Sehn Sie, das ist ein Geschäft …
Seid Ihr achtzig Jahre, Leute / schmeißt der
Staat Euch an die Seite,
denn man braucht Euch nur solange Ihr gesund.
Dann kann Euch die Wohlfahrt speisen / Ihr seid
nichts als altes Eisen,
Hinterm Zaun könnt Ihr krepieren wie ein
Hund.
Aber heiß: Du Paul von Hinden / … wird
sich ’ne Stelle finden,
ist der krank und alt, macht sich die Sache bald.
Solche wackeligen Enten / macht man dann zu
Präsidenten,
sind sie achtzig mit ’nem
Jahreshöchstgehalt.
:, Sehn Sie das ist ein Geschäft
und das bringt noch was ein.
Ein jeder aber kann das nicht
es muß verstanden sein. :,:
Dicker Bauch und feisten Nacken / fette Vor- und
Hinterbacken,
ja, so sitzt der Bonze im Gewerkschaftshaus.
Ohne Arbeit, ohne Schwitzen / Kapital und Staat zu
schützen,
und er hält es dort für Jahre gerne aus.
Löhne drücken, Streike schlichten /
Lügen über Russland dichten,
ja, so’n Bonze sein, das ist wahrhaftig
schwer.
Geh nur hin, Du kannst ihn fragen / er wird Dir
vertraulich sagen,
wie man’s mach – so etwa ungefähr:
:, Sehn Sie das ist ein Geschäft
Wenn Du Dich im Elend windest / und Dich Tag und
Nächte schindest,
fragst Du Dich: wo bleibt der Lohn der
Mühereien?
Du – machst nimmermehr Geschäfte / doch
sie saugen Deine Kräfte,
und sie stecken Riesenüberschüsse ein.
Wer bezahlt denn ihre Kriege / ihre Schlachte,
ihre Siege.
Du bezahlst den Krieg mit Leib und Weib und Kind.
Doch für sie sind Schlachtenfelder /
Millionen guter Gelder,
Eure Leichen sind Millionen Reingewinn!
:, Sehn Sie das ist ein Geschäft
Wenn die roten Kommunisten / Bolschewisten,
Leninisten
in der roten Front marschieren in Stadt und Land,
Wenn man sie seit Jahr und Tagen / hat zu Tausen
erschlagen
und zu Hunderten erschossen an der Wand.
Von den Sozia angeflegelt / von den Bonzen
maßgeregelt,
aus dem Parlament gejagt mit Polizei
wenn im Kampfe für die andern / Hunderte ins
Zuchthaus wandern
und doch trotzig alle stehen zur Partei:
Ref.: (gesprochen)
:, Sehn Sie das ist ein Geschäft
Geschichte / Kommentar:
Der „Rote Schlager“ Nr. 1 der
Hamburger Agitprop-Truppe „Die Nieter“ basiert auf einem
Couplet der Gebrüder Wolf. Die Melodie wiederum, zumindest
teilweise auf das Lied „An de Eck steit’n Jung mit’n
Tüdelband“ und dem Refrain „Klaun, klaun, Äppel
wüllt wü klau'n“, der wiederum auf dem Couplet von Paul
Lincke, „Die Gigerlkönigin“ basiert.
Die Nieter waren 1927 aus der Hamburger
„Proletarischen Bühne“ im Umfeld der KPD
hervorgegangen, und zur bekanntesten Hamburg Gruppe dieses Genres
geworden.
Ebenfalle aus der der Zeit der Weimarer Republik
stammt eine Parodie, die in einem gewissen Zusammenhang der
Liedgeschichte gehört, da sie auf dem
„Tüdeland“-Lied basiert und den gleichn politischen
Hintergrund hat. Sie bezieht sich nämlich auf den „Hamburger
Aufstand“ der KPD:
An de Eck steit’n Jung mit’n grote
Bomb.
in de anner Hand’n Eierhandgranat’,
wenn he bloots nich mit de Been
dörch’nTüdel kümmt
un denn hebbt wi all lang den Salat.
Un he suust mit Karacho
na den Heben,
grod bet för Petrus sine Dör.
As he opsteit, seggt he:
hett nich weh dohn.
ischa’n Klack för so’n
Revolutionär.
Refrain
Aus Berlin soll dieser Refrain wieder nach Hamburg
gelangt sein:
Paul, Paul, zuckersüßer Paul,
frisch rasiert ums Maul,
in jedem Strumpf hast du ein Loch,
aber reizend bist du doch.
Jochen Wiegand schreibt dazu: „Ob es sich
hierbei ujm einen volksläufigen Kehrreim handelte oder ob wirklich
der Operettenkomponst Paul Lincke (1866-1946) damit gemeint ist,
läßt sich heute nicht mehr sagen“. Berichtet dann noch
von einer weiteren Parodie aus Othmarschen:
Mein liebes Fräulein Hase,
schiefe Hacken, schiefe Bakcen,
schiefe Nase,
in jeden Strumpf hat sie ein Loch
aber reizend ist sie doch!
Quellen:
Michael Diers, „Die Bühne betritt der
Prolet, Arbeiter und Theater", in: Vorwärts- und nicht
vergessen, Arbeiterkultur in Hamburg um 1930, Ausstellungskatalog,
Hamburg 1982, S. 235f.
Werner Hinze, Von den Lebenden Bildern zu den
Proletarischen Bühnen, Hamburg 1994 (Aus der Arbeiten zu
"Schalmeienklänge im Fackelschein" - bisher
unveröffentlicht)
Helmut Glagla, Das plattdeutsche Liederbuch,
München 1980, S. 244f.
Jochen Wiegand, Hamburger Liederbuch, S. 9f. (An
de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband)