1. Es zog ein Rotgardist hinaus,
Er ließ sein Mägdelein zu Haus.
Und als die Trennungsstunde kam,
Er traurig von ihr Abschied nahm.
Sie aber leise zu ihm spricht:
Spartakusmann, tu deine Pflicht.
2. Die blut’ge heiße Schlacht begann,
Sie aber wanken nicht.
Sie wanken und sie weichen nicht,
Tun bis zum Tode ihre Pflicht.
Für ihre Fahne blutigrot
Gehn sie mit Freuden in den Tod.
3. Bei Böllberg war die heiße Schlacht,
Die roten Fahnen wehen.
Davon erzählt kein dickes Buch,
Was sich am 11. Mai zutrug.
Als eine kleine Heldenschar
Für Spartakus gefallen war.
4. Der Fahnenträger fiel voran,
Er war kaum achtzehn Jahr.
Grüßt mir mein liebes Mägdelein,
Sie soll nicht weinen, nicht traurig sein.
Denn ich, ich fiel in blut’ger Schlacht,
Hab’ Spartakus viel Ehr’ gemacht.
Aus den Anmerkungen des Liederbuchs „Rot
Front“ von 1925:
In den Anhang haben wir einige
Lieder verwiesen, die künstlerisch nicht gerade wertvoll sind,
sich aber durch den Mund des revolutionären Proletariats ihr
Lebensrecht ertrotzt haben.
Geschichte / Kommentar:
Das Lied wurde bereits von Wolfgang Steinitz,
Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2,
Nr. 286 S. 527-537 ausführlich besprochen. Man muss nur
unvoreingenommen lesen, um die Geschichte des Liedes und seine
politische Einordnung ohne Scheuklappen auch zu verstehen.
Zu Beginn kurz ein Wort zur Herkunft. Wolfgang
Steinitz, der dem Lied in seiner Sammlung einen größeren
Abschnitt widmet, macht als Ursprungslied ein „viel gesungenes
Soldatenlied“ fest, das mit den Worten „Wie ist die
Trennung doch so schwer“ beginnt und mit „Zwei Freunde
zogen Hand in Hand“ betitelt worden war. Dieses soldatische
Abschiedslied findet sich bei Böhme, Volkstüml. Lieder
(1895), S. 373. Köhler-Meier, Mosel und Saar, Nr. 164:
*Heeger-Wüst, Rheinpfalz II, Nr. 344. Außerdem verweist
Steinitz auf die Signatur des Deutschen Volksliedarchiv KiV Nr. 415.
Also ein typische Frontkämpferliedes, das im 1. Weltkrieg viel
gesungen worden sein soll.
Die weitergehende Geschichte des Liedes zeigt die
typischen zwei Seiten vieler Frontkämpferlieder. Es gibt
kommunistische und nationalsozialistische Varianten. Die
kommunistischen stehen fast ausschließlich mit den
paramilitärischen Verbänden der KPD im Zusammenhang. Die,
Steinitz zufolge, umfangreichsten Quellen beziehen sich auf die
Konfrontation der KPD mit dem rechten Traditionsverband
„Stahlhelm“. Letzterer hatte zum 11. Mai 1924 zu einem so
genannten „Deutschen Tag“ nach Halle aufgerufen. Die
folgenden gewalttätigen Auseinandersetzungen, die zu umfangreichen
Verhaftungen führten und auch Todesopfer mit sich bracht, wurden
später von der KPD zum Gründungsmythos für den Roten
Frontkämpferbund (RFB) hochstilisiert. Obwohl dessen Aufbau
bereits seit gut einem Jahr beschlossene Sache war (vgl. dazu Werner
Hinze, Schalmeienklänge im Fackelschein) sprach die kommunistische
Propaganda von „spontanen Gründungen“ eines
kommunistischen Wehrverbandes.
Steinitz zitiert einen Einsender aus
Eßlingen, Württemberg, der das Frontkämpferlied zum
erstenmal 1923 gehört hatte u.a. so: „Da es uns gefiel,
wurde es bald in ganz Süddeutschland gesungen. Hauptsächlich
gehörte es zum meist gesungenen Lied bei der Organisierung der
Roten Jungfront im Oktober 1924.“ Die „Rote
Jungfront“, zu jenem Zeitpunkt allerdings noch „Roter
Jungsturm“ genannt, war die Jugendorganisation des RFB.
Weiter heißt es bei Steinitz (2) Zeitzeugen:
„Beim 1. Reichstreffen des RFB 1926 in Berlin im Lichtenberger
Stadion1 hörte man auch die dritte Form (Steinitz S. 533)
mit Max Hölz, München, usw. Gerade diese Form wurde zum
Leidwesen vieler Genossen sehr oft und laut gesungen. Deshalb war ich
besonders erfreut, zum Treffen 1926 von den aus Süddeutschland
kommenden Genossen noch die alte Version mit „In Lohrberg’
zu hören, im Gegensatz zu den vielen später auftauchenden
Varianten, die nicht immer schön waren.“
Ein weiterer Bericht bezieht sich auf den 1. Mai
1929 in Berlin, als es nach dem Verbot zu Ausschreitungen auf der
kommunistischen Demonstration kam, die letztlich zum endgültigen
Verbot des zunehmend zur Wehrorganisation ausgebauten RFB führte.
