Rosen
auf den Weg gestreut
Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft -:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: „Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in
Fetzen!“
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihre Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.
Und schießen sie -: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
Gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen ...
Und verspürt ihr auch
In euerm Bauch
Den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft -:
Küßt die Faschisten, küßt
die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft
-!
Kurt Tucholsky
Lebenspflichten
1. Rosen auf den Weg gestreut,
und des Harms vergessen!
Eine kurze Spanne Zeit
ward uns zugemessen.
2. Heute hüpft im Frühlingstanz
noch der frohe Knabe;
morgen weht der Totenkranz
schon auf seinem Grabe
3. Wonne führt die junge Braut
Heute zum Altare:
Eh’ die Abendwolke taut,
liegt sie auf der Bahre
4. Ungewisser kurzen Dau’r
ist dies Erdenleben,
und zur Freude, nicht zur Trau’r
uns von Gott gegeben.
5. Gebet Harm und Grillensang,
Gebet ihn den Winden!
Ruht bei frohem Becherklang
Unter grünen Linden!
6. Lasset keine Nachtigall
unbehorcht verstummen,
keine Bien’ im Frühlingstal
unbelauschet summen!
7. Fühlt, so lang’ es Gott erlaubt,
Kuss und süße Trauben,
bis der Tod, der alles raubt,
kommt, sie auch zu rauben.
8. Unser schlummerndes Gebein,
in die Gruft gesäet,
fühlet nicht den Rosenhain,
der das Blück umwehet,
9. fühlet nicht den Wonneklang
angestoß’ner Becher,
nicht den frohen Rundgesang
Weingelehrter Zecher.
Geschichte / Kommentar:
Das Lied ist genau genommen ein Produkt der
kommunistischen Agitation und ein Resultat der Ungenauigkeit des
Faschismusbegriffs in der Zeit der Weimarer Republik (siehe dazu:
Werner Hinze, Schalmeienklänge im Fackelschein - auf der Website
„Tonsplitter") Der Begriff
„Faschismus" wurde von KPD und RFB für unterschiedliche
Phänomene genutzt. Zu unterschiedlichen Zeiten waren es
unterschiedliche Gruppierungen oder Menschen, die unter diesen Begriff
fielen. Teilweise war es einfach ein anderer Begriff für
"Kapitalismus", teilweise waren die rechten Verbände
damit gemeint und zu Beginn ebenso wie zum Ende der Weimarer Republik
auch die Sozialdemokratie. (Manches davon gilt erschreckender Weise
auch noch heute).
Angesichts der blutigen Auseinandersetzungen am
11. Mai 1924 in Halle, als die KPD mit ihren "Proletarischen
Hundertschaften" gegen eine Veranstaltung der sogenannten
Vaterländischen Verbände (Stahlhelmtag) vorging schrieb das
Parteiorgan Die Rote Fahne Nr. 52 v. 15.5.1924 den Slogan
"Arbeiter, schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft"
Im Januar 1930 wurde diese Formulierung von der kommunistischen
Presse wieder aufgenommen und dürfte dann (1931) von Tucholsky
aufgenommen worden sein. Was also hier so friedlich rüberkommt hat
einen aggressiven Hintergrund (Hinze, Schalmeienklänge, S. 319).
Wie nun der Titel des Liedes aus der
Volksliedtradition dazu gekommen ist, können wir zur Zeit noch
nicht sagen. Dazu schrieb 1895 Franz Magnus Böhme:
„Gedichtet von Hölty 1778, Zuerst
gedruckt im Voss. „Musenalmanach für 1778“ S. 171.
Melodie von J. F. Reichardt, zuerst in dessen ‘Oden und
Lieder’. Berlin 1779. (Vorw. vom 1. Aug. 1779.) Reichardt hat je
zwei vierzeilige Strophen zusammengefaßt und die 4. Str.
ausgelassen. Später in ‘Claviermusik zu den Liedern
geselliger Freude’ Nr. 78 hat er die Melodie so geändert,
daß sie als Ueberarbeitung des Gaudeamus erscheint. – Text
hier nach dem Original wieder hergestellt aus Hölty’s
Gedichte. Ausg. von K. Halm. 1870, S. 130.“
Quellen:
Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke Bd. 9 (1931),
Reinbeck bei Hamburg 1975, S. 162f.
F. M. Böhme, Volkstümliche Lieder der
Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895, Nr. 653, S. 484f.
Siehe auch:
Liederbuch des Handwerker-Vereins zu Potsdam 1859,
Kap. 4. Gesellschaftslieder Nr. 149, S. 121