Die Arbeitsmänner
1. Wer schafft das Gold zu Tage?
Wer hämmert Erz und Stein?
Wer webet Tuch und Seide?
Wer bauen Korn und Wein?
Wer giebt den Reichen all’ ihr Brod?
Und lebt dabei in bitt’rer Noth?
:/: Das sind die Arbeitsmänner, das
Proletariat. :/:
2. Wer plagt vom frühen Morgen
Sich bis zur späten Nacht?
Wer schafft für And’re Schätze,
Bequemlichkeit und Pracht?
Wer treibt allein das Weltenrad
Und hat dafür kein Recht im Staat?
:/: Das sind die Arbeitsmänner, das
Proletariat. :/:
3. Wer ward von je geknechtet,
Von der Tyrannenbrut?
Wer mußte für sie kämpfen
Und opfern oft sein Blut?
O Volk, erkenn’, daß Du es bist
Das immerfort betrogen ist!
:/: Wacht auf, ihr Arbeitsmänner, auf
Proletariat. :/:
4. Rafft Eure Kraft zusammen,
Und schwört zur Fahne roth!
Kämpft muthig für die Freiheit!
Erkämpft Euch bess’res Brod!
Beschleunigt der Despoten fall!
Schafft Frieden dann dem Weltenall!
:/: Zum Kampf, ihr Arbeitsmänner, auf,
Proletariat. :/:
5. „Ihr“ habt die Macht in
Händen,
Wenn „Ihr“ nur einig seid!
Drum haltet fest zusammen!
Dann seid „Ihr“ bald befreit.
Eilt „Sturmschritt vorwärts“ in
den Streit!
Wenn auch der Feind Kartätschen speit.
:/: Dann siegt ihr arbeitsmänner! Das
Proletariat. :/:
Geschichte / Kommentar:
Eines der beliebtesten Lieder der
revolutionären deutschen Sozialdemokratie jener Phase, das Johann
Most im Jahre 1870 während seiner Haft im Wiener
Landgerichtsgefängnis schrieb. Es wurde heimlich
hinausgeschmuggelt und seine erste Strophe erschien erstmals in der
Züricher Tagwacht vom 1. Oktober 1870 unter der Rubrik „Aus
der Kerkerzelle“ im Druck, ohne Verfasserangabe und unter dem
Titel Proletarier-Lied. Dem Lied wurde die Melodie von „Zu Mantua
in Banden“
unterlegt.
„Es wurde in andere Sprachen übersetzt
und wird heute noch in Arbeiterkreisen weit und breit gesungen,
obgleich es keine originale Melodie hat. Spätere Compositionen
durch Dr. Douai und Jost haben nur in sehr gemässigtem Grade
Anklang gefunden.“ (Most 1903, S. 72) Es fand Verbreitung wie
kaum ein anderes Lied der organisierten Arbeiterbewegung seit jener
Zeit und war bis in die 1920er Jahre eines der beliebtesten Lieder der
politischen Linken. Noch 1932 schrieb Margarete Nespital in ihrer
Arbeit über „Das deutsche Proletariat in seinem
Lied“, es sei „von allen Liedern“ jener Phase
„das weitwirkendste und bis heute erhaltene“ (S. 43). Most
selber meinte u.a. dazu: „Ich bin nicht bescheiden genug, mir
dieses mein literarisches Erstlings-Produkt streitig machen zu lassen,
und betone dies umsomehr, als es in viele Gedichtsammlungen - zum Theil
in sehr verstümmeltem, abgeschwächtem Zustand -
übernommen wurde, ohne dass man mir Kredit gegeben
hätte.“
„Die Motive sind nicht neu. Aber die Form
ist flüssiger, der Ausdruck reicher. Der antithetischen
Schilderung vom Schaffen des Reichtums und dem Leben in Armut
schließt sich genau wie in Herweghs Bundeslied der Weckruf an,
der hier mit einem gewissen Maß von dichterischer Kraft
gesteigert ist: erkennt eure Lage, kämpft unter der roten Fahne,
seid einig und stürmt voran!“ Nespital 1932, S. 43
Mosts
„Arbeitsmänner“ wurden auch in der Weimarer Zeit von
fast allen gesungen, kaum ein Liederbuch der KPD, das auf das Lied
verzichtete.
Quellen
Liederbücher der Arbeiterbewegung im 19. Jh.