„Das Lied wurde in Berlin sehr bekannt und
bezog sich auf den sogenannten ‚Blut-Mai’ im Jahre 1929.
Die Zeile ‚Am Böllberg war die große Schlacht’
wurde in Berlin mit einer anderen Ortsangabe gesungen. Außerdem
war nicht der 11. Mai, sondern der 1. Mai das im Lied angegebene Datum.“
(ALA; mitgeteilt von Lotte Erxleben, Berlin 1957).
Zusätzlich wollen wir noch auf eine Version
der Gruppe Grenzgänger eingehen, die sie von ihrem
„Zeitzeugen“ Johannes Leschinsky übernommen haben und
der es in einer Live-Aufnahme auch singt:
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1. Es zog ein Rotgardist
hinaus -
für Freiheit und
für Recht.
Er ließ sein
Mütterlein zuhaus -
zog mutig ins Gefecht.
Und als die Stund der
Trennung kam -
er traurig von ihr
Abschied nahm
sie aber leise zu ihm
spricht -
„Spartakusmann, tu
deine Pflicht.“
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2. Das Volk stand auf, die
Schlacht begann -
die rote Garde wacht!
Die rote Fahne stolz voran
-
so ziehn sie in die
Schlacht.
Davon erzählt kein
dickes Buch -
was sich am
Lippeschloß zutrug,
wo eine klein tapfre Schar
-
für Freiheit und
Recht gefallen war.
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3. Granaten heulen wild im
Chor -
das rote Banner weht.
Geht auch der Feind im
Sturme vor -
die rote Garde steht.
Sie wanket und sie weichet
nicht -
tut bis zum Tode ihre
Pflicht.
Für ihre Fahne, so
blutig rot -
gehn sie mit Freuden in
den Tod.
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4. Nun greift die rote
Garde an -
bricht jeden Widerstand
Der Fahnenträger
stürmt voran -
die Fahne in der Hand.
Im Schlachtgeschrei, im
Pulverdampf -
führt er die Garde in
den Kampf.
Bis ohne einen Laut klagt
der Klag’ -
er mit der Fahn’
zusammenbrach.
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5. Gleich neben ihm ein
Kam’rad ruht -
er reicht ihm stumm die
Händ’:
„Kamerad, die Kugel
traf mich gut -
es geht mit mir zu
End“!
Grüß mir mein
teures Mütterlein -
sag ihm es soll nicht
traurig sein.
Und sage ihm, sein Auge
bricht -
„Spartakusmann tat
seine Pflicht!“
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6. Und als die Schlacht zu
Ende war -
da trat die Garde an.
Und traurig schaut die
kleine Schar -
auf ihren besten Mann.
Mit seiner Fahne blutig
rot -
starb er den
schönsten Freiheitstod.
Und als man ihn zu Grabe
trug -
gab man ihm mit das
Fahnentuch.
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2) Hier irrt der Informant, denn das 1.
Reichstreffen des RFB auch als „1. Berliner Roter
Frontkämpfertag“ oder „Rote Bannerweihe“
bezeichnet fand am 21. Mai 1925 statt. Im Mai 1926 wurde bereits das 2.
Reichstreffen veranstaltet.
Quellen:
Sozialdemokratische Quellen gibt es
selbstverständlich nicht.
Die politischen Lieder von KPD, KJVD und RFB
Rot Front. Neues Kampf-Liederbuch, Berlin 1925,
Nr. 50, S. 76f.
Zum roten Sturm voran. Kampfliederbuch, Berlin
1926, Nr. 50, S. 76f.
Front Kämpfer Liederbuch, 21.-40. Tausend,
Berlin 1928/29, S. 10;
Mit Lenin. 50 Kampflieder, 21.-40. Tausend (ca.
1928/29), Nr. 17, S. 10;
Mit Gesang wird gekämpft’!, 1928, Nr.
27, S. 13;
Arbeiter-Lieder (ca. 1929), Eine Sammlung
proletarischer Kampflieder, Wander-, Volks- und heiterer Lieder.
– Wien: Grünberg, 94 S. [Lammel, Biblio. Nr. 4040, S. 67
[wie Nr. 359 ], S. 10f.;
Arbeiter-Lieder (ca. 1930), KJVD, Verlag Junge
Garde: Hermann Remmele, Berlin, Nr. 21, S. 10;
Spätere Sammlungen und Einordnungen
Berger/Lammel, Das Lied im Kampf geboren, Heft 8,
Lieder des Roten Frontkämpferbundes, Leipzig 1960, S. 113f.:
Inge Lammel, Das Arbeiterlied, Ffm 1980, S. 140f.
Lammel/Andert, Und weil der Mensch ein mensch ist,
Dortmund 1986, S. 123, Nr. 88, S. 129.
Dithmar, Arbeiterlieder 1844 bis 1945, Berlin
1993, S. 164: