Gottes Rath und Scheiden
Es ist bestimmt in Gottes Rath,
daß man vom Liebsten, was man hat,
muß scheiden, ja scheiden;
wiewohl doch nichts im Lauf der Welt
dem Herzen, ach, so sauer fällt,
als Scheiden, als Scheiden, ja Scheiden!
2. So dir geschenkt ein Knösplein was, *
So thu es in ein Wasserglas,
Doch wisse:
Blüht morgen dir ein Röslein auf,
Es welkt wohl schon die Nacht darauf;
Das wisse, ja wisse!
3. Und hat dir Gott ein Lieb’ bescheert,
Und hälst du sie recht lieb und werth,
Die Deine:
Es wird nur wenig Zeit wohl sein,
Da läßt sie dich so gar allein;
Dann weine, ja weine!
4. Nun mußt du mich auch recht verstehn,
nun mußt du mich auch recht verstehn,
wenn Menschen auseinandergehn, so sagen sie:
:,: „Auf Wiedersehn! auf Wiederseht!“ :
,:
* was = alte Form für „war“.
Geschichte / Kommentar:
Zur Erklärung zitieren wie Franz Magnus
Böhme:
„Gedicht von Ernst Freiherr von
Feuchtersleben, vor 1826 gedichtet, als er noch Schüler der
Theresianischen Ritterakademie in Wien war. Gedruckt in dessen
Gedichten 1836. Unbegründet ist das Gerede, es sei der Text einem
alten Volksliede nachgebildet, was man vielleicht deshalb vermuthete,
weil der Dichter in Str. 2 eine alste Sprachform verwendet. Daß
dieses ernste Scheidelied zu einem Grabgesang geowrden, ist
erklärlich; doch ist’s dazu nicht bestimmt gewesen und durch
seinen Inhalt nicht durchweg gerechtfertigt. Die schöne Melodie
Mendelssohns op. 47 erschien erst einstimmig mit Clavierbegl., bald
auch mehrstimmig gesetzt für gemischten und für
Männerchor. Ueber Mendelssohns Verdienste um Hebung des deutschen
Volksliedes vgl. Riehl, muikal. Charakterköpfe I. S. 108.“
Quelle:
Franz Magnus Böhme, Volksthümliche
Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895 Nr. 773,
S. 592f.