Warum?
Es bricht sich jetzt ein Wörtchen Bahn mit
siegender Gewalt,
man legts an alles prüfen an, was sonst
für heilig galt.
Mit Macht durchdringt es immer mehr,
das ganze Publikum, nur Finsterlinge
fürchtens sehr,
es ist das Wort: „Warum?“
2. In Kirch’ und Staat, allüberall wird
jetzt „Warum“ gefragt,
gar vieles Alte kommt zu Fall, hell wird’s,
wo’s nie getagt.
Was unerschüttert konnte stehn durch manