Arbeiterliedarchiv
Lancken
Auswandererlied
aus Baden
1. Heil dir, Columbus, sei gepriesen,
Sei hoch geehrt in Ewigkeit!
Du hast mir einen Weg gewiesen,
Der mich von harter Dienstbarkeit,
Errettet hat, wenn man es wagt
Und seinem Vaterland entsagt.
2. Hier ist der Mensch an nichts gebunden,
Was er erwirbt, gehört auch sein,
Die Steuern sind noch nicht erfunden,
Die unser Leben machen zur Pein.
Wer redlich schafft der hat sein Brot,
Er leid’t kein Mangel und kein’ Not.
3. Befreit bin ich von der Beschwerde,
Die in Europa euch bedrückt
Und täglich tut es besser werden,
Wohin auch nur das Auge blickt.
Amerika beut Freundlichkeit,
Dem Armen an und Seligkeit.
4. Hier in Amerikas freiem Lande,
Da habens wir kein’ Adelsstand,
Da ist der Mensch von jedem Stande
Als Mensch auch wahrhaft anerkannt.
Hier gilt der Graf und der Baron
Nicht mehr als wie der Bauernsohn.
5. Wir haben hier auch zum Exempel
In dem gelobten Lande hier,
Auch das Geringste nicht vom Stempel
Auf jeden Bogen Schreibpapier.
Wir haben keine Steuern hier
Auf Wein und Branntenwein und Bier.
6. Ach Bruder, kannst du’s nur bezwecken,
Reicht dein Vermögen nur soweit,
So laß dich doch die Reis’ nicht
schrecken,
Und mach zur Abfahrt dich bereit.
Hier wirst du von der Steuerpein
Auf ewig wohl befreiet sein.
7. Bedenke nur, wie ihr tut leben,
Bedenke nur das teure Holz,
Auch Steuern müßt ihr so viel geben
Das Salz trägt einen großen Zoll,
Für jede Scholle müßt ihr zinsbar
sein,
Ist das dem Bauern nicht die Höllenpein?
8. Bedenk’ nur, wie der Reiche lebet
In seinem großen Überfluß
Und wie er sich damit erhebet,
Weil ihm der Arme Zinsen muß,
Legt er die Hand ihm untern Fuß,
Der Anne ihm doch zahlen muß.
9. Nun will ich dieses Lied beschließen,
Will Deutschland sagen gute Nacht,
Und sollt’ es jemand besser wissen,
so steht’s in seiner eigenen Macht,
ich aber denk, ‘s ist gut gedacht,
Drum sag’ ich Deutschland gute Nacht!
Werner Hinze, „Hier hat man täglich
seine Noth". Lieder von Auswanderern, Hamburg 2009,
Kann bei MVU bestellt werden:
Geschichte / Kommentar:
Schon in der Zeit des Vormärz mit seinen
häufigen ökonomischen Krisen waren Zehntausende aus
Deutschland in andere Teile der Welt - auch nach USA - ausgewandert.
Das verstärkte sich nach dem Scheitern der Revolution 1848/49. Vor
allem aus Baden, Württemberg und Sachsen kamen die
Hauptkontingente der Auswanderer. Bauern, Handwerker und in geringem
Maße Arbeiter verließen die Heimat, um in der Fremde Schutz
vor Verfolgung und bessere wirtschaftliche Bedingungen zu finden.
„Allein in dem Jahrzehnt 1848-58 wanderten
in meinem Pfarrdorfe Zuzenhausen a. Elsenz 120 erwachsene Personen aus,
die mitziehenden Kinder nicht eingerechnet, also der sechste Teil der
Gesamteinwohnerschaft des Ortes... Aus dieser wehmütigen, zum Teil
auch verbitterten Stimmung heraus müssen die volkstümlichen
Auswandererlieder, wie sie jetzt noch bei unserem Landvolk erschallen,
verstanden und gewürdigt werden“, wie ein Ohrenzeuge
feststellte (Glock, S. 39f.).
Amerika erscheint in den meisten dieser Lieder als
das „gelobte Land“, denn seine Befreiung von der kolonialen
Vorherrschaft Englands hatte im 18. Jahrhundert in Europa gewaltigen
Eindruck gemacht. Man sollte aber nicht übersehen, daß
einige solcher Lieder auch bestellte „Propagandalieder“
waren, die von Schiffahrtsgesellschaften verbreitet wurden (Vgl.
Steinitz 1, S. 117), was für das obige Lied aber wohl nicht
zutreffen dürfte.
Die Gruppe Liederjan hat den Text mit der Melodie
des Liedes „Auf ihr Brüder laßt uns wallen“ (Die Auswanderer
nach Amerika, EB II Nr. 796, S. 597) gesungen.
Quellen:
Wolfgang Steinitz, Volkslieder demokratischen
Charakters, Bd. 1, Berlin 1954, S. 117f.
Historische Lieder aus acht Jahrhunderten, Hamburg
1989, S. 72f.
Werner Hinze (Hg.), Historisch-politische Lieder
aus acht Jahrhunderten, Kiel 2009, S. 128f.
W. Linder Beroud, in: Werner Hinze, „Hier
hat man täglich seine Noth". Lieder von Auswanderern, Hamburg
2009, S. 50 und 129f.
Ludwig Erk u. Franz Magnus Böhme, Deutscher
Liederhort, Bd. 2, Leipzig 1925, Nr. 796, S. 597.
Discographie:
Liederjan, Volksmusik aus der heilen Welt -
Polydor 2371928, LC 0309
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Sitte und Brauch