Der sterbende Soldat
(In der Schlacht bei Sedan. Sept. 1870)
1. Die Sonne sank im Westen
Und mit ihr schwand die Nacht,
sie hüllt in ihren Schleier
die dunkle kühle Nacht.
2. Und unter allen Todten
Lag sterbend ein Soldat,
und neben ihm zur Seite
da kniet’ sein Kamerad.
3. Er neigt sein Haupt zum andern
Der sterbend zu ihm spricht:
„Nimm hin, geliebter Bruder,
was mir am Herzen liegt!
4. Nimm diesen Ring vom Finger,
Wenn ich gestorben bin,
Und alle meine Briefe,
die im Tornister sind.
5. Und sollte dich einst führen
Zur Heimath das Geschick,
So gebe meinem Liebchen
Das theure Pfand zurück!
6. Sag ihm, daß ich gestorben
Bei Sedan in der Schlacht,
Und in den letzten Zügen
Der Treusten noch gedacht.
7. Und sollte sie nach Jahren
Einst einen andern frein,
So soll sie oftmals denken
An den gefall’nen Freund.
8. Und bin ich auch geblieben
Bei Sedan in der Schlacht,
Wird’ ich im Himmel beten
Noch für ihr fernes Glück.
9. Komm her, geliebter Bruder
Und nimm den Abschiedskuß:
Ich fühle, daß ich sterbe,
Von ihr nun scheiden muß.“
10. Er legt sich ruhig nieder,
der theure tapfre Held
und streckt die matten Glieder
bei Sedan auf dem Feld.
11. Und Sonne, Mond und Sterne
Mit ihrem Silberlicht
Die leuchten dem Soldaten
ins Blasse Angesicht
EB3-1385-253f.
Geschichte / Kommentar:
Das Lied schildert den Tod eines Soldaten
während des Ersten Weltkriegs bei Sedan (2. Sept. 1870). Es stammt
aber bereits aus dem Jahr 1848 und wurde „auf die Schlacht von
Custozza, wo am 24./25. Juli die Österreicher die Italiener
schlugen, gedichtet“ (Meier). Ein wenig verändert tauchte es
in den Kämpfen des Jahres 1866 wieder auf und später wurde es
auf dem bosnischen Feldzug der Österreicher 1870/71 (Gravelotte)
wieder gesungen. Im Ersten Weltkrieg war das Lied weit verbreitet.
„Die Sonne sank im Westen“ wurde von
Erk-Böhme mit elf Strophen dokumentiert. Ihnen folgten Scherrer
(C) und Linaus Schert und Leier (D). Zehn
Strophen enthalten die Versionen bei
Kutscher (G) und Lewalter, Reichswacht (H), neun die bei Klabund (E),
Künzig (L) und die Weltkriegsliedersammlung von 1926 (K). Gar nur sieben Strophen haben
die Version von Lewalter, Niederhessen (B: 1-7), John Meier (F) und
Emil Karl Blümml (J). Dabei stellt die Version von Blümml
eine Besonderheit dar (siehe unten).
Zusätzlich gibt es zwei zusätzliche
Strophen. Bei John Meier ist außer den lediglich sechs
überlieferten Strophen (1-5, 7 und die folgende zusätzliche
siebte Strophe:
7. Sag, daß ich sie geliebet / Bei
Custozza in der Schlacht
Und in der letzten Stunde / An ihre Liebe gedacht.
Bei Künzig (Strophenfolge 1-3, 5, 6, 4, 7, 8,
10) folgt als vorletzte Strophe die Folgende:
9. Und die Hornisten bliesen / In dumpfem
Trauerton:
„Hier, Mädchen, ruhet dein Geliebter, /
Hier, Mutter, ruht dein Sohn.“
Darüber hinaus gibt es relativ wenig
Varianten. Am auffälligsten dürfte die letzte Zeile der
ersten Strophe sein. Dort heißt es in der vierten Zeile statt
„die dunkle kühle Nacht“ auch „Aufs Totenfeld
die Nacht“ (E – Klabund) oder „die ganze
blut’ge Schlacht“ (L – Künzig). Neben einigen
unwesentlichen Änderungen ist die sechste Strophe von Bedeutung.
Dort erfahren wir, das das Lied nicht nur auf die Schlacht von Sedan
gesungen worden war, sondern auch auf andere Schlacht, von denen es ja
wahrlich genug gegeben hat. Benannt werden da „In der
Wörther Schlacht“ (B) oder „Bei Gitschin in der
Schlacht (E, G, K).
A Erk/Böhme 3 , 1893 (Nr. 1385, S.
253). – 11 Str.
B. Lewalter, Niederhesse (1890, H. 4, Nr.
12, S. 17) – 6 Str.
C. Scherrer 1914 (S. 154) – 11 Str.
D. Linau, Schwer u. Leier 1914 (S. 20)
– 11 Str.
E. Klabund 1916 (S. 43f.) – 9 Str.
F. J. Meier 1916 (S. 27f.) – 7 Str.
G. Kutscher 1917 (S. 27) – 10 Str.
H. Lewalter: Reichswacht 1918 (S. 157)
– 10 Str.
J. Blümml: Einserschützen 1924 (S.
42) – 7 Strr. „Die Sonn ist untergangen“
K Weltkriegsliedersammlung 1926 (S. 357)
– 9 Str.
L. Künzig, badische Soldaten, 1928 (S.
102) – 9 Str.
Abschließen noch die Besonderheit. Der
Version von Blümml
1. Die Sonn ist untergangen rot nach der Lucker
Schlacht.
Es kommt mit ihre Schleier die stille, stille
Nacht.
2. Und unter den Gefallnen lag sterbend ein Soldat
und bei ihm kniete traurig sein bester Kamerad.
3. Es sucht den letzten Atem der Sterbende und
spricht:
O hör, mein Kamerade, was mir am Herzen liegt
(oder: was mir das Herz zerbricht).
4. Nimm mir den Ring vom Finger, wenn ich
gestorben bin,
und alle meine Briefe, die drinn im Rucksack sind.
5. Und sollte dich einst führen in die Heimat
hin dein Glück,
so bringe meiner Liebsten das Liebespfand
zurück.
6. Er starb mit vielen Schmerzen bald nach der
Lucker Schlacht,
aber nicht konnt er vergessen sein Liebchen bis
ins Grab.
7. Und als er war begraben, nahm Ring und
Brief’ sein Freund
und hat dann eine Träne noch auf das Grab
geweint.
Das österreichische Soldatenlied „Die
Sonn ist untergangen“ „Ist eine auf die Verhältnisse
der Einser-Schützen“ umgeänderte Fassung unseres
Liedes. Hier war es die „Schlacht bei Luck“ vom 7. Juni
1916. Blümml ergänzt dazu: „Besonders gern wurde diese
Form von den in russische Kriegsgefangenschaft geratenen Einser- und
Vierundzwanziger-Schützen gesungen (mündliche Mitteilung des
Gefreiten Franz Kleiber).“
„Die Sonne sank im Westen“ hatte auch
Einfluss auf andere Lieder. So sind deutliche Zusammenhänge zu dem
Soldaten-Kampflied der KPD in den 1920er Jahren („Bei Leuna sind
viele gefallen“) nachgewiesen (vgl. dazu auch Wolfgang Steinitz