Der Eckensteher Nante
1. Der Eckensteher Nante
war seines Lebens satt,
weil er det Leben kannte,
weil ers jenossen hatt’.
2. Im Tierjarten, o wie schaurij,
Hing sich der Nante auf,
Im Tierjarten, o wie traurij,
Da endet sein Lebenslauf.
3. Schandarmen un Polizisten,
Mit de Rettungsmedaille jeziert
Un andre jute Christen,
Die kamen heranmarschiert.
4. S’e schnitten ihn vom Baume
Er schlug die Augen auf
Und kam aus seinem Traume,
Und sprach voll Schrecken drauf:
5. „Alljütijer, hab’ Erbarmen,
Mein Jott, wat seh ick hier!
In’n Himmel sind ooch Schandarmen? -
Nu is et aus mit mir!
Eine Berliner Novelle.
Melodie: Es war ein König in Thule
Der Frühling kommt hernieder,
Der Winter muß entfliehn,
Und Frühling wird es wieder
Sogar auch in Berlin.
Im milden sonnigen Wetter
Kann man spazieren gehn,
Und Kräuter und grüne Blätter
Im Thiergarten wieder sehn.
Den Gruß des Frühlings singen
Die Vögel in jede Brust,
Und alle Welt muß ringen
Noch Freud’ und Frühlingslust.
Der Eckensteher Nante
Blieb liebensmüd und matt;
Weil er das Leben kannte,
Hatt’ er es herzlich satt.
er geht zum Thiergarten traurig,
Er geht und hängt sich auf.
Im Thiergarten - o wie schaurig!
Beschließt er den Lebenslauf.
Das gibt ein eignes Rauschen
Im grünen Busch am Bach,
Und Leute, die da lauschen,
Die gehn dem Geräusche nach.
Gensdarmen und Polizisten,
Mit Rettungsmedaillen geziert,
Und viele gute Christen
Die kommen herbei spaziert.
Sie schneiden ihn ab vom Baume,
Sie reiben ihn, bis er lebt,
Und Nante, wie im Traume,
Denkt, daß er im Himmel schwebt.
„Allmächtiger, hab’ Erbarmen!
So spricht er, was seh’ ich hier?
Im Himmel auch Gensdarmen?
Nun ist es aus mit mir!“
(Er stirbt)
Geschichte / Kommentar:
Nantes geistiger Vater war Karl von Holtei. Der
Dienstmann Nr. 22 in seinem Drama „Ein Trauerspiel in
Berlin“ gilt als Vorläufer der Kunstfigur, die hier und da
etwas abgewandelt auch heute noch in vielen Großstädten
bewundert werden kann. Holteis Stück, das 1832 im
Königstädtischen Theater am Alexanderplatz uraufgeführt
wurde, brachte erstmals den Berliner Dialekt auf die Bühne.
Seine Theater-Figur wurde von dem damals sehr
bekannten und beliebten Schauspieler Friedrich Beckmann gespielt, der
ihr nicht nur zu großer Popularität verhalf, sondern sie
auch in weiteren Theaterstücken dem Berliner Publikum dar bot.
Adolf
Glasbrenner
war es dann, der den „Ächten Nante“ zwischen 1837 und
1840 in der Taschenheftreihe „Berlin, wie es ist - und
trinkt“ zu einer herausragenden literarischen Gestalt des
Berliner Volkswitzes kürte. (Berliner
Eckensteher)
Das Lied wurde von Hans Ostwald 1906 als
„Berliner Volkslied“ im dritten Band seiner „Lieder
aus dem Rinnstein“ aufgezeichnet. Es macht den Schrecken eines
Personenkreises vor der Polizei auf lustige Art deutlich, den im
Kaiserreich nicht nur Kunden hatten.
Der Eckensteher Nante geht nach Hamburg
In seinem Gedicht „Wandlungen“ bringt
Wolfgang Bernhardi Nante 1863 nach Hamburg (Mel.: Parodielied aus
Hunderttausend Thaler):
Einst der Berliner Nante
Dort an den Ecken stand,
Er war in Weit’ster Ferne
Als Bummler wohlbekannt.
Allein vor wenig Tagen
Da ist - es klingt enorm! -
Ein Hülfsmann er geworden
In Hamburgs Uniform.
Als Bummler wurde ein umherschlendernder
Müßiggänger verstanden, der langsam und träge ist.
Um 1848 war es aber auch ein Schimpfwort für Arbeitslose. Seit dem
deutsch-französischen Krieg 1870/71 ist auch der Begriff
„Schlachtenbummler“ als ein Zuschauer benutzt (gemeint war
aber eine Art Kriegsberichterstatter, manchmal auch einfach ein
Krankenpfleger.
Quelle:
Hans Ostwald, Lieder aus dem Rinnstein Bd. 3,
Leipzig und Berlin 1906, S. 89