Wir sind jung, die Welt ist offen
1. Wir sind jung, die Welt ist offen,
o du weite, schöne Welt!
Unsre Sehnsucht, unser Hoffen
zieht hinaus in Wald und Feld.
Bruder, laß den Kopf nicht hängen,
kannst ja nicht die Sterne sehn;
aufwärts blicken! vorwärts drängen!
wir sind jung u. das ist schön!
2. Liegt dort hinter jenem Walde,
nicht ein fernes, fremdes Land?
Blüht auf grüner Bergeshalde
nicht der Blümlein Unbekannt?
Laßt uns schweifen im Gelände,
über Täler, über Höh’n!
Wo sich auch der Blick hinwende:
wir sind jung, u. das ist schön!
3. Auf denn, auf! die Sonne zeige
uns den Weg durch Feld u. Hain,
geht der Tag darob zur Neige,
leuchtet uns der Sterne Schein.
Bruder, schnall den Rucksack über,
heute soll’s ins weite gehen!
Regen? Wind? wir lachen drüber:
wir sind jung, u. das ist schön!
Jürgen Brand.
Quelle:
Hamburger Liederblatt, herausgegeben vom
Arbeiterjungendbund Groß-Hamburg, o. J. (ca. 1920) Nr. 1, S. 1.
[für 3stimmigen gem. Jugendchor comp. von M. Englert (1914)]
Geschichte / Kommentar:
Der Text des Liedes ist zwischen 1912 und 1914 von
Jürgen Brand geschrieben worden. Brand war das Pseudonym von Emil
Sonnemann (1869 – 1950), geboren am 24.3.1869 in Peine. Nachdem
er schon während der Schulzeit als Hütejunge und Kleinknecht
arbeiten musste, schaffte er es trotzdem über die
Präparandenanstalt auf das Lehrerseminar in Hannover. Trotz
weiterer Schwierigkeiten, wurde er 1889 in den bremischen Schuldienst
aufgenommen (Barbara Book, Freiburg).
Die Melodie schuf 1914 Michael Englert
(1868-1955), Arbeiter-Sekretär in Hamburg 1914-20 und Chorleiter
des Arbeiter Jugend-Chores.
Den frühesten Beleg von diesem Lied haben wir
überraschender Weise in einem Liederbuch der gerade
gegründeten KPD von 1919 (hrsg. von Carl Hoym, Hamburg, Proletarier singe). Ungefähr aus dem Jahr 1920
stammt ein, vom Arbeiterjungendbund Groß-Hamburg gedrucktes
kleines Faltblatt (Hamburger Liederblatt) mit der Melodie von
Englert und dem Text von „Jürgen Brand“. Im gleichen
Jahr spielt das Lied eine nicht unbedeutende Rolle in Weimar. Es wurde
gesungen beim dortigen „Reichsjugendtag der Arbeiterjugend vom
28. bis 30. August 1920“ (Das Weimar der arbeitenden Jugend. Niederschriften und Bilder
..., hrsg. v. Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine
Deutschlands, Sitz Berlin. Bearbeitet von E. R. Müller,
Magdeburg). Auf S. 21 heißt es dort:
Der Sonnabend.
Wir treten zusammen.
Am Sonnabend morgen bewegtes Leben auf den
Straßen. Kleine Freundschaftsgruppen streifen umher. Vom Bahnhof
kommen Trupps singend angezogen. Gegen 11 Uhr ist großes Sammeln
im Volkshaus. Die erste Zusammenkunft. Begrüßungsfeier. Die
Bühne ist ein grüner Hain, rote Fahnen darüber. Durch
die Fenster flutet Sonne,. Sonnengold in den Augen, Freude in den
Herzen. Kopf an Kopf, Schulter an Schulter sitzen und stehen sie.
Tausende haben sich zusammengefunden. Stille tritt ein. Die Hamburger
stehen auf der Bühne. „Wir sind jung, die Welt ist
offen“ schallt es lebensfroh, sieghaft. Welch ein
„gemischter Chor“. Burschen und Mädchen stehen
durcheinander, keine Trennung nach Geschlecht und Stimme. Keine Noten,
keine eingedrillte Technik. Sie singen, wie es ihre Freude gebietet.
Als wären sie durch Flur und Wald gezogen, hätten einen
schönen Sonnenplatz gefunden und ließen nun ihr Lied ins
golddurchwirkte Blau emporsteigen. So war ihr Gesang.
Wir sind jung; die Welt ist offen.
O du weite, schöne Welt!
Unsre Sehnsucht, unser Hoffen
Zieht hinaus in Wald und Feld.
Bruder, laß den Kopf nicht hängen;
Kannst ja nicht die Sterne sehn.
Aufwärts blicken, vorwärts drängen!
Wir sind jung, und das ist schön!
Dann klang im Jubel ein heimlich Sehnen:
Liegt dort hinter jenem Walde
Nicht ein fernes, fremdes Land?
Blüht auf grüner Bergeshalde
Nicht das Blümlein Unbekannt?
Laßt uns schweifen ins Gelände,
Ueber Täler, über Höhn!
Wo sich auch der Weg hinwende:
Wir sind jung, und das ist schön!
Und nun erhob sich wieder der Sang in junger
Kraft, riß alle empor, die lauschten und die sangen:
Auf denn! Und die Sonne zeige
Uns den Weg durch Feld und Hain.
Geht der Tag darob zur Neige,
Leuchtet uns der Sterne Schein.
vVermutlich ebenfalls 1920-1922 erschien in
Hamburg ein kleines Heftchen mit dem Titel „Gesammelte Lieder der
ARBEITER-JUGEND von der Wasserkante – 1. Folge“ (Hrsg. v.
Arbeiter-Jugendbund von Groß-Hamburg
Danach ist das Lied auch in „Hamburger Jugend Lieder“ von Hermann Volkhausen (3. Aufl., Hamburg 1923,
S. 5) nach „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“
und „Hebt unsere Fahnen in den Wind“ (beides von Englert)
das dritte Lied. Als Quellenangabe wird (XVI) „Laudan-Englert Jugendliederblatt“
angegeben (hier heißt er kurioser Weise Max Englert). In der 8.
Aufl. von 1925 (ebenfalls das dritte Lied, S. 6) wird als Quelle
angegeben: Max Laudan, Wanderlieder. - 1. Heft der Notenausgabe der
Hamburger Jugendlieder (VII).1924 in der 6. Auflage von Aug. Albrechts
„Jugend-Liederbuch“ (S. 30, Nr. 28) ist
zu dem 3-strophigen Lied vermerkt: „aus: ‘Mit Rucksack und
Wanderstab’“