Es zog ein Rotgardist (2)
Neben traditionellen Motiven des deutschen Volks-
und Soldatenliedes (das Mütterlein, die Trennung, der Abschied,
die Pflichterfüllung bis zum Tod, die Schlacht, die Fahne, die
Freiheit, das Recht, das Schlachtgeschrei, Pulverdampf und der
„schönste Freiheitstod“ mit dem Märtyrer, der
natürlich der beste war) finden wir besondere Termini der
Frontkämpferkultur der 1920er Jahre (Rotgardist und Spartakusmann)
und eine regionale Einordnung.
Uns interessiert natürlich zuerst wer besingt
hier wen und warum? Zur Klärung betrachten wir das Vokabular der
Frontkämpferkultur der 1920er Jahre. Könnte die Bezeichnung
„Rotgardist“ in jener Phase theoretisch auch eine
unverbindliche Titulierung von Mitgliedern bzw. Teilnehmern der
„Roten Ruhrarmee“ sein, schließt sich diese alleinige
Eingruppierung mit der Bezeichnung „Spartakusmann“ aus. Der
Spartakusbund hatte bekanntlich auf dem Parteitag 1918/19 den Namen
„Kommunistische Partei“ angenommen. Das heißt, das
Lied wurde von einem Mann geschrieben, der zumindest auch Mitglied oder
Sympathisant der KPD war. Dieser schildert den „Heldentod“
eines Parteigenossen beim Kampf der „Roten Ruhrarmee“ gegen
das parlamentarische System der Weimarer (der Kapp-Putsch war ja
bereits gescheitert). In jener Phase war ja der Kapp-Putsch bereits
gescheitert. Was wollte die „Rote Ruhrarmee“ also zu jenem
Zeitpunkt noch? Als „Verteidiger“ des erwähnten
parlamentarischen Systems hatte die Sozialdemokratie
verhängnisvoller Weise die berüchtigten rechten Freikorps zu
Hilfe genommen. Eine zweifellos politisch groteske Situation.
Mit „Verteidigung der Republik“ hatte
der „Kampf“ der „Roten Ruhrarmee“ zu jenem
Zeitpunkt aber bereits sowieso nichts mehr zu tun. Doch, da sind uns ja
die Grenzgänger leider (wie so häufig) umfangreiche und
kritische Informationen schuldig geblieben.
Die SA-Variante
Hans Bajer bring 1932 in seinem Liederbuch
„Was der Deutsche singt. eutsche Kampf- und Freiheitslieder und
andere (Nationaler Schallplatten-Dienst GmbH, Berlin) S. 51 ist das
Frontkämpferlied unter dem Titel Es
zog ein Hitlermann hinaus mit vier
Strophen enthalten:
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1. Es zog ein Hitlermann
hinaus
er ließ sein
Mütterlein zu Haus
und als die
Trennungsstunde kam,
er traurig von ihr
Abschied nahm.
Sie aber weinend zu ihm
spricht:
Hitlergardist du’
deine Pflicht.
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2. In München war die
erste Schlacht,
wo rote Hitlerfahnen wehn;
davon erzählt kein
dickes Buch,
was sich am Odeonsplatz
zutrug,
wo eine kleine Heldenschar
fürs Hakenkreuz
gefallen war.
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3. Der Fahnenträger
ging voran,
er war kaum achtzehn,
neunzehn Jahr’.
„Grüß’
mir mein teures Mütterlein,
sie soll nicht weinen
nicht traurig sein.
Fall ich in
blutig-heißer Schlacht
hab’s Hakenkreuz zu
Ehr gebracht.
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4. Einst ruft uns Adolf
Hitler dann;
es steht ein jeder seinen
Mann.
wir wanken und wir weichen
nicht,
tun bis zum Tode unsre
Pflicht
fürs Hakenkreuz auf
blutig Rot
marschieren wir lachend in
den Tod.
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1. Es zog ein Hitlermann
hinaus
er ließ sein
Mütterlein zu Haus
und als die
Trennungsstunde kam,
er traurig von ihr
Abschied nahm.
Sie aber leise zu ihm
spricht:
Hitlergardist du’
deine Pflicht.
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2. Der Fahnenträger
geht voran,
er zählt kaum
siebzehn achtzehn Jahr
grüßt mir mein
liebes Mütterlein,
sie soll nicht weinen
nicht traurig sein.
Wenn ich auch fall’
in blut’ger Schlacht
hab’s Hakenkreuz in
Ehr gebracht.
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3. Und dann begann die
blut’ge Schlacht,
sie standen alle Mann
für Mann
sie wanken und sie weichen
nicht,
tun bis zum Tode ihre
Pflicht
fürs Hakenkreuz auf
blutig rot
geh’n sie mit
Freuden in den Tod.
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Zusätzlich wird vermerkt „mündlich
überliefert“ und der eifrige Verlag kann auch bereits auf
eine Schallplattenaufnahme verweisen (Bestell-Nr. 113).
Im SA-Liederbuch von 1933 ist das
Frontkämpferlied unter dem Titel Es
zog ein Hitlermann hinaus mit drei
Strophen enthalten (S. 51).
