Ein anderes „Dreigespann“
1. Seht ihr die Löwen an dem Schilde,
Der einen mächt’gen Schlüssel
trägt?
Mir wird bei diesem Wappenbilde
Der Stolz erhöht, das Herz bewegt.
2. Dies Wappen ist das stolze Zeichen
Der alten treuen Hansastadt,
Die übers Meer zu allen Reichen
Ihr Rot und Weiss getragen hat.
3. Hell glänzte in dem Hansabunde
Der Brema Schlüssel alle Zeit;
Auch heut strahl’ er in unsrer Runde
In alter Macht und Herrlichkeit!
4. Der brave Schlüssel will bezeugen
Dass gern er öffnet gastlich Thor;
Doch nimmer soll den Bart er beugen
Der Willkür! Da sei Gott davor!
5. Gieb gern dem Kaiser, was dem Kaiser,
Du treue Stadt im deutschen Land,
Und pflück’ dir neue Ehrenreiser
Durch schlichter Bürger thät’ge
Hand!
6. Wir aber singen dir zu Ehren:
„Hell glänz’ dein Schild, und
gutes Recht
Mög’ sich in Bremens Schoss
bewähren
Bis zu dem fernesten Geschlecht!“
Geschichte / Kommentar:
Der Germanist Otto Boehm, ein „monarchisch
gesinnter Reichsdeutscher“, wie er sich selber bezeichnet,
beschreibt das Lied und das fanden wir so entlarvend und bezeichnend,
dass wir nicht darauf verzichten konnten, es hier zu dokumentieren (wir
würden aber gerne noch mehr über das Lied erfahren –
wer weiß mehr?):
„Obwohl verschiedene Lieder zum Preise
Bremens gedichtet worden sind, hat doch keins von ihnen als allgemeines
Volkslied Aufnahme gefunden. Erst im letzten Jahrzehnt scheint sich ein
solches das Bürgerrecht sowie Sitz und Stimmt bei festlichen
Versammlungen patriotischer Männer verschafft zu haben. Es ist
verfasst von dem bremischen Reichstagsabgeordneten Hermann Frese, hat ganz das Zeug
eines prächtigen Volksliedes in sich und verdient auch diese
Stellung zu erhalten. Nur eins ist schade, die Wahl der Melodie. Denn
es wird bis jetzt gesungen nach der Melodie des russischen Volksliedes
‚Das Dreigespann’ welches nach dem russischen Texte mit den Worten
‚Seht ihr drei Rosse vor dem Wagen’ beginnt, in
Deutschland seit 1840 bekannt geworden ist und namentlich in den beiden
Jahrzehnten darauf viel gesungen wurde. Wie kann man bloss diese
echtrussische Schlafmützenmelodie einem begeisterten Hansaliede zu
Grunde legen, einem Liede zum Preise des rührigsten
Bürgertums in der ganzen Welt! Eine einschläfernde,
träumerische Schlummerweise als musikalischer Ausdruck für
den Preis der grössten Thatkraft! Das ist doch offenbar eine
grosse Geschmacksverirrung.“
Quelle:
Otto Boehm: Die Volkshymnen aller Staaten des
deutschen Reiches. Beiträge zu einer Geschichte über ihre
Entstehung und Verbreitung. Wismar 1901, Nr. , S. 77f.