Arbeiter-Trinklied
1. Trinkit, Kam’raden, Brüder,
Schwestern!
Wollen uns der Sorg’ entschlagen,
denken nicht, was heut’, was gestern,
nicht was in den nächsten Tagen!
Ob auch schwer uns drückt das Leben,
einmal wollen froh wir sein,
laßt die Gläser uns erheben,
schönes Mädchen, schenk uns ein!
2. Wie wir blicken in der Runde,
Klar und hell nur treue Augen;
hier in unserm Freundschaftsbunde
Mag ein falscher Schelm nicht taugen!
Trauriger Kumpan im Leben,
der nicht Treue halten kann –
laßt die Gläser uns erheben,
auf die Treue stoßet an!
3. Wahre Liebe, wahre Treue,
treu im Leben, treu im Sterben!
Möge nie uns bittÄre Reue
eine Stunde je verderben!
Treu dem wahren Freiheitsstreben,
Schmach, wer feig sich bückt im Joch!
Laßt die Gläser uns erheben,
Trinkt! die Freiheit lebe hoch!
4. Mag die Falschheit sich erboßen
und am eignen Gift ersticken,
mögen spöttisch auch die Großen
auf die rauen Hände blicken –
Treu und frei und mutig wollen
wir bestehn des Lebens Strauß!
Darauf, Brüder, trinkt die vollen
Gläser bis zur Neige aus!
Geschichte / Kommentar:
Das Trinklied, das sich nicht nur an
Kam’raden und Brüder, sondern auch an Schwestern wendet,
haben wir nur in Herman Schlüter „Sozialistischem
Arbeiter-Liederbuch“ von 1907 aus Chicago gefunden.
Leider verliert es auch gleich wieder seinen
anfänglich emanzipatoschen Ansatz, das es doch wieder nur ein
„schönes Mädchen“ ist, das den mutmaßlichen
Wein einschenken soll und am Schluss sind es nur noch die Brüder,
die mittrinken sollen. Davon abgesehen ist es aber ein Beispiel eines
frischen der nicht so häufigen Trinklieder jener Szene und Zeit
und es spricht ja immerhin einige wichtige Vorstellungen und
Wünsche an.
Quellen:
Hermann Schlüter, Sozialistisches
Arbeiter-Ldb, Chicago, o. J. (ca. 1906), Nr. 16, S. 29f.