Der alte Feldherr
1. Denkst du daran, mein tapferer Legienka,
daß ich dereinst in unserm Vaterland
an eurer Spitze, nah bei Dubienka,
Viertausend gegen Sechzehntausend stand?
Denkst du daran, wie ich vom Fein umgeben,
mit Mühe nur die Freiheit uns gewann?
Ich denke dein, ich danke dir mein Leben:
doch du, Soldat, Soldat, denkst du daran?
Ich denke dran, ich danke dir mein Leben,
doch du, Soldat, Soldat, denkst du daran?
2. (Legienka:)
Denkst du daran, wie wir bei Krakau schlugen
den Bären gleich, die keine Wunde scheun?
Wie wir den Sieg durch alle Feinde trugen,
Von dir geführt, nach Krakau’s Stadt
hinein?
Wir hatten keine kriegsgerechten Waffen,
Die Sense nur schwang jeder Ackersmann:
Doch machten wir dem kühnen Feind zu
schaffen,
O Feldherr, sprich, ja denkst du noch daran?
3. (Thaddäus:)
Denkst du daran, wie stark wir im Entbehren
Die Ehre allem wußten vorzuziehn?
Gedenkst du an das tückische Verschwören
Meineidger Freunde dort bei Scekoczyn?
Wor öottem voeö. wor darbtem imd woe
scjwoegem.
Die Thräne floß, das treue Herzblut
rann,
Und dennoch flogen wir zu kühnen Siegen:
O sprich, Soldat, Soldat, denkst du daran?
4. (Lagienka:)
Denkst du daran, daß in des Kampfes Wettern
Mein Säbel blitzte stets in deiner
Näh’?
Als du verlassen von des Sieges Göttern
Und sinkend riefst: Finis Poloniae?
Dort sank mit dir des Landes letztes Hoffen,
So vieler Heil in einem einz’gen Mann!
Daß damals auch dein Trauerblick getroffen,
O großer Feldherr, denkst du noch daran?
5. (Thaddäus:)
Denkst du daran, doch nein, das sei vergangen,
Genug der Klagen! Lebet wohl und geht!
Vielleicht daß ihr cereinst mit
glühnden Wangen
An eures alten Feldherrn Grabe steht!
Dann seid gewiß: Mein Geist wird euch
umschweben,
Er wird für euch vor Tottes Throne stehn,
Und will er euch nicht ehrenvoll erheben,
So laß ehr ehrenvoll euch untergehn!
(Alle:)
Gott! willst du uns nicht ehrenvoll erheben,
So laß nur ehrenvoll uns untergehn!
Geschichte / Kommentar:
Das Lied stammt aus dem Liederspiel „Der
alte Feldherr“ von Karl v. Holtei (1825, Uraufführung im
Dezember 1825, Erstdruck im „Jahrbuch deutscher
Bühnenspiele“ 1829).
Holtei berichtete, dass das Stück „nach
der ersten Aufführung verboten, dann wieder gestattet, dann wieder
untersagt. Nach einigen Jahren sei das Stück vergessen und
begraben. Im Jahr 1830 wurde es wieder entdeckt. Der Feldherr ging auf
eine „große Tour durch Norddeutschland“ und wurde das
Polenstück par excellence. Es wurde auch immer mal wieder
verboten. (Hier verweist Steinitz auf: Robert F. Arnold, Tadeusz
Kosciuszko in der deutschen Literatur. Berlin 1989, S. 27.)
Während Böhme den Ursprung des Liedes
einem französischen Lied zuordnet, geht Steinitz davon aus, das es
polnischer Herkunft ist. Holtei’s Text ist nach Hoffmann
(Volksthümliche Lieder Nr. 144) nur eine Nachbildung des
französischen Liedes von Emile Debraux, gedichtet 1815. Anfang:
„Te souviens-tu, disait un capitaine au
vétéran qui mendiait son pain“ (s. Chants et
Chansons populaires de la France per H. L. Delloge. Paris 1843, II.
Serie Nr. 1). – Als Komponist ist angegeben Doche
père. (siehe: Josef Denis Doche, geb. zu Paris 22. Aug.
1760, zu Soissons im Juli 1825.)
Quellen:
Franz Magnus Böhme, Volksthümliche
Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert., Leipzig 1895
Hoffmann Unsere volksthümlichen Lieder,
Leipzig 1859, S. 25 Nr. 144.
Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder
demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1962
Nr. 195, S. 60ff.