Es war ein König in Thule
1. Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
dem sterbend seine Buhle
einen goldnen Becher gab.
2. Es ging ihm nichts darüber,
er leert ihn jeden Schmaus;
die Augen gingen ihm über,
so oft er trank daraus.
3. Und als er kam zu sterben,
zählt er seine Städt’ im Reich,
gönnt’ alles seinen Erben,
den Becher nicht zugleich.
4. Er saß beim Königsmahle,
die Ritter um ihn her,
auf hoher Väter Saale,
dort auf dem Schloß am Meer.
5. Dort stand der alze Zecker,
trank letzte Lebensglut
und war den heil’gen Becher
hinunter in die Flut.
6. Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen gingen ihm über,
trank nie einen Tropfen mehr.
Geschichte / Kommentar:
Das Gedicht „Der König in Thule"
schrieb Johann Wolfgang von Goethes im Jahr 1774, später verwendet
er es in Goethes „Faust" in die Szene „Abend" (V.
2759-2782), wo es von Gretchen gesungen wird.
Die älteste Melodieschrieb Siegmund Freih. v.
Seckendorff ("Volkslieder und andere Lieder" 3. Samml. Dessau
1782, S. 6. Am häufigsten aber wurde die Ballade von Zelters
Melodie (z. B. das „Deutsche Liederbuch", 1848 von Julius
Schanz und Carl Parucker herausgegeben; oder Hermann Böse, Das
Volkslied für Heim und Wanderung, 1914). Aber auch Wilhelm
Schneider vertonte 1803 das Gedicht.
Goethes Ballade war im 19. Jahrhundert sehr
beliebt und findet sich in vielen Gebrauchsliederbüchern. Im
"Allgemeinen Deutschen Commersbuch" von Friedrich Silcher und
Friedrich Erk (Ausgabe von 1919 Nr. 546, S. 501f.). Die
Studentenverbindungen in der Schweizer haben einen Satz von Ignaz Heim
(1818-1990),
Parodien
„Es war ein Studio von Jena"
(studentisches Trinklied)
„Nun ist der Tag gesunken" (Nacht). Robert
Eduard Prutz (30.05.1816-21.06.1872) verfasste wohl im Erleben der
Revolutionsversuche von 1848 die Verse auf die Melodie vom König
in Thule die Verse
H. Boßmann, (Abstinenten-Liederbuch), 6.
Str.
Ein uns unbekannter R.- v. Kralik veränderte
die sechste Strophe derart, dass der König wohl froh sein
müsste die Buhle los zu sein und daher danach „frischer als
je vorher" lebte.
Quellen:
Franz Magnus Böhme, Volksthümliche
Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895, Nr. 110,
S. 92.
Hermann Böse, Das Volkslied für Heim und
Wanderung. Im Auftrage der Zentralstelle für die arbeitende Jugend
Deutschlands, Berlin 1914, Nr. 239, S. 229f.
Friedrich Silcher u. Friedrich Erk, Allgemeines
Deutsches Commersbuch, Lahr 1919, Nr. 546, S. 501f.
H. Boßmann (Pfarrer),
Abstinenten-Liederbuch. Herausgegen für das Kreuzbündnis, V.
a. K., Heidhausen (Ruhr) 1917, Nr. 25, S. 21.