Ermahnung
1. Wer nur den lieben Gott läßt walten
und zahlet Steuern allezeit,
der wird sich wunderbar erhalten
die Gunst der hohen Obrigkeit.
Den weist man nicht als Demokrat
in heil’ger Scheu hinaus zur Stadt.
2. Was hilft uns denn das Agitiren,
was hilft uns unsre Wühlerei,
wofür uns täglich inquiriren
die Herren von der Polizei?
Stets unsre Klage leer verhallt
am Ohr der herrschenden Gewalt.
3. Man bleibe nur in Ehrfurcht stille
und rüge keinen Uebelstand,
wenn man auch deren eine Fülle
im heil’gen Deutschen Reiche fand.
Er, der die Steuersummen zählt,
er weiß, wie viel dem Volke fehlt.
4. Man kennt die rechten Ruhestörer
und giebt auf ihre Reden Acht,
mit denen diese Freiheitslehrer
den Staat fast in Gefahr gebracht.
Sie müssen, eh’ wir’s uns
versehn,
gar oft per Schub auf Reisen gehen.
5. Denk’ nicht, daß dir bei solcher
Reise
Freizügigkeit dein Recht verschafft,
die Polizei nach alter Weise
Uebt ihres strengen Hausrechts Kraft.
Sie ist’s, die jeden deutschen Mann
bestrafen und verweisen kann.
6. Drum gehe stets auf Gottes Wegen
und thue Alles pflichtgetreu,
was man dir nur will auferlegen,
wenn du auch hungern mußt dabei.
Dann weist dich des Gesetzes Wort
nicht aus dem Polizeistaat fort.
Geschichte / Kommentar:
Das Lied „Wer nur den lieben Gott
läßt walten“ war im 19. Jh. ein Lied von Max Kegel als Antwort auf das
Kirchelied mit gleichem Anfang. Er versuchte damit auf ironische Weise
die kirchliche Kumpanei mit den Herrschenden zu konterkarieren.
Das Kirchenlied
„Wer nur den lieben Gott
läßt walten“ wurde um 1641 von Georg Neumark gedichtet
und vertont. Mit seinen sieben Strophen will der Autor Trost spenden
und wirbt gleichermaßen um Gottvertrauen. Man soll
gefälligst die Sorgen hinnehmen, dann wird schon alles gut, also,
bloß nicht aufmüpfig sein.
Das Lied erschien zuerst in Georg Neumarks Fortgepflantzer musikalisch-poetischer Lustwald (Jena 1657) und ist ab 1672 in der von Johann
Crüger begründeten Praxis
pietatis melica und 1704 im ersten Teil des
Geistreichen Gesangbuches von Johann Anastasius Freylinghausen verzeichnet.
Das Thema fand in Werken der Deutschen Klassiker
seinen Widerhall. Johann Sebastian Bach hat sich mehrfach des Themas
angenommen (BWV 84, 88, 93, 166, 179 und 197, 642, 647, 690, 691
Auch Felix Mendelssohn Bartholdy vertonte diesen
Choral, ebenso Jo9hannes Brahms (Deutsches Requiem), oder Robert
Schumann Klavierquartett Es-Dur op. 47 im ersten Satz.
Quelle:
Johann Most (erste Auflage vor 1873), Nr. 14,
Most’s Proletarier Ldb. 5, (Gustav Geilhof),
1875, Nr. 10,
Sozialdemokr. Ldb. 8. Aufl., Zürich, 1885,
Nr. 27,
Sozialdemokr. Ldb. 12. Aufl. London 1889, Nr. 32,
Max Kegel’s Sozialdemokr. Ldb., 1891, Nr.
56,
Arbeiter-Liederbuch. 21. Auflage. New-York 1894,
Nr. 55,
Max Kegel’s Sozialdemokr. Ldb, (8. Aufl.),
Stuttgart, 1897, Nr. 58,
Beißwanger, Freie Klänge,
Nürnberg, ca. 1900, Nr. 4,
Schlüter, Arb-Ldb, Chicago 1906, Nr. 48,
Liederbuch. Der freie Turner. 7. neubearb. und
vermehrte Aufl. Mit in den Text eingedruckten Singnoten, hrsgg vom
Arbeiter-Turnerbund, Leipzig 1905, Verlag des Arbeiter-Turnerbundes
(Franz Siedersleben)
Lieder-Buch des Turn-Vereins "Fichte".
Mitglied des Arbeiter-Turn- und -Sportbundes, Selbstverlag des Vereins,
Berlin 1920, 5. Aufl., S. 221;
Liederbuch. Der freie Turner. Mit in den Text
eingedruckten Singnoten, Leipzig 1923, Arbeiter-Turnverlag A.-G.,
Leipzig
5. Fichte Liederbuch ca. 1930, Nr. 339;
Werner Hinze, Johann Most und sein Liederbuch.
Warum der Philosoph der Bombe Lieder schrieb und ein Liederbuch
herausgab, Zeitdokumente 1-3 des e.V. „Musik von unten“,
Hamburg 2005, Nr. 14, S. 48.
Spätere Aufarbeitungen
Reinhard Dithmar, Arbeiterlieder 1844 bis 1945,
Berlin 1993. S. 187f. und S. 267