„Die Gigerlkönigin“
1. Ich kleid’ mich stets nach neuester Facon
beweg’ mich im Salon,
ich erfinde neue Moden,
was ich trage, das ist Schick,
man sieht’s am ersten Blick!
Ich hab’ sogar im Schuh mein Monogramm
als echte Modedam;
von den Strümpfen angefangen
bis hinauf zu der Frisur
trag ich das feinste nur!
:/: Schaun sie sich nur, ich bitt,
diesen eleganten Schnitt,
da sieht doch g’wiß ein jeder
gleich,
ich bin die Gigerlkönigin :/:
2. Wenn ich in dem légèren Tempo
hier am Corso promenier,
schlag’ ich alle Gigerldamen,
mach’ am meisten Sensation
als Löwin der Saison!
Die Hand, die wird aufs feinste stets gantiert
den Blicken präsentiert!
Ich führ’ mein Lorgnett zum Auge
graziös und elegant
und g’wiß recht nonchalant!
:/: Schaun sie sich nur, ich bitt,
diesen eleganten Schnitt,
da sieht doch g’wiß ein jeder
gleich,
ich bin die Gigerlkönigin :/:
3. Ich kenn die Gigerldamen von Berlin
und kenn’ auch die von Wien!
Ich studierte auch mit Eifer
die von London und Paris
im Gigerlparadies!
Ich sah viel Gigerln auch am Newastrand,
sah alle, und ich fand,
daß ich alle übertreffe,
denn bei mir ist das vereint,
was einzeln sonst erscheint!
:/: Schaun sie sich nur, ich bitt,
diesen eleganten Schnitt,
da sieht doch g’wiß ein jeder
gleich,
ich bin die Gigerlkönigin :/:
Geschichte / Kommentar:
Von allen Soubretten und Chansonniers, die um die
Wende von 19. zum 20. Jahrhundert in den vielen Varietés
Deutschland auftraten wurden Paul Linckes Lieder, Couplets und Chansons -
meist mit den Texten von Heinrich Bolten-Baecker - gesungen. Den Text
zur 1893/94 aufgeführten „Gigerlkönigin“ schrieb
allerdings ein Poet namens Jürgens.
Der Refrain des Liedes fand viele Freunde. In
Hamburg macht Ludwig Wolf (Gebrüder Wolf) daraus ein eigenes
Couplet mit dem Titel „Das ist ein Geschäft“
(„Seht, seht, das ist ein Geschäft, / das bringt noch was
ein! / Ein jeder aber kann es nicht, / denn es muß verstanden
sein.“) Die Wolfssche Variante fand später in den
Auseinandersetzungen der Weimarer Republik eine politische Nutzung. Die
Hamburger kommunistisch Agitproptruppe „Die Nieter“ (Agitprop): „Seit ihr achtzig
Jahre Leute ...“
Aus der Hansestadt und Berlin sind weitere
Parodien bekannt, deren langlebigste wohl jene von den Äppel
klauenden Jungs. In Hamburg wurde Linckes Kehrreim mit anderem neuen
Text an ein anderes Couplet der Gebrüder Wolf bearbeitete hatte
angehängt („An de Eck steiht’n Jung mit’n
Tüdelband“). Die Refrains lautetet nun u.a.:
Variante 1
Klau’n, klau’n Äppel wollen wir
klau’n
ruckzuck über’n Zaun
ein jeder aber kann das nicht,
er muß aus Hamburg sein.
Variante 2
Klau’n, klau’n Äppel wollen wir
klau’n
man muß sich boß mal traun.
Mutter Ihde seggt, de Äppel sünd slecht
de loot sik gornich verdaun.
Verantwortlich für diese Änderung waren
beispielsweise die „Falkenberger“. Eine Jugendgruppe die
nahe Hamburg, in der Neugrabener Heide, gern auf einer 68 m hohen
Erebung eben diesen Namens herumtollten. Nicht weit entfernt befindet
sich ein weiterer Hügel, auf dem sich noch heute ein Hoten namens
„Sennhütte“ befindet, das im Volksmund
„Alm“ hieß. Hier sangen die „wilden
Wandervögel“:
Fiete, Fiete, Fiete von der Alm
hett de Büx vull Qualm
und hett he nich de Büx vull Qualm
is he nich Fiete von der Alm.
In Berlin wurde vermutlich auf den Komponisten
gesungen:
Paul, Paul, zuckersüßer Paul,
frisch rasiert ums Maul,
in jedem Strumpf hast du ein Loch,
aber reizend bist du doch.
Siehe auch:
Quelle:
Hans Ostwald, Lieder aus dem Rinnstein Bd. 3,
Leipzig und Berlin 1906, S. 110-113 (3.6.100)
Erkl.: Gedichtet und nach der Melodie „Die
Gigerlkönigin“, vorgetragen in der Kaschemme von Dally von
Plansch-Näse, Einbrecher und Gelegenheitsdichter