Soldatenlied
1. Ich bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne,
Als ich es ward, hat man mich nicht gefragt;
Man riß mich fort, hinein in die Kaserne,
Gefangen ward ich, wie ein Wild gejagt,
Ja von der Heimath und des Liebchens Herzen
Mußt` ich hinweg und von der Freunde Kreis;
Denk` ich daran, fühl ich der Wehmuth
Schmerzen,
Fühl in der Brust des Zornes Gluth so
heiß.
2. Ich bin Soldat, doch nur mit Widerstreben;
Ich lieb` ihn nicht den blauen Königsrock,
Ich lieb` es nicht, das blut`ge Waffenleben,
Mich zu verteid`gen wär` genug ein Stock.
O, sagt mir an, wozu braucht ihr Soldaten?
Ein jedes Volk liebt Ruh` und Frieden nur.
Allein aus Herrschsucht und dem Volk zu schaden,
Laßt ihr zertreten, auch, die gold`ne Flur!
3. Ich bin Soldat, muß Tag und Nacht
marschiren,
Statt in der Arbeit muß ich Posten steh`n,
Statt in der Freiheit, muß ich salutiren,
Und muß den Hochmut frecher Buben sehn.
Und geht`s ins Feld, so muß ich Brüder
morden,
Von denen keiner was zu leid mir that,
Dafür als Krüppel trag ich Band und
Orden
Und hungernd ruf` ich dann: „Ich bin
Soldat!“
4. Ihr Brüder all`, ob Deutsche, ob
Franzosen,
Ob Ungarn, Dänen, ob vom Niederland,
Ob grün, ob roth, ob blau, ob weiß die
Hosen
Gebt Euch, statt Blei, zum Gruß die
Bruderhand!
Auf, laßt zur Heimath uns
zurückmarschiren,
Von den Thyrannen unser Volk befrei`n;
Denn nur Thyrannen müssen Kriege führen,
Soldat der Freiheit will ich gerne
sein!“
Undemokratisches Soldatenlied
1. Ich bin Soldat und bin es mit Vergnügen,
Als man mich nahm, hat man mich erst gefragt,
„Wirst Du`s auch gern? - Ich sprach: ich
müßte lügen,
Wenn dies Geschäft nicht stets mir zugesagt,
Was giebt es Schönres denn, wie exerzieren,
Patrouillen, Posten, Ordonnanzen sein
Und auf Befehl, bald stehen, bald marschiren,
O, welches Glück, welch` Glück Soldat zu
sein.
2. Ich bin Soldat, was kann es Schönres
geben,
Commisbrod schmeckt wie reiner Marzipan,
Mein Sold ist reichlich und genügt zum Leben,
Leicht mein Gepäck, Behandlung stets human,
Und geht`s ins Feld, ein Dasein voller Reize
Harrt meiner dann im schönen —- (1)
land
Sind Krüppel wir, so werden Eisenkreuze
Als Siegespreis den Helden zuerkannt.
3. Drum hol` der Teufel all Civilisten,
Es lebe nur der edle Kriegerstand,
Nur Militär, ob Juden oder Christen,
Sein hochgeehrt im deutschen Vaterland,
Auf laßt zur Heimath uns
zurückmarschieren,
Laßt von der Freiheit unser Volks befrei`n,
Laßt uns alljährlich neue Kriege
führen,
Soldat der Freiheit will ich gerne sein.
Geschichte / Kommentar:
Das Lied wurde im 19. Jahrhundert meistens ohne
Angabe des Verfassers abgedruckt. Die Angabe in zwei Liederbüchern
der 1880 Jahre, Max Kegel sei der Autor, wird nicht bestätigt.
Meistens wird Karl (Carl) Hirsch als Autor angegeben. Seine Entstehung
wird meistens mit einer Gegenbewegung zum
Deutsch-Französischen-Krieg von 1870/71 in Verbindung gebracht.
