Im Feindesland um Mitternacht
1. Im Feindesland um Mitternacht
Stand ein Soldat wohl auf der Wacht.
Ein Sternlein hell am Himmel stand,
Bringt ihm ein Gruß vom Heimatland.
2. Sein Liebchen, das am Fenster steht,
Die Hände faltet zum Gebet.
Sie denkt an ihren Liebsten heiß,
Den sie in Feindeslande weiß.
3. Verzage nicht, Soldatenbraut,
Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut.
Verzage nicht, hab’ frohen Mut,
Dich liebt ein treu Soldatenblut.
4. Ach Sternlein, schau noch einmal her,
Wenn Finsternacht ist rings umher.
Allein stand ein Soldat auf Wacht,
Zwei Herzen sagen sich „Gute Nacht“.
5. Am ander’n Tag beim Morgengrau’n
Da fiel der Held auf Frankreis Au’n.
Da schrie er auf in seinem Schmerz,
Eine Kugel traf ihn in das Herz.
6. Wer hat denn dieses Lied erdacht?
Es war ein Reservist auf Wacht,
Der jetzt in Frankreis Boden ruht.
Für Deutschlands Fahne floß sein Blut.
Geschichte / Kommentar:
Am 1. November 1897 wurden in China zwei deutsche
Missionare ermordet. Kaiser Wilhelm II. nutzte diese Situation und
ließ die Bucht im Süden der Shandong-Halbinsel an der
chinesischen Ostküste besetzen, zu der auch Kiautschou
gehörte. Aus den späteren Verhandlungen mit der Chinesischen
Seite resultierte ein Pachtvertrag über 99 Jahre. Trotzdem kam es
zu dem Aufstand der religiösen Sekte die Boxer, die sich vehement
gegen den westlichen Einfluss wehrte. Dieser Aufstand später auch
Boxerkrieg. In dieser Zeit entstand das Kiautschoulied, das sich bei
den deutschen Matrosen besonderer Beliebtheit erfreute (Steinitz, J.
Koepp, DVA diverse Belege). Das Lied ist auch nach 1918 noch als
Volkslied gesungen worden.
Es erfuhr auch schon Umtextungen durch die
Matrosenlied z. B. „Auf Helgoland in dunkler Nacht“ (DVA A
106 714). Nach Schuhmacher, Soldatenlied, S. 214, wurde das Lied
„bei der Marine, wo es schon um 1900 gesungen wurde in der
Kriegsform ‚Lombardtzejdelied“ genannt“.
Während des Krieges wurde es von den
Landtruppen mit dem Anfang Im Feindesland um
Mitternacht gesungen, z. B.:
Eine Zeitlang wurde das ältere Kiautschoulied (Zu Kiautschou), das auf
das noch ältere Soldatenlied „Steh
ich in finstrer Mitternacht“ zurückgeht (vgl. auch John Meier 1916, S.
36) mit dem neuentstandenen Argonnerwaldlied nebeneinander gesungen.
Steinitz vermutet, dass dadurch z. B. auch das folgende Lied entstanden
ist:
1. In Rußland, hoch um Mitternacht, / Stand
ein Husar auf stiller Wacht.
Ein Sternlein hoch am Himmel stand, / Bringt ihm
ein’n Gruß vom Heimatland.
2. Sein Liebchen wohl am Fenster stand, / Die
Hände faltet zum Gebet.
Sie betet für den Liebsten heiß, / Den
sie im fernen Rußland weiß.
3. Und mit der Lanze in der Hand, / So kämpft
er für sein Vaterland.
Gerecht ist nur der Tod im Krieg, / Ein jeder
denkt wohl an sein ferne Lieb.
4. Zu Russland, hoch um Mitternacht, / Zwei Herzen
schlagen gute Nacht.
Wenn zwei auseinandergeh’n, / So sagen sie:
„Leb’ wohl, auf Wiedersehn!“
5. So leb’ denn wohl, Husarenbraut, / Wer
Gott vertraut, hat wohl gebaut,
Sei ruhig, bin in Gottes Huld. / Er liebt ein treu
Husarenblut.
6. Argonnerwald, Argonnerwald, / Ein
Heldenfriedhof wirst du bald.
In deiner Erde ruht / Manch’ tapferes
Husarenblut.
(DVA A 113 506: März 1917. hier nach
Steinitz)
Reinhard Olt bringt einige Beispiele von
Abweichungen aus dem Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg (DVA). Davon
seien kurz erwähnt:
So sind es z. B. zwei Sternlein (DVA 69, DVA 72).
Die deutlichsten Änderungen dokumentiert die Helgoland-Fassung DVA
72. Hier sind die Strophen 1, 4 und 5
DVA 72,
1. Auf Helgoland, in dunkler Nacht;
Stand ein Matrose auf der Wacht;
1Zwei Sternlein steh’n am Himmelszelt;
Die ihm ein Gruß vom Lieb bestellt;
4: Er nimmt die Waffen in die Hand
Und kämpfet für sein Vaterland.
Gerecht ist nur der Kampf im Krieg,
Denn jeder will ja nur den Sieg;
5: Drum Sternlein leuchte noch einmal,
Stickfinst’re Nacht ist überall.
Der stand wohl auf der Back’ auf Wacht;
Zwei Herzen sagten „Gute Nacht“.
Quelle:
Reinhard Olt, Krieg und Sprache. Untersuchungen zu
deutschen Soldatenliedern des Ersten Weltkriegs, Gießen 1980,
Bd.2, Nr. 189, S. 107.
Wolfgang Steinitz, Volkslieder demokratischen
Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1962 (Reprint bei
2001, Westberlin 1979), S. 486: