Lumpensammler
Der Lumpensammler (Schaler)
oder Lumpenmann wurde mehr besungen, als dass er
sich selbst besang. Ist der Wortstamm
„Lump“ noch eindeutig - und zwar
negativ - besetzt, birgt der Plural
„Lumpen“ bereits mehrere
Deutungsmöglichkeiten.
„Hat mich Gott verdammt auf Erden“
zeigt die Wechselseitigkeit zwischen den
„alten Stoffteilen“ und dem schlechten
Menschen - hier in einer Interpretation von
„unten“. Während „Ich bin der
Lumpenmann“ nach anfänglichem
Rückblick auf das Sein des
„Schalers“ eingehend, den Dünkel
des eigenen Standes ins Spiel bringt.
Der Beitrag eines Ungenannten
in der Leipziger Illustrirten
Zeitung vom 7. Mai
1887 zeigt, dass es seinerzeit eine Ausdehnung des
Begriffs auf den gesamten Abfall der
„zivilisierten Welt“ gegeben hat:
„Berliner Lumpensammler
G. S. Kehricht,
Küchenabfälle und Müll
mäßten nach ihren Bestandtheilen in dem
Gemeinwesen einer Großstadt eigentlich eine
„lumpige“ Rolle spielen, und doch ist
dies nicht der Fall. Das angeblich goldene
Zeitalter ist vorüber, wo man in Berlin das in
der Wirthschaft Ueberflüssige einfach auf die
Straße warf und damit dem frei umherlaufenden
lieben Rüsselvieh eine Freude machte;
Spree-Athen hat jene viel geschilderten, von Unrath
starrenden orientalischen Städte weit hinter
sich gelassen, sammelt den Kehricht fein
säuberlich in eisernen Kästen und
verschafft ihm eine regelmäßige Abfuhr.
Ehe dies aber geschieht, erscheinen auf der
Bildfläche die äußerlich wenig
vertrauenerweckenden Gestalten der Lumpensammler
oder, wie sie in den alleruntersten Volksschichte
genannt werden, „Schaler“, bez.
„Schalenbrüder“. Sie tragen auf
dem Rücken einen nahmhaften Sack und in der
rechten Hand einen Stab, an dessen Spitze ein
großer Nagel rechtwinkelig eingeschlagen ist.
Mit diesem selbstgeschaffenen Werkzeuge
durchwühlt der „Naturforscher“ die
Müllansammlungen. Dank der
Radical-Reinigungsmethode der berliner Dienstboten
wird manches Object ausgefegt und nach dem
Kehrichtbehälter getragen, was der
„Schaler“ noch für gute Beute
erklärt. Ueber das Los des Schönen denkt
der dunkle Ehrenmann nur wenig nach, verwelkte
Ballbouquets, die kürzlich an Frische und
Leben mit den schönen Trägerinnen
derselben wetteiferten, verblaßte
Geburtstagssträuße, deren Duft
fröhliche Tafelrunden entzückte,
dürre Guirlanden und Kränzue, vor einigen
Tagen neuvermählten Paaren als grünender
Willkommensgruß an die Thür geheftet,
alles ist für den Lumpensammler werthlos, er
wirft es beiseite und zerrupft höchstens die
vergangenen Liebes- und Freundschaftszeichen, um
daraus etwas Draht oder Bindfaden zu gewinnen.
Je nach der Menge der
gesammelten Gegenstände hat der
„Naturforscher“ eine Einnahme, die ihn
und seine Familie zu ernähren im Stande ist;
zu einem Krösus, wie es wol seinem pariser
Berufsgenossen nachgerühmt wird, bringt es
aber der berliner Schalenbruder nicht. Viele
Höfe darf er laut Plakats nicht betreten; thut
er es doch, so ist er im Handumdrehen mit dem
Cerberus des Hauses, dem Pförtner, in einen
Zweikampf verwickelt. Er weiß ferner,
daß bei der Papierbereitung die sons so
begehrten Lumpen in scharfe Concurrenz mit Holz und
anderen Ersatzmitteln getreten sind.
Wie sich Adler und Raben um
eienn fetten Bissen sammeln, so zieht neuerdings
der berliner Lumpensammler hinaus nach den Feldern,
wo die Müllwagen entleert werden; hier ist des
Schalers wahrer Himmel. Männer, Weiber und
Kinder durchwühlen gierig die Kehrichthaufen
und speichern die Ausbeute in Säcken und
Körben auf. Aber auch die Sphäre des
Mülls ist von der Speculation nicht verschont
geblieben; der Besitzer des Grundstückes
verpachtet dasselbe zum Zwecke des Durchsuchens
gegen eine täglich zu erlegende Summe,
geschäftskundige Schaler besolden ihrerseits
wieder flotte Wühler mit einem Fixum von 1 M
50 Pfennig, Zwischenhändler erscheinen in der
Nähe des Kampfplatzes mit Wagen, sodaß
sich dort ein zwar etwas staubiges, aber immerhin
flottes Geschäft entwickelt. Daß sich
die Wühlerei lohnt, davon möge
nachfolgendes nur unvollständiges Register der
Fundobjecte Zeugniß ablegen: Messer, Gabeln,
Scheren, Nähutensilien, Bürsten,
Bleistifte, Spielzeug, Kämme, Seife,
Lichtstummel, kleinere Kunstgegenstände aus
Glas, Porzellan oder Eisen, Nägel, außer
Dienst gestellte Küchengeräthe, Lampen,
Hüte, Stiefel, Servietten, Handtücher,
Schürzen, ja ganze Kleider werden gefunden.
Unter den Schalern wüthet aber auch im stillen
das Goldfieber und findet reiche Nahrung an den
fast täglich ausgegrabenen goldenen Ringen,
Nadeln mit Edelsteinen, Schmucksachen und silbernen
Löffeln.“
Aus: N. N., Berliner
Lumpensammler, in: Illustrirte Zeitung, Leipzig ,
Nr. 2288 vom 7. Mai 1887, S. 476.
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