooß) Harrow, September 1891 – S. 32-35,
Dem Angedenken der Kommune von Paris 1871 (Es
ruhen deine lichbestrebten Schwingen) Harrow, 15, Januar 1892
– S. 35f.
Stimmung (Wie schlich sie dahin, die lange Zeit)
13. Dezember 1891 – S. 36-43
Grablied (Milde schließ, o Mutter Erde)
Edinburgh, Oktober 1890 – S. 44
Frühlingsruf (Wiedererwacht sind das Licht
und die Wärme) Harrow, Februar 1892. – S. 45r.
Der Arbeitsvölker Maienbund (Des neuen Lenzes
Odem weht) Harrow, am 13. März 1892 – S. 47f.
Festgesang (Die du die Binde von dem Blick
genommen) (Festgesang zum 25jährigen Gründungsfeier des
Arbeiter-Bildungsvereins Wien 1892. (Musik Josef Scheu) Harrow, August
1892 – S. 49f.
Frühlingsboten.
Maifestspiel in drei Aufzügen – S. 51
Uebertragenes
Die Arbeiterfrau an ihren Mann – S. 139
Die einsame Zelle – S. 141
Der Gefangene an die Sklaven – S. 143
Das Lied der „Untern Klassen“ –
S. 144
Lied der Feld-Taglöhner – S. 146
Bald wird es besser gehen – S. 147
Gleichheit – S. 148
Im Hafen – S. 149
Der Arbeiter Maientag – S. 150
Der Schrei der Plage – S. 152
Ein Opfer – S. 154
Der Advent der Demokratie – S. 155
Der Appell der Zeitalter