Die Lindenwirtin
1. Keinen Tropfen im Becher mehr,
und der Beutel schlaff und lehr,
lechzend Herz und Zunge.
Angetan hat’s mir dein Wein,
deiner Äuglein heller Schein,
/: Lindenwirtin, du junge! :/
2. Angekreidet wird hier nicht,
weil’s an Kreide uns gebricht“
lacht die Wirtin heiter.
„Hast du keinen Keller mehr,
gib zum Pfand dein Ränzel her,
aber trinke weiter!“
3. Täuscht der Bursch’ sein Ränzel
ein
gegen einen Krug voll Wein,,
tät zum Gehn sich wenden.
Spricht die Wirtin:
„Junges Blut, hast ja Mantel, Stab und Hut;
trink und laß dich pfänden!“
4. Da vertrank der Wanderknab’
Mantel, Hut und Wanderstab,
sprach betrübt: „Ich scheide.
Fahre wohl, du kühler Trank,
Lindenwirtin, jung und schlank,
liebliche Augenweide!“
5. Spricht zu ihm das schöne Weib:
„Hast ja noch ein Herz im Leib,
Laß mir’s, trauter Wandrer!“
Was geschah? - Ich tu’s euch kund:
Auf de Wirtin rotem Mund
heiß ein andrer brannte.
6. Der dies neue Lied erdacht,
sang’s in einer Sommernacht
lustig in die Winde.
Vor ihm stand ein volles Glas,
neben ihm Frau Wirtin aß
unter der blühenden Linde.
Geschichte / Kommentar:
Das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
äußerst populäre Lied wurde 1874 (gelegentlich wird
auch 1876 genannt) von Rudolf Baumbach (1840-1905) geschrieben. Zehn
Jahre später komponierte Franz Abt (1819-1885) die Melodie, mit
der das Lied ein weiteres Jahre später in Schauenburgs Lahrer
Kommersbuch gedruckt wurde. Bereits ein erneutes Jahr später soll
es an vielen Universitäten gesungen worden sein. Obwohl das Lied
auch in Kreisen der organisierten Arbeiterbewegung gesungen wurde,
ranken sich besondere Geschichten hauptsächlich in studentischen
Kreisen.
Am Rhein verstand es die Besitzerin der Kneipe
„Zum Godesberg“ Aennchen Schumacher besonders gut, die
Popularität des Liedes für sich zu vermarkten. Sie sang
häufig das Lied in ihrem Etablissement mit ihren Gästen und
animierte damit einige Herren Professoren eine Zusatzstrophe zu
schreiben:
„Wißt Ihr, wer Frau Wirtin war.
Schwarz das Auge, schwarz das Haar?
Aennchen ist’s, die feine.
Wißt Ihr, wo die Linde stand?
Jedem Burschen ist’s bekannt:
Godesberg - am Rheine.“
Die Linzer Tagesport v. 19.5.1928 schrieb
über die klevere Wirtin u.a., dass die Werbekampagne der Wirtin
eine Verquickung von Aennchen von Godesberg und der Lindenwirtin, die
bald „nicht mehr zu trennen“ waren. Baumbach soll ihr
später sein bild gesandt haben und das Lied erlangte
internationale Berühmtheit. Später gab es gar eigene
„Ännchen-Liederbücher“.
Die spontan entstandene Verquickung von
Lindenwirtin und Aennchen hat auch weniger angenehme Folgen gezeitigt.
Zuerst kam der humorvolle Moralist mit der Zusatzstrophe:
„Als der Lindenwirt gesehn,
Was mit seiner Frau geschehn,
Ging er hin geschwinde,
Holte seinen Wanderstab,
Schlug damit den Wanderknab
Unter der blühenden Linde.“
Ein weiteres Anhängsel an das Lied (wie auch
an einige andere) war die folgende Strophe:
„Und das kommt in den feinsten Familien vor,
Familien vor, Familien vor, und das kommt in den besten Familien vor,
in den besten Familien vor.“
Auf die Melodie geschrieben wurden:
Quelle:
Allgemeines Deutsches Kommersbuch.
Ursprünglich herausgegeben unter musikalischer Redaktion von
Friedrich Silcher und Friedrich Erk, Lahr 1919 (111.-114. Aufl.), S.
366 Nr. 400
Hermann Böse, Volkslieder für Heim und
Wanderung. Im Auftrage der Zentralstelle für die arbeitende Jugend
Deutschlands, Berlin 1914 (Verlag: Buchhandlung Vorwärts Paul
Singer G.M.B.H., Berlin S.W. 68 [Hans Weber, Berlin], S. 112, Nr. 134.