Landgänger
Landgänger waren Personen, die in Heimarbeit
Waren wie kleinen Schmuckbesen und bunten Fliegenwedel herstellten und
die sie verkauften, in dem sie durch die Lande zogen, als
„Landgingen“. Mit ihren Waren legten sie teilweise sehr
weite Strecken zurück. Manche kamen nicht nur nach Nordeuropa,
England und Frankreich, sondern sogar bis nach Russland, Kalifornien,
Afrika, Australien oder Neuseeland. Als auch das nicht mehr
genügte bzw. die Wege zu lang wurden, begannen sie sich Drehorgeln
(englisch „hurdy-gurdy“) und Harmonikas zu besorgen und
sich musizierend durchzuschlagen. Da Frauen viel mehr Geld dabei
verdienten, taten sie sich entweder zusammen oder manchen Frauen zogen
sofort alleine oder in Gruppen durch die Lande (siehe Hurdy-gurdy)
Das kleine Dorf Espa im nordöstlichen
Wetterauer Taunus bei Butzbach im Kreis Usingen (heute ein Ortsteil von
Langgöns im Lahn-Dillkreis) war im 19. Jh. ein so genanntes
„Landgängerdorf“. Bekannt wurde es durch das Lied der
untergegangenen Cymbria bzw. zweier Brüder, die darauf nach Amerika
fahren wollten, um ihre Waren zu verkaufen, dabei aber ums Leben kamen.
Der Pfarrer und Schullehrer in Espa schrieb in
seiner Erzählung „Hurdy-Gurdy, Bilder aus einem
Landgängerdorf“ u.a.:
„Erst wenn die Blätter fallen und die
Schwalben heimwärt ziehen, kehrt auch der Landgänger heim. Im
Sommer sind die meisten Häuser unbewohnt und Türen und
Läden geschlossen. Man trifft nur hier und da einen Ackersmann im
Felde. Alles ist so still und leer, wie ausgestorben. In der Umgegen
heißt es ‚Nur die alten Weiber und Schulkinder sind
daheim.’ Erst wenn es draußen in Feld und Wald stille wird,
wird es im Dorfe laut und lebendig. Hier rauscht ein rasselndes
Tambourin, dort klagt eine einsame Violine, hier orgelt eine Harmonika
die neuesten Lieder, dort übt sich ein ganzes Orchester.
Dazwiischen tönen dann die gellenden Stimmen keifender Weiber,
schreinder Kinder, das Fluchen der Männer, das Singen und Juchzen
der Jugend. Die Männer sind meistens im Wirtshaus bei Karten,
Würfeln und starken Getränken. Es ist da ein wildes
Lärmen und Gedränge, und englische und französsiche und
ganz fremdtönende Flüche schallen durcheinander. Goddam und
sacré Dieu heißt es herüber und hinüber, denn im
Dorfe werden fast alle europäischen Sprachen gesprochen,
vorzugsweise aber englisch und französisch. Mancher Junge und
manches Mädchen müssen erst in Deutschland deutsch sprechen
lernen … So geht es den ganzen Winter in Saus und Braus. Da wird
geschlachtet, gebaqcken, gesotten und gebraten; da wird getrunken,
gesungen und getanzt, bis der Schnee schnilzt und de Boden auftaut und
die erst Lerche trillert. Dann ist keine Ruhe mehr unter dem
Wandervölkchen. Dann verstummen die Gesänge und die
Harmonikas. Und wenn der Kuckuck schreit und die erste Schwalbe kommt,
ist niemand mehr da von diesen Zugvögeln.“