Voss (Voß), Fritz (2)
Der HLG veranstaltete Konzerte, darunter auch
Wohltätigkeits- und Volkskonzerte. Letztere, die bei kostenlosem
Eintritt ausgeführt wurden, fanden z. B. am 10.4.1894 „zum
Besten der Eimsbüttler Volksbibliothek im Vereinslokale (Ehlers)
Eimsbüttel“ statt (Mitwirkende waren Frau Zingg-Gayen
(Sopran) und Herr G. Kugelberg (Klavier), beide aus Hamburg);5 oder am 15.
November 1895 „zum Besten der Unterstützungskasse des
‚Vereins Hamburger Bürger zu Eimsbüttel’ im
Konzerthaus Hamburg“ unter Mitwirkung von Herrn A.
Schmidt-Schröeter [Violine] und Herrn A. Kleinpaul [Klavier],
beide ebenfalls aus Hamburg).6
Kommerse, Stiftungsfeste,
Privat-Aufführungen, Kränzchen, Sommer- und
Wintervergnügungen sowie Ausflüge ergänzten das
Vereinsleben. Darüber hinaus unternahmen die Aktiven auch
Sängerfahrten nach Kiel, Lübeck, Bremen und später
– im Oktober 1905 – sogar nach Dresden, Prag und Wien.
Am 24. April 1898 fand ein 1.
„Volksschülerkonzert“ statt, die von einem
„Ausschuß für Musik“ ins Leben gerufen worden
waren, zu denen u.a. auch A. Lemmermann und M. Laudan gehörten. Ab
1900 wurden jeweils im Frühjahr besondere Volksliederabende, ab
1906 Sonatenabende und ab 1907 Orchester-Konzerte und Kammermusikabende
ausgerichtet. Ab 1905 wurde die Arbeit des Vereins jährlich mit
4000 Mark von Senat und Bürgerschaft gefördert.
Anlässlich der Feier zum 25jährigen
Jubiläum 1911 wurde ein „vornehm ausgestettate[s]
Kommersbuch“ mit Beiträgen einzelner Sänger
zusammengestellt.
4. Die Volksliedforschung
Die wissenschaftliche Volksliedforschung hat ihre
Vorläufer in den Bemühungen einiger Romantiker. An erster
Stelle Johann Gottfried Herder mit seinen „Stimmen der
Völker in Liedern“ (1807). Allerdings war Herder von der
beißenden Kritik Friedrich Nicolais und der Gegenpublikation
„Ein kleiner feiner Almanach“ so beeindruckt, dass er sich
aus dem Geschäft zurückzog. Doch in die gleiche Zeit
fällt die Herausgabe von „Des Knaben Wunderhorn“ von
Achim von Arnim und Clemens von Brentano in den Jahren 1806-08 - der
Titel war keinesfalls sexistisch gedacht, darunter fällt
höchstens meine Bemerkung.
Aufgrund der Auffassung der deutschen romantischen
Schule von dem „Volk“ als einheitlichem Ganzen und seiner
unreflektierten, „unhistorischen Lehre vom Volksgeist als einer
immanenten, unveränderlichen Eigenschaft“ sowie
ihrer„Idealisierung des feudalen Mittelalters, des Katholizismus
und Mystizismus“ wurde eine wissenschaftliche Erarbeitung der
musikalischen Volkskultur erheblich erschwert.
Obwohl also der Beginn der Volksliedforschung
unter keinem glücklichen Stern stand, begann die Forschung ab
ca.1815 mehr und mehr wissenschaftliche Prämissen zu schaffen.
Hierfür stehen hauptsächlich Jakob Grimm, Ludwig Uhland und
Hoffmann von Fallersleben, die beiden letztgenannten zeigten auch in
der Zeit des Vormärz demokratisches Bewusstsein und ließen
diesbezügliche Impulse in die Volksliedforschung einfließen.
Zum Freundeskreis um Hoffmann von Fallersleben gehörte Ludwig Erk,
der in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Volkslieder zu sammeln
begann und zu einem der größten Sammler werden sollte.
Leider wurde die nach seinem Tode in drei Bänden herausgegebene
Sammlung „Deutscher Liederhort“ durch Franz Magnus
Böhme in vielen Fällen der politischen Artikulation des
Volkes gegen staatliche Willkür entledigt und somit ein für
die Obrigkeit wohlgefälligeres Werk.
Als sich 1905 in Hamburg die deutschen
Volkskundevereine, die sich kurz zuvor zu einem Verband
zusammengeschlossen hatten erstmalig trafen, wurde auf Betreiben John
Meiers beschlossen, eine umfangreiche Sammlung deutscher Volkslieder zu
schaffen. Diese Bestrebungen führten zur Gründung des
Deutschen Volksliedarchivs (DVA) in Freiburg am 1. Mai 1914.
