Zwei Brüder wollten wandern
1. Zwei Brüder wollten wandern
wohl nach Amerika,
sie fuhren mit viel andern
wohl auf der Cimbria.
2. Die Nacht, die war erst helle,
dann stieg der Nebel auf.
Das Schiff verfolgte langsam
den vorgeschrieb’nen Lauf.
3. Da sahn sie plötzlich blinken
zur Seit ein grünes Licht.
Hilf Himmel, wir versinken.
Die Cinbria, sie bricht.
4. „So leb denn wohl, mein Bruder.
Ich fühl das Wasser schon.
Wir müssen all ertrinken,
wir sind alle verlor’n.
5. Und mußt du nicht ertrinken
und wirst gerettet hier,
dann ziehe in die Heimat
und grüße sie von mir“.
6. Der Bruder aber schweiget,
sein Mund war schon verstummt,
da zogen auch die Wasser
den andern in den Grund.
Geschichte / Kommentar:
Am 13. April 1867 trat das im Dienst der Hapag
stehende Personenschiff Cimbria ihre Jungfernreise an. Es hatte also
immerhin rund 16 Jahre Dienst hinter sich, als am 18. Januar 1883 ihre
letzte schicksalhafte Fahrt antrat. Mit 402 Passgieren und 100 Mann
Besatzung lief der Dampfer unter ihrem Kapitän Hansen von Hamburg
aus Richtung New-York aus. Bei dichtem Nebel wurde die Cimbria um zwei
Uhr nachts vor der Insel Borkum von dem englischen Dampfer Sultan
gerammt und versank. 56 Menschen wurden gerettet, aber 437 Menschen
kamen bei dem Unglück ums Leben. Unter ihnen waren die beiden in
London geborenen Brüder Wilhelm (geboren am 23. September 1853)
und Charles Beuth (geboren am 6. März 1859). Die beiden kamen aus
dem hessischen Dorf Espa bei Butzbach und waren als so genannte Landgänger unterwegs,
um ihre Waren überall in der Welt zu verkaufen.
Die Ballade von der Cimbria ist das bekannteste
Lied von einem Schiffsuntergang mit Auswanderern. Waltraud
Linder-Beroud aus dem Freiburger Volksliedarchiv hat in ihrem kurzen
Aufsatz herausgefunden, dass das Lied von Pfarrfreu Sophie Schmidtborn,
die im Nachbarhaus der Familie Beuth lebte, verfasst wurde.
Bei der Trauerfeier für die beiden
Brüder wurde das Lied in der Kirche zu Espa auf die Choralmelodie
von „Ach, bleib’ mit deiner Gnade…“ gesungen.
Danach verbreitete es sich sehr schnell in die ganze Welt. Sogar aus
den USA und Russland gibt es Belege. Es soll auch in der Mainzer
Zeitung veröffentlicht worden sein (der Beleg ist allerdings nicht
vorhanden. Die Belege im DVA sprechen davon, dass das Lied um das Jahr
1930 noch vieler Orts gesungen wurde.
Die Melodie des Liedes wechselte allerdings sehr
häufig, das waren nach der Choralmelodie von „Ach,
bleib’ mit deiner Gnade…“:
Dort unten in der Mühle,
Ach bleib mit deiner Gnade,
Mein Hut, der hat drei Ecken,
Wer hat die schönsten Schäfchen?,
Im schönsten Wiesengrunde,
Quelle:
Waltraud Linder-Berout, „Zwei Brüder
wollten wandern“ in: Werner Hinze, „Hier hat man
täglich seine Noth“, Hamburg 2009, S. 157.
Annette Hailer-Schmidt, „Hier können
wir ja nicht mehr leben“. Deutsche Auswandererlieder des 18. und
19. Jahrhunderts – Hintergründe, Motive, Funktionen, Marburg
2004.