Johann Most, Neuestes Proletarier-Lieder-Buch von
verschiedenen Arbeiterdichtern, 3. Aufl., Chemnitz 1873, Nr.16
Most’s Proletarier-Liederbuch. In
fünfter Auflage hrsg. von Gustav Geilhof in Chemnitz, 1875, Nr.
12;
Sozialdemokratisches Liederbuch. 8.
veränderte Aufl., Zürich, Verlag der Volks-Buchhandlung,
1885, Nr. 9;
Sozialdemokratisches Liederbuch. Sammlung
revolutionärer Gesänge, 12. Auflage, London 1889, Nr. 9;
Arbeiter-Liederbuch. 21. Auflage. New-York 1894,
Nr. 8;
Konrad Beißwanger, Freie Klänge,
Nürnberg o.J. (ca. 1900), Nr. 18;
Hermann Schlüter, Sozialistisches
Arbeiter-Ldb, Chicago, o. J. (ca. 1906), Nr. 33;
Arbeiterliederbücher der SPD zwischen 1918
und 1933
August Albrecht, Jugend-Liederbuch, Berlin, 1919,
Nr. 4; 1924, Nr. 5; 1925, Nr. 5; 1929, Nr. 68; alle Hrsg. Verband der
Arbeiterjugend-Verein Deutschlands
Verfassungs-Lieder. Liederbuch Schwarz-Rot-Gold, Verlag: Paul Schmidt, Berlin N 54, Nr. 4;
August Albrecht, Arbeiter- und
Freiheits-Liederbuch (Arbeiterjugend-Verlag), Berlin 1928, Nr. 61;
Die Liederbücher von KAPD, KPD, KJVD und RFB
Kampflieder. FSJ, Verlag Junge Garde (1), Nr. 12;
Proletarier singe. Kampf- und Volkslieder, HH Juli
1919 (3 Versch. Tit; Nr. 98;
Kampflieder. FSJ, Verlag Junge Garde (21.-40.
Tsd.), 1920, Nr. 6;
Kampfgesang. Proletarische Freiheitslieder, Berlin
(KAPD), 1920, Nr. 24;
21 = Kampfgesang. Proletarische Freiheitslieder,
Berlin (KAPD), 1921. S. 6;
Mit Gesang wird gekämpft’!, 1922, S. 8;
Kampflieder, VIVA, 1923, Nr. , S. 5;
Mit Gesang wird gekämpft’!, 1924, 21.
bis 30. Tausend, Verlag „Junge Garde“ Berlin O 17, Nr. 31;
Rot Front. Neues Kampf-Liederbuch, Berlin 1925,
Nr. 4;
Zum roten Sturm voran. Kampfliederbuch, Berlin
1926, Nr. 4;
Rot Front. Das neue Liederbuch mit Noten, 1927
(Verlag Junge Garde, Berlin) Nr. 5;
Front Kämpfer Liederbuch, 21.-40. Tausend,
Berlin 1928/29, Nr. 40;
Mit Lenin. 50 Kampflieder, 21.-40. Tausend (ca.
1928/29), Nr. 42;
Mit Gesang wird gekämpft’!, Verlag
Junge Garde, Verantwortl. Hermann Remmele, Berlin 1928, Nr. 71;
Arbeiter-Lieder (ca. 1929), Eine Sammlung
proletarischer Kampflieder, Wander-, Volks- und heiterer Lieder.
– Wien: Grünberg, 94 S. [Lammel, Biblio. Nr. 4040, S. 67
[wie Nr. 359 ] Nr. 51;
Arbeiter-Kampfliederbuch. (Paul Schmidt), Berlin
Ca. 1930, Nr. 3;
Arbeiter-Lieder (ca. 1930), KJVD, Verlag Junge
Garde: Hermann Remmele, Berlin, Nr. 51;
Arbeiterlieder. Unter roten Fahnen. Kampflieder,
ca. 1930 (Lammel Nr. 428), Nr. 29;
Hermann Böse, Das Volkslied. Für Heim
und Wanderung, 3. Verbesserte Aufl. 75.-84. Tausend, Berlin 1927. Nr.
226, S. 151;
spätere Zusammenfassungen
Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder
demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1962,
S. XX;
Nespital, Das deutsche Proletariat in seinem Lied,
Rostock 1932, S. 43:
61a = Inge Lammel, Lieder der Partei, Berlin 1961,
S. 26;
Lammel/Andert, Und weil der Mensch ein mensch ist,
Dortmund 1986, Nr. 10, S. 26f.
Reinhard Dithmar, Arbeiterlieder 1844 bis 1945,
Berlin 1993, S. 72;