Die drei- bis vierstrophigen SA-Versionen der neun
vorliegenden Liederbücher aus der Zeit zwischen 1932 und 1938
verfügen über fünf verschiedene Hauptmotive:
1. Der Hitlermann, der sich vom Mütterlein
verabschiedet und in die Schlacht zieht.
2. Rückblick auf die erste Schlacht in
München
3. Der junge Fahnenträger, der stirbt und das
Mütterlein grüßen lässt.
4a. Einst ruft uns Adolf Hitler
4b. allgemein - es beginnt die blutige Schlacht.
5. Für wen kämpft der
„Hitlermann“ (Str. 1 oder 4)
a. fürs dritte Reich
b. fürs Vaterland,
c. fürs Hakenkreuz
Steinitz, der natürlich im Sinne
kommunistischer Ideologie von „Arbeiterlied“ spricht,
stellt bedauern fest, das „auch dieses […] von den Nazis
übernommen worden“ sei“. Er zitiert beispielhaft M.
Wähler, Das politische Kampflied der Gegenwart (Mitteldeutsche
Blätter für Volkskunde i, 1933), S. 147, sowie *Soldaten
Kameraden, 8. 45, „wo es in der Anmerkung heißt:
‚Dichtung und Weise: mündlich in der SA
überliefert!’“ Um die These vom „gestohlenen
Liedgut“ aufrecht zu erhalten zitiert er erneut M. Wähler:
„Ähnlich [wie beim Leunalied]
liegt’s bei dem beliebten SA-Kampfliede ‘Es zog ein
Hitlermann hinaus’, das engste Anlehnung an das Rotfrontlied
‚Es zog ein Rotgardist hinaus’ verrät.“
Wir wissen inzwischen natürlich, dass diese
Mähr vom „gestohlenen Liedgut“ eben nur ein
ideologischer Mythos ist, dem aber erschreckender Weise noch immer
Leute aus der Szene der autoritär-kommunistisch angehauchten
Linken, die sich gerne in der Tradition von KPD, SED oder DKP sehen. Im
Volksgesang dagegen ist es schon immer üblich gewesen und bis
heute üblich geblieben, Lieder ganz oder teilweise zu
übernehmen bzw. mit Veränderungen einiger Passagen,
Begriffen, Namen usw. zu versehen. Das gilt besonders für die
Szene der Frontkämpfer, da in diesen paramilitärischen
Verbänden eine Fluktuation von bis zu 80% bestanden hatte - ein
Faktum, das gerne von den eben angesprochenen Personen übergangen
wird. So sind beispielsweise bei Gründung des RFB teilweise ganze
Kapellen des Stahlhelm eingetreten, was zu umfangreichen Diskussionen
in der Führung führte. Desgleichen gingen ganze Gruppen
nach Verbot des RFB in die nationalsozialistische SA (z. B. in Hamburg
Altona).
Quellen:
NSDAP
1932 Was der Deutsche singt. Deutsche Kampf- und
Freiheitslieder und andere. Zusammengestellt, bearbeitet und
herausgegeben von Hans Bajer, 1. - 10. Tausend, 1932, , S. 51
1932: Hans Groschupp, Unser Lied. Liederbuch der
Hitler-Jugend, Wuppertal 1932, S. 5
1933 [grünes Ldb) S.A.-Liederbuch. Hrsgg im
Auftrage der Obersten SA.-Führung, 1933, München. Vorwort:
Ernst Röhm,, S. 51f.
1933 Hans Bajer, Liederbuch der NSDAP. Volks ans
Gewehr, München 1933 (22. Aufl.), S. 21f. (3 Str. + Noten)
1934 Wohlauf Kameraden!. Ein Liederbuch der jungen
Mannschaft von Soldaten, Bauern, Arbeitern und Studenten, Kassel 1934
(2. Aufl.),
1930 ??? Für Freiheit und Vaterland. Lieder
der erwachten Nation, Preis 10 Pfennig / Band 1, Auslieferung und
Verlag Walther Lorenz, Grosso-Buchhandlung, Frankfurt-M, Mainer
Landstr. 17, Druck: Buchdruckerei Peter Scherer I., Inh.: Jakob
Scherer, Rüsselsheim a. M. (32 Seiten), S. 13;
1933 SA-Liederbuch, Hrsgg im Auftrage des
Stabschefs, 3. Auflage, o.J. Zentzralverlag der NSDAP., München
(248 Seiten), S. 22 (Noten, 4 Str.) Version 3
1938? Liederbuch. Zusammengestellt von der
Gaupropagandaleitung der NSDAP. Gau Essen, Druck: National-Zeitung,
Verlag und Druckerei G.m.b.H., Essen (ohne Noten), S. 31 (3 Str.)
Version 2:
1938/41 Soldaten Kameraden. Liederbuch für
Wehrmacht und Volk, Textausgabe, 4. Auflage, Hrssg von Gerhard Pallmann
und Ernst Lothar v. Knorr, Hanseatische Verlagsanstalt
Hamburg-Wandsbek, 1938/1941, S. 46f. (ohne Noten, 4 Str.) Version 3