S. 31
Das goldene Kalb.
(1874.)
Kinder Israels – sie sprangen
Um das gold’ne Kalb herum,
Sie bejauchzten, sie besangen
Diesen Gott, der kalt und stumm.
2. Kalt und stumm!? – O welches Leben
Hat der gold’ne Gott gezeigt.
alles Schaffen, alles Streben
Opfernd hat man ihm gereicht.
3. Ja, man hat gepflegt ihn treulich,
Aus dem Kalb ein Ochse ward;
Und das ist doch wohl verzeihlich,
Denn es liegt so in der Art.
4. Ward so recht ein großer Ochse,
Um ihn tanzt die ganze Welt,
Atheisten, Orthodoxe,
Bis der „Schwindel“ sie befällt.
5. Bis sie schwindlich niederfalen
Mit Gewimmer und mit „Ach“
Und im Falle winselnd lallen
Ueber den gewalt’gen „Krach.“
S. 32
6. Doch es eilen andre Schaaren
Rasch herbei zum tollen Tanz,
Und die eben voran waren,
Springen um des Ochsen Schwanz.
7. Also geht es immer weiter,
Einmal Jene, einmal Die,
Manchmal freudig, manchmal heiter
Tanzen sie um’s liebe Vieh.
8. Und das nennt man Menschenleben.
Und das nennt man Menschenthum.
Und das nennt man Menschenstreben.
Und das nennt man Menschenruhm!?
9. Arme Menschen! – Wie Europen,
Hat ein Ochse euch bethört;
Während mächtige Cyklopen
Euch mit Waffen wohl bewehrt,
10. Während euch die Himmelgeister
Dienstbar sind bei Tag und Nacht,
Daß ihr als der Schöpfung Meister
Leben könnt in Ruhm und Pracht;
11. Während sie den Strahl der Sonne
Selbst in eure Macht gestellt – –
–
Um den Ochsen voller Wonne
Tanzt ihr – Pfui! Ihr „Herrn der
Welt!“
S. 33
(Als im November 1874 die Freisprechung derselben
durch das Berliner Kammergericht erfolgte.)
S. 33f.
S. 35
Schwarz – Weiß – Roth.
(1871.)
Schwarz ist die Sünde, schwarz ist die Noth,
Schwarz ist die Nacht und schwarz ist der Tod.
Bleich ist die Rache und bleich ist der Fluch,
Weiß ist der Schnee und das Leichentuch
Roth ist der Purpur und roth ist das Blut,
Rotz ist die zehrende Feuersgluth.
S. 35
Robert Blum.
Erschossen den 9. November 1848
in der Britittenau bei Wien.
(1867.)
Was bedeutet der Trommel dumpfer Ton?
Zur Exekution – zur Exekution.
2. Die Flinten funkeln im Morgenroth –
Er stirbt auf des Feldherrn Machtgebot.
3. Er stritt für die Freiheit und für
das Recht.
Er führte das Volk in das heiße
Gefecht.
4. Er kämpfe in heiliger Freiheitsgluth;
Es floß dahin viel Heldenblut.
S. 36
5. Doch siegte des Kaisers Söldnertroß
–
Den Helden die klirrende Kette umschloß.
6. Wie schreitet er hin so frei und frank,
Als wäre er auf dem Hochzeitsgang!
7. Die Menge folgt, manch Auge ist naß,
Und manches Herz erbebt im Haß.
8. Still hält der Zug – er hebt die
Hand:
„Gott schütze mein theures
Vaterland!“
9. Achtung! Gebt Feuer! Ein dumpfer Schall,
In allen Herzen der Widerhall.
10. Des Volkes Liebling, des Volkes Held,
Hin sinkt er auf das blumige Feld
11. Und mit ihm die blutige Kugelsaat –
– –
Sie sprießet auf – früh oder
spat. –
12. Was bedeutet der Trommel rasselnder Ton?
Heimkehrt man von der Exekution.
(1874) – S. 37
S. 38
Das Volks ist mündig worden!
(Gedenkblatt der großen französischen
Revolution.)
(1869.)
Zum König drängt das Volk heran,
Von ihm sein Recht zu fodern;
Der schaut es drob verwundert an,
Und seine Augen lodern.
Zum Nächsten donnert er in Wuth:
Was wollen diese Horden?
Doch Jener spricht mit festem Muth:
Das Volk ist mündig worden.
2. Der König stutzt – er sinnt und
denkt:
Was mag das Wort bedeuten?
Ich habe nie mein Volk gekränkt,
Ließ nur vom Recht mich leiten.
Des Volkes Recht ist auch mein Rech,
Ich will das Recht nicht morden.
