Rinaldo Rinaldini
In des Waldes tiefsten Gründen
und in Höhlen tief versteckt
schläft der Räuber allerkühnster,
bis ihn seine Rosa weckt.
2. „Rinaldini!“ ruft sie schmeichelnd,
„Rinaldini, wache auf!
Deine Leute sind schon munter,
Längst schon ging die Sonne auf.“
3. Und er öffnet seine Augen,
Lächelt ihr den Morgengruß;
Sie sinkt sanft in seine Arme,
Und erwidert seinen Kuß.
4. Draußen bellen laut die Hunde,
Alles flutet hin und her;
Jeder rüstet sich zum Streite,
Ladet doppelt sein Gewehr.
5. Und der Hauptmann, schon gerüstet,
Tritt nun mitten unter sie:
„Guten Morgen, Kameraden,
Sagt, was gibt’s denn schon so
früh?“
6. „Unsre Feinde sind geristet,
Ziehen gegen uns heran.“ –
„Nun, wohlan! Sie sollen sehen,
Daß der Waldsohn fechten kann.
7. „Laßt uns fallen oder
siegen!“
Alle rufen: „Wohl, es sei!“
Und es tönen Berg und Wälder
Rundherum vom Feldgeschrei.
8. Seht sie fechten, seht sie streiten,
Jetzt verdoppelt sich ihr Mut;
Aber ach! sie müssen weichen,
Nur vergebens strömt ihr Blut.
9. Rinaldini, eingeschlossen,
Haut sich mutig kämpfen durch
Und erreicht im finstern Walde
Eine alte Felsenburg.
10. Zwischen hohen, düstern Mauern
Lächelt ihm der Liebe Glück;
Es erheitert seine Seele
Dianorens Zauberblick.
11. Rinadlini, lieber Räuber,
Raubst den Weibern Herz und Ruh;
Ach, wie schrecklich in dem Kampfe,
Wie verliebt im Schloß bist du!
Geschichte / Kommentar:
Das Gedicht von Christian August Vulpius ist im
vierten von sechs Teil seines Romans „Rinaldo Rinaldini“ zu
finden (erschienen 1800). Auch in seiner Zeitschr. „Janus“
1800. I. B. S. 371; seitdem mit seiner Volksweise gesungen. Im 19. Jh.
war es praktisch in jedem Taschenliederbuch zu finden.
In dieser Zeit gab es eine Reihe von
Räuberbanden, was ja auch Schiller zu seinen
„Räubern“ veranlasste. Für Vulpius soll der
italienische Räuberhauptmann Angelo Duca Vorbild gewesen sein
(geb. 1734, hingerichtet 1784).
Janda / Nötzoldt berichten noch von zwei
untypischen ordnungspolitischen Strophen nach 1840:
Bürgerleben zurückkehren läßt:
Lispelnd sprach das holde Mädchen:
Höre an, Rinaldo mein
Werde tugendhaft, mein Lieber
Laß das Räuberhandwerk sein
Ja, das will ich, liebste Rosa
Will ein braver Bürger sein
Und ein ehrlich Handwerk treiben
Stets gedenken dabei dein.1
Die Melodie dazu war um 1800 schon vorhanden zu
einer von Harfnern gesungenen Romanze auf Eginhard und Emma
„Große Thaten edler Seelen“ (s.o.). Mit Aenderung
weniger Noten hat sich die Räubermelodie herausgebildet, die seit
1800 unendlich viel gesungen und hunder andern Texten angepasst worden
ist. Beachten wolle man, daß diese
„Räubermelodie“ ihren Schluß der Marseillaise
entlehnt hat.
Parodien:
Quellen:
Böhme, Volksthümliche Lieder der
Deutschen, Leipzig 1895. Nr. 134, S. 111f.
Janda, E. / Nötzoldt, Fr., Die Moritat vom
Bänkelsang, München 1959, S. 39.
Jürgen Wolff, Räuber- und
Wildschützenlieder, Kleine Reihe Deutsche Volkslieder Heft 10/11,
Leipzig 1990, S. 163f.:
Kosean-Mokrau, A., Räuberleben -
Räubersterben, Bern/Stuttgart 1972, S. 148f.
vgl. Plaul, H., Trivialromane des 18./19.
Jahrhunderts (in: Dt. Volksdichtung), Leipzig 1979, S. 321ff.