Der reichste Fürst
1. Preisend mit viel schönen Reden
:,: ihrer Länder Werth und Zahl. :,:
saßen viele deutsche Fürsten
:,: einst zu Worms im Rittersaal. :,:
2. Herrlich, sprach der Fürst von Sachsen,
ist mein Land und seine Macht,
Silber hegen seine Berge
wohl in manchem tiefem Schacht.
3. Seht mein Land in üppiger Fülle,
sprach der Churfürst von dem Rhein,
goldne Saaten in den Thälern,
auf den Bergen edler Wein.
4. Große Städte, reiche Klöster,
Ludwig, Herr zu Baiern, sprach,
schaffen, daß mein Land den euern
wohl nicht steht an Schätzen nach.
5. Eberhardt, der mit dem Barte,
Würtemmbergs geliebter Herr,
sprach: mein Land hat kleine Städte,
trägt nicht Berge silberschwer.
6. Doch ein Kleinod hälts verborgen:
daß in Wäldern noch so groß
ich mein Haupt kann kühnlich legen
jedem Unterthan in Schoß.
7. Und es rief der Herr von Sachsen,
der von Baiern, der vom Rhein:
Graf im Bart, ihr seit der reichste,
euer Land trägt Edelstein!
Geschichte / Kommentar:
Das Gedicht vom reichen Fürsten schrieb
Justinus Kerner im Jahre 1818 zu Ehren des Grafen Eberhard im Bart. Es
bezieht sich auf die Sage, die der Fürstenversammlung von 1486 zu
Worms.
Der Text wurde auf die Melodie zum Lied „in des Waldes tiefsten Gründen“, das in dem Roman
„Rinaldo“ von Vulpius 1800 vorkommt geschrieben. Kerners
Gedicht wurde zuerst in Morgenbl. 181 Nr. 124 publiziert. Und obwohl
(oder gerade weil?) es sich bei Rinaldo um einen Räuberhauptmann
handelte wurde es zur inoffiziellen Landeshymne Württembergs.
Das Lied war bis in die Mitte des 20. Jahrhundert
sehr beliebt, ob dabei der Schluss eine Rolle spielt, der der
„Marseillaise“ entlehnt ist, ist allerdings reine
Spekulation. Aber, immerhin, auch das Lied von Rinaldo Rinaldini war
sehr beliebt und die Melodie wurde häufig für andere Texte
verwendet.
Franz Magnus Böhme schreibt ergänzend in
seiner Darstellung des Liedes (S. 600) anhängend:
„II. Nachtrag zu Nr. 14. Die Sage, welche
Jusinus Kerner in seiner Ballade „Der reichste Fürst“
verwerthet hat und die man auf die Fürstenversammlung in Worms
1488 bezieht, ist gedruck in Luthers Tischreden (1566), aber vorher
schon in Philippi Melanchthonis selectae declamationes, Argentor. 1559,
tom III p. 161 ss., wo es in einer 1552 gehaltenen Rede De illustri
principe Eberardo Duce Wirtsbergensi Academiae Tubingensis fundatore
folgendermaßen heißt:
‘in convenbu Vormaciensi cum Saxoniae duces
vocassent ad coenam duce Bavariae, Palatinos et ipsum [Eberardum] et
singuli suarum (civitatum?) ornamenta praedicarent, alii venas
metallicas, alii urbes, frumenta, vinum, sedit Tacitus auditor
Eberardus. Ibi tandem Albertus Saxoniae dux: „Cur non iubenus
etiam Ducem Wirtebergensem de sua patria loqui?“ Respondet hic
modeste : « Seio vuestras familia potentia, autoritate
et opibus antecellere, nee vobiscum certare possum, sed contentus sum
meo, et scio me Deo gratitudinem debere. At unum hoc praedivare me
posse existimo : Securus in medio aestu in campo et solus in
gremio cuiuslibet meorum elvium dormira possum. » Quid
significaret non obscurum erat. –
Daß Kerner den Stoff seines Gedichtes und
auch die Anlage und einzelne Wendungen aus Luthers Tischreden
geschöpft hat (vielleich nicht unmittelbar, sondern durch
Vermittelung eine sKompendiums der Würtemmbergischen Geschichte),
unterliegt wohl keinem Zweifel – Aus Anlaß der
Enthüllung des Eberhard-Denkmals in Stuttgar 1881 brachte der
Staatsanzeiger für Württemberg (S. 989) eine Zusammenstellung
der Gewährsmänner für obige Anekdote:
die angeführte Rede Melanchthons und Luthers
Tischreden, dann eine Biographie Melanchthons von J. Camerarius
(Leipziger Ausgabe 1566, S. 12), J. Manlius, locorum communium
collectanea, Francof. a. M. 1594, so wie endlich Gremmelshausens
Eimplicissimus, Buch 5, Kap. 18, wo der Held der Erzählung unsrer
Geschichte beiläufig als bekannt und mahnend erwähnt wird.
Obwohl von diesem Zeugnissen über die im 16. und 17. Jahrhundert
ziemlich verbreitete Sage keines auf die Zeit des Eberhadt mit dme
Barte (1445-1496) zurückgeht, ist P. J. Stälin in seiner
Geschichte Württembergs (12. Aufl. S. 709) geneigt, sie für
historisch zu halten.’“
Quelle:
Berliner Turnlieder – Buch. Mit einstimmigen
Singweisen, Berlin, bei Wilhelm Besser, ca. 1850 (?) Nr. 5, S. 65.
Franz Magnus Böhme, Volksthümliche
Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895, Nr. 14,
S. 10f. u. 600.