Ein erster Beleg, in dem die erste Zeile auch als Titel fungierte,
datiert auf den 11. März 1870 im Zwickauer Tageblatt Nr. 58 (Vgl.
Steinitz II, S. 336.) Verfasser könnte ebenfalls Carl Hirsch sein,
der im September 1870 Redakteur des Crimmitschauer Bürger- und
Bauernfreundes war. (Steinitz II, S. 337.) Als Poet der ironischen
Fassung steht er außer Frage. Die Liederbücher des 19. Jh.
brachten überwiegend beide Versionen gleichzeitig.
Die Melodie ist die des Liedes Denkst du daran mein tapferer Lagienka aus Karl von Holteis Singspiel Der
alte Feldherr. In einigen
Liederbüchern wird als Melodie das Lied Bei Warschau schwuren tausend auf den Knien angegeben, das u.a. auch nach der gleichen Melodie
gesungen wird.
Die hier notierte wurde 1954 von Ernst Weiß,
Weimar an das Arbeiterliedarchiv gesandt, sie soll aus der Zeit vor
1914 stammen (Steinitz II. S. 335.) und ist einer Melodie von Bei Warschau schwuren ... sehr
ähnlich.
In der Zeit der Weimarer Republik und
natürlich in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sind
keine Belege zu finden. Anders verhält es sich in der Zeit der
beiden Weltkriege (siehe dazu Wolfgang Steinitz II, Nr. 249, S. 344ff.)
In der BRD und der DDR spielte das Lied lange Zeit
ebenfalls keine Rolle. Erst mit der Zeit des Folkrevival in der BRD
entdeckte man das Lied im Kampf gegen wieder aufkeimenden Militarismus
wieder. In der DDR, in der so gerne zwischen
„imperialistischen“ und anderen Kriegen unterschieden
wurde, war der Militärdienst als sozialistische Notwendigkeit
angesehen und Ablehnung sanktioniert worden. So fand das Lied erst
wieder Beachtung, nachdem die Westdeutsche Folkbewegung auch in den
Osten übergeschwappt war.
Neuestes Proletarier-Lieder-Buch / von
verschiedenen Arbeiterdichtern. / gesammelt von Joh. Most. / Chemnitz
1873 (3. Aufl.) Nr. 5, S. 9/10 ohne Verfasser Angabe. - Melodie nach
Steinitz II a.a.O. S.335.
undemokratisches
Aus: Neuestes Proletarier-Lieder-Buch / von
verschiedenen Arbeiterdichtern. / gesammelt von Joh. Most. / Chemnitz
1873 (3. Aufl.) Nr. 49, S. 85/86.
Quellen:
Lieder der Arbeiterbewegung im 19. Jh.
Version 1: Nur „nicht gerne“
Gustaf Linke, Zeitgem. Volkslieder, Dresden 1872,
Nr. 2.
Version 2: Nur „mit Vergnügen“
Max Kegel’s Sozialdemokr. Ldb., 1891, Max
Kegel’s Sozialdemokr. Ldb, (8. Aufl.), Stuttgart, 1897,
Beide Versionen
Johann Most (erste Auflage vor 1873), Nr. 5;
Sozialdemokr. Ldb. 8. Aufl., Zürich, 1885, Nr. 13; Sozialdemokr.
Ldb. 12. Aufl. London 1889, Nr. 13; Arbeiter-Liederbuch. 21. Auflage.
New-York 1894, Nr. 35; Schlüter, Arb-Ldb, Chicago 1906, Nr. 6;
Nicht bei:
Most’s Proletarier Ldb. 5, (Gustav Geilhof),
1875; Beißwanger, Freie Klänge, Nürnberg, ca. 1900,
Spätere Aufarbeitungen
Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder
demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1962,
Nr. 249
Lammel/Andert, Und weil der Mensch ein mensch ist,
Dortmund 1986, Nr. 42, S. 73.
Reinhard Dithmar, Arbeiterlieder 1844 bis 1945,
Berlin 1993.