S. 76
Des Lichtes Sieg.
Ein Sagensang zum Maienfest.
(1891.)
Aus ferner Kindheit tönt mir eine Sage
–
Voll tiefen Sinn’s, den erst der Mann
erkannte –
Von einem Riesen, der tief unter Tage
Ein mächtig großes Reich sein eigen
nannte.
Dahin drang nicht der gold’ne Sonnenschein,
Des Mondes Glanz, der Sterne hell Gefunkel;
Umgrenzt und überwölbt von Felsgestein
War’s eine stätte für unheimlich
Dunkel.
Ekles Gewürm kroch geifernd auf dem kalten
Schlüpfrigen Boden, der nur Gift konnt’
geben;
Die Eule nistete rings in den Spalten
Und sonst’ge Brut, die nicht am Tag kann
leben.
2. Da hauste er, der Riese, ein Desüpot,
Nachahmend seinen fluchbelad’nen Ahnen,
Mißachtend jedes heilige Gebot,
Ein grimmer Herrscher seinen Unterthanen.
Herzlos und grausam quälte er die Armen
Mit Hilfe feiler, dienstbefliss’ner Sbirren,
Er kannte weder Mitleid noch Erbarmen,
Blieb kalt bei Weheruf und Kettenklirren.
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Nicht Menschen, feige Sklaven wollt’ er blos,
Von denen keiner nach der Freiheit fragte –
Den traf gewiß qualvoller Strafe Los,
Der sein geheiligt Recht zu fordern wagte.
3. Voll Aengstlichkeit – womit ein
bös’ Gewissen
Die Schlechten straft, die sich mit Schuld
beschweren –
War der Despot unausgesetzt beflissen,
Dem Licht den Eingang in sein Reich zu wehren.
Es prophezeite warnend ihm einmal
Ein guter Geist: „Das Licht wird Dein
Verderben!
Sobald Dich triff der erste Sonnenstrahl,
Mußt Du mit allen Deinen Schwergen sterben.
Frei werden dann, die Du gelegt in Banden,
All’ Deine Sklaven, die Dich längst
verfluchen –
Das heil’ge Licht macht ihre Noth zu
Schanden,
Du aber wirst vergebens Rettung suchen.“
4. Wohl hätt’ er gern, betrachtend
seine Macht,
Sich eingeredet, thöricht sei’s, zu
denken,
Daß jemals in sein altes Reich der Nacht
Die Sonne könne ihre Strahlen senken,
„Solch’ dumme Prophezeiung
sollt’ mich schrecken?“
Sprach oft er zu sich selbst –
„Weshalb? Es waren
Doch diese harten Felsenwänd’ und
–Decken
Schutz vor dem Licht seit ungezählten Jahren.
So werden sie’s auch fürderhin noch
sein!
Du dummer Geist wollt’st Spott nur mit mir
treiben;
Hier dringt niemals der Sonne Licht hinein, -
Ich wird’ am Leben, werde Herrscher
bleiben!“
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5.
Trost für den Augenblick, zu weichen
stärkerm Bangen! –
Wohin auch der Despot den Blick mocht’
richten,
Die Furcht ließ ihn nicht mehr zur
Ruh’ gelangen,
Sie wuchs und wuchs und war nicht zu vernichten.
Er späht voll Angst umher an jedem Ort, Und
wenn er nur den kleinsten Riß erblickte,
So trug er Sorge, daß man ihn sofort
In aller Eile aufs Genauste flickte.
Die Wölbungen, die Kanten ließ er
stützen
Mit ehr’nen Pfeilern und sie fest verbinden.
Nichts ließ er ungenützt, sein Reich zu
schützen,
Die Furcht hieß ihn stets neue Mittel
finden.
6.
Und mit der Furcht wuchs auch des Riesen Grimm,
Der Trieb zu immer ärgern Frevelthaten;
Bezwingen wollte er die inn’re Stimm’,
Die kündete: „Du hast dich selbst
verrathen!
Längst wissen, was du fürchtest, deine
Sklaven,
Nun sehnen sie sich alle nach dem Lichte,
Das sie befreien soll und dich bestrafen.
Entgehen wirst du nicht dem Lichtgerichte.
Umsonst versuchst durch wild’re Grausamkeit
Du deine Herzensqualen dir zu lindern.
Dein Ende naht, - das Liech ist nicht mehr weit,
Kannst seinen Sieg mit keinem Mittel
hindern.“
7.
Indessen der Despot sich zürnend quälte,
Das derohende Verhängniß zu
bekämpfen,
Und immer neue Strafen auserwählte,
Der Armen Sehnsucht nach dem Licht zu
dämpfen,
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Fraß drauß’ am Felsgestein der
Wurm der Zeit;
Geschickter als vie tausen Menschenhände,
Nach dem Gebote der Nothwendigkeit,
Zerstört Natur die Decken und die Wände.
Und eines Tags, zur hellen Mittagsstunde,
Sind krachens sie geborsten und gebrochen,
Das Licht drang ein bis zu dem tiefsten Grunde
–
Und es geschah, so wie der Geist gesprochen! [gesperrt]
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Patz für den Geist der neuen Zeit!
Ist es denn wahr, wird nie sich wenden
Der Menschheit jammervolles Los?
Wird nie izr schmerzlich Sehnen enden,
Nie Freude blühn in ihrem Schooß?
O nein, o nein! Ich kann’s nicht glauben
Und wüchse ständlich auch das Leid,
Ich laß die Hoffnung mir nicht rauben
Auf eine bess’re, schön’re Zeit!
2. Wohl sitz’ ich oft in Stillen
Nächten
Und trau’re bis zum Morgengraun,
Wenn von der Selbstsucht feilen Knechten
Mir keiner kann ins Auge schaun;
Wohl ballt auch oft im wilden Grimme
Sich meine Faust, doch stets befreit
Vom Weh mich der Geschichte Stimme:
„Vertrau’ dem Geist der neuen
Zeit!“
3. Die Stimme kann den Gram bezwingen,
Die bringt dem Herzen frischen Muth
Und stählet es zu neuem Ringen
In herrlicher Begeist’rung Gluth. –
Was soll das Trauern?! Dieses Auge,
Es künde stolze Männlichkeit,
Es zeuge, daß zum Kampf ich tauge –
So will’s der Geist der neuen Zeit!
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4. Mit ihm zum Kampf! Hier gilt kein Zagen
Und keine lange, bange Wahl –
Frei werden, oder Ketten tragen – –
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Wem macht solch eine Wahl wohl Qual?!
Frei werden, frei und glücklich werden
Durch dich, Göttin Gerechtigkeit,
Soll jedes Volk rings auf der Erden –
Du lügst nicht, Geist der neuen Zeit!
5. Was du versprichst, du wirst es halten,
Du führest nicht umsonst den Krieg
Gen all’ die finstren Truggewalten;
Dir wird in dieem
Krieg der Sieg!
Will mich zum Kampfe dir verbünden,
Will dir ein Herold sein im Streit
Und sterbend selbst noch freudig künden:
Platz für den Geist der neuen Zeit! [gesperrt]