Nur klingt das Wort mir gar zu schlecht:
Das Volk ist mündig worden.
3. Des Königs erster Diener naht,
Mit schmeichelnder Gebärde:
Das Recht, das euer Volk erbat,
Ist eures Thrones Fährde;
Die Umsturzmänner sind’s allein,
Sie geizen selbst nach Orden,
Drum hört man sie jetzt immer schrei’n:
Das Volk ist mündig worden.
S. 39
4. Der König lauscht dem falschen Wort
Aus diesem falschen Munde;
Er jagt das Volk im Hohne fort –
Doch naht die Rächerstunde.
Zerschmettert sinkt der Königsthron,
Es braust in Sturmakkorden
Hin durch die Revolution:
Das Volk ist mündig worden.
5. Und aus der Revolution
Erblühte Heil und Segen,
Die Freiheit war des Kampfes Lohn
Und Gleichheit allerwegen.
Im ganzen schönen Frankenland
Vom Süden bis zum Norden,
Das war der Siegesruf entbrannt:
Das Volk ist mündig worden!
S. 40
Parteilied.
(1875.)
Hoch sozialistische Partei!
Wie klingt der Ruf so gut,
Er klingt so froh, er klingt so frei,
Er macht so heiß das Blut.
Ja, die Parole immer sei:
Hoch sozialistische Partei.
2. Für ew’ge Wahrheit streiten wir,
Für Freiheit und für Recht;
Die Gleichheit ist der Menschen Zier –
Und weder Herr noch Knecht.
Und unsre Losung immer sei:
Hoch sozialistische Partei!
3. Die Waffen sind uns ja gefeit
Durch echte Wissenschaft,
Und unser Banner ist geweiht
Wohl durch der Liebe Kraft.
Drum unser Fahnenschwur stets sei:
Hoch sozialistische Partei!
Quelle:
Hasenclever. Frohme. Lepp. Deutsche
Arbeiter-Dichtung Bd. 1. Eine Auswahl Lieder und Gedichte deutscher
Proletarier, Verlag: J. H. W. Dietz, Stuttgart 1893, S. 33f.
Andere Quellen:
Die Parteien (1865)
Junkertum
Wie die Ahnen also wollen
Stützen wir den Königsthron;
Und wie Jenen, unser sollen
Alle Früchte sein der Lohn.
Ohne Pflichten alle Rechte,
Und die Andern uns’re Knechte.
Liberale Bourgeoisie
Mit dem Adel gleiche Rechte
Die gebühren
uns fürwahr;
Doch die Niedern bleiben Knechte,
Denn sonst
drohet uns Gefahr!
Hoch Verfassung! Hoch die Krone!
Und der
Geldsack auf dem Throne.
Demokratische Bourgeoisie
Nieder sollen Thron und Krone,
Niedersinken in den Staub;
Und es fallen die
Barone
Wie vom Baum das welke Laub;
Wir allein – wir
woll’n regieren
Und das ganze Volk – anführen.
Sozial-Demokratie
Gleiche Pflichten, gleiche Rechte,
Alle
Menschen seien gleich;
Keine Herren, keine Knechte
Geb’es
und nicht arm und reich.
Doch die Arbeit auf dem Throne
Ihr
gebührt die Ehrenkron
abgedruckt in Agitator Nr. 28, 8. Oktober 1870,
Ludger Heid u. a.: Wilhelm Hasenclever: Reden und Schriften. Bonn,
1989 S. 23f.
Das Vaterland ist in Gefahr (1876)
Das Vaterland ist in Gefahr!
Und wieder tönt’ der laute Schrei:
Doch schon nach wen’gen Wochen war
Die große
Kriegsgefahr vorbei.
Der deutsche Michel aber schlug
Den
Nachbarsjungen blau und braun,
Und immer was’s noch nicht
genug –
Es tos’te fort des Krieges Grau’n.
Elsaß und Lothringen gar
Und fünf Milliarden sind der Lohn –
Der Staatsmann und der General
Erhielten reichlich Dotation.
zuerst in: Wilhelm Hasenclever: Liebe, Leben,
Kampf. Gedichte. Hamburg, 1876, abgedruckt in: Ludger Heid u. a.:
Wilhelm Hasenclever: Reden und Schriften. Bonn, 1989 S. 29.
(Als im November 1874 die Freisprechung derselben
durch das Berliner Kammergericht erfolgte.)
Quelle:
Hasenclever. Frohme. Lepp. Deutsche
Arbeiter-Dichtrung Bd. 1. Eine Auswahl Lieder und Gedischer deutscher
Proletarier, Verlag: J. H. W. Dietz, Stuttgart 1893, S. 33f.