Musikalische Tradition der Arbeiterbewegung (3)


8.3.2. Ausdrucksmittel / Motive

Religiöse Motive
Unter den Motiven stellen die religiösen einen erstaunlich großen Anteil. So wird das bereits erwähnte gleiche Recht sehr häufig zu einem heiligen Recht überhöht. Friedrich Engels bezeichnete Luthers Reformationslied Ein feste Burg ist unser Gott als die Marseillaise des 16. Jahrhunderts ( Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Werke Bd. 20. S. 33f, hier nach Speer S.).  In diesem Vergleich spiegelt sich analog die Gleichsetzung der beiden Bewegungen und ihrer kulturellen Ausdrucksformen wider. Also auch eine Übertragung religiösen Absolutismus` als parteipolitisches Dogma.

Mehrere Lieder haben Luthers Melodie als Grundlage, einige benutzen assoziativ sogar seinen Text: „Ein feste Burg ist unser Bund“ (Jacob Audorf, Volksgesang) - „Ein feste Burg is unser Gott Der ‘freie Geist der Wahrheit’!“ sagt gar Carl Weiser in seinem Arbeiter-Choral. Der gleiche Autor schrieb ein zweites Lied auf die Melodie Ein feste Burg ... das er Der Menschheit Kriegs-Gesang nannte. In dem Lied Männer der Arbeit eines unbekannten Autors heißt es „Wer zieht als Apostel durch`s ganze Land Und predigt den darbenden Brüdern, dem schaffenden recht- und besitzlosen Stand ...“ (Most Ldb. 1873, Nr. 2, 3.Str., S. 18f.)


Naturbilder
Aus der Tradition des Volksliedes stammen die häufig auftretenden Naturbilder wie z.B. Frühling oder Sommer. In Herweghs Bundeslied hörten wir bereits:

Menschenbienen die Natur
Gab sie euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?

Der Sturm erhällt meisten eine positive, revolutionäre Kraft. Hermann Greulich sagt in seinem „Pfingstlied“:

Wir woll`n zusammentreten,
Ein ernst Gebet zu beten:
Ein Kraftgebet: Erlösung aus der Not!
Das Sturmgebet der Arbeit für ihr Brod.

Und in der Internationale scheint zum Schluss des Liedes
die Sonn` ohn` Unterlaß.


Symbole
Die Symbole der Arbeiterbewegung finden sich in ihren Liedern wieder und ihre fast kultische Funktion erhält seine Entsprechung. An erster Stelle steht die Fahne bzw. das Banner der Organisation. Die Fahne ist meistens rot. Sie schreitet voran und gibt die Richtung an: nach vorne, d.h. in die Zukunft.


Ein Beispiel für den kultähnlichen Gebrauch eines Banners

Hermann Moelkenbuhr, Zigarrenarbeiter aus Ottensen und späterer Reichstagsabgeordneter wurde 1881 ausgewiesen. Es gelang ihm das Banner der Liedertafel „Lassallea“ zu retten. Als er nach dem Fall des Sozialistengesetzes zurückkehrte übergab er dem Nachfolgeverein Ottenser Männerchor Lassalle in einem feierlichen Akt die Fahne zurück.



9. Die Instrumentalmusik

Zum Ende des 19. Jh. bildeten sich die ersten Instrumentalgruppen in den industriellen Zentren. Voraussetzung für die Bildung von Gruppen oder gar Orchestern war die Preislage und die leichte Erlernbarkeit des Instruments. Außerdem sollte es möglichst in den funktionalen Zusammenhang des engagierten Arbeiters passen, d.h. es sollte für Wanderungen und Demonstrationen geeignet sein. Hier empfahlen sich Mundharmonika, Bandoneon, Trommel, Gitarre, Mandoline, Waldzither, Schalmei oder Trompete.

Erste organisatorische Formen entstanden zu Beginn dieses Jh., z.B.:

1906      der Bund sächsischer Arbeiter-Mundharmonika-Vereine
1912/13   der Arbeiter-Bandonion-Bund von Rheinland-Westfalen“
1913      der Norddeutsche Mandolinisten Bund


10. Agitationsgruppen

Als letztes Beispiel möchte ich eine Agitationsgruppe darstellen, die eine Art Vorläufer der in den 1920er Jahren so beliebten Agit-Prop-Truppen darstellt.

Der 1857 bei Bromberg geborene und spätere Holzbildhauer Boleslav Strzelevicz „bildete 1893/94 eine kleine Truppe von drei Personen, um unter dem Namen ‘Gesellschaft Vorwärts’ in den Arbeiterorganisationen politisch-satirische Abende zu veranstalten“. Ihr Programm bestand aus kleinen Bühnenstücken und Schwänken, Gesängen von Liedern (häufig solistisch oder im Duett) und Lesungen von Gedichten. Sie betrieben ihre musikalischen Vorträge berufsmäßig (Gewerbeschein) und erlangten nach einiger Zeit solche Berühmtheit, dass sie es sich leisten konnten „nur noch auf Bestellung der Arbeiterorganisationen“ aufzutreten. Die Gruppe, die sich auch Sängergesellschaft nannte nahm aktiv am politischen Geschehen teil. „Um das jeweilige Publikum besser ansprechen zu können, legte die Gruppe in ihren Texten die Ortsbezeichnungen nicht fest; sie konnten so beliebig eingesetzt werden.“ Ihre Vorgehensweise trug kaum aufklärerische Züge. Mit emotional geladenen und pathetischen Texten versuchten sie die gewünschte Stimmung zu erzielen.





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