5. Die zweite Einflussmöglichkeit: Die
Jugendbewegung
Die zum Ende des 19. Jahrhunderts sich
entwickelnde Jugendbewegung mit ihrer Vielzahl an
„Wandervogel“ Gruppen übte auf fast alle anderen
Organisationen und Gruppen einen Immensen Einfluss aus. Besonders das
Liedrepertoire das einerseits auf die neue Art des Wanderns und
andererseits besonders die romantischen Vorstellungen, die die
Jugendlichen auf die wandernden Scholaren des Mittelalters
projizierten, abgestellt war. Besonders das Liedrepertoire des 15. und
16. Jahrhunderts spiegelte sich in ihren Liederbüchern wieder.
6. Fritz Voß’ Ambitionen
Doch konkret zu den Ambitionen, die Fritz
Voß in seinem Vorwort der ersten beiden Hefte anführt:
Ganz im Sinne von Forschung und Jugendbewegung
will Voß mit seinen Hefen „das Volkslied in weiten Kreisen
unseres Volkes wieder heimisch werden zu lassen“. Weiter
heißt es dort:
„Wie ehedem müssen seine innigen Weisen
und schlichten Worte bei der Arbeit, an Familienfesten, bei frohen
Gelagen als vertraute Begleiter geselliger Freuden erklingen; wie
ehedem sollen sie dem Alter die Erinnerungen an die frohen Zeiten im
fernen Jugendland wecken und der Jugend ein Ausdruck ihres starken
Empfindens sein.“
Aber er verkündet auch Ambitionen, die nicht
nur seine pädagogische Ausrichtung offenbaren:
„Zudem sollen sie den Kampf führen
gegen die Schundliteratur des Tages, gegen das Gassenlied, den
Operettenschlager, die von dem sangesfrohen Volk nicht gesungen werden,
weil es sie gern hat - sonst würden sie nicht so bald vergessen -
sondern nur, weil es das bessere nicht mehr kennt.“
Während Voß mit diesen Vorstellung des
„guten“ Volksliedes vielen damaligen Liedforschern und wohl
auch vielen Wandervögeln aus der Seele sprach, riefen seine
weiteren Ausführungen sicherlich auch in den genannten Kreisen
Stirnrunzeln hervor:
„Vor allem ist das Volkslied den
Großstädter fremd geworden. Die Großstadt der
Gegenwart mit ihrer unruhigen Hast läßt die notwendige
Vorbedingung für das Wachsen und Blühen des Volksliedes, die
gemütliche Geselligkeit, vermissen; ja selbst die
Fröhlichkeit des Landlebens hat der harte Kampf ums Dasein
getrübt und der rastlose, lärmende Verkehr hat die Innigkeit
und Stimmung des Zusammenlebens auf dem Lande zerstört. So kommt
es, daß wir gegenwärtig nur zwei Örter haben, an denen
das Volkslied eine weitgehende Pflege und Weiterbildung erfährt:
auf der Hochschule unter den Studenten und in der Kaserne unter den
Soldaten.“
Als „natürliche Ergänzung dieser
beiden geselligen Gemeinwesen“ sieht Voß die Schule. In
seiner Begründung schwingen deutlich Bemühungen mit ein, die
aus dem Kreis der Jugendbewegung stammen dürften:
„Ihre leichtbewegliche, fröhliche
Geselligkeit bietet den günstigsten Boden, auf dem das deutsche
Volkslied sich entfalten kann. Trotzdem ist man ängstlich
bemüht gewesen, die Schule vor dem unverfälschten Volksliede
zu bewahren; redet es doch in seiner weitaus größten Zahl
von des Herzens Leid und Freud. Aus falscher Scham verbannte man aus
der Schule, was das Leben der Jugend in allen seinen Beziehungen zeigt
und stempelte damit das edelste Verhältnis zu etwas Verwerflichem.
Oder ist es nicht das herrlichste im Menschenleben, wenn sich zwei
Menschenkinder in inniger Zuneigung finden und in unwandelbarer Treue
halten? Besteht nicht der Reichtum des Lebens darin, daß zwei
Menschen einander in treuer Liebe dienen und Leid und Freude
miteinander teilen? Sind Vater und Mutter nicht selber Braut und Schatz
und Freier gewesen? Wir nehmen der Jugend nicht die Keuschheit der
Seele, wenn das Volkslied in zarter Keuschheit zu ihr redet.“
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Fußnoten:
5. Chronik, S. 134
6. Chronik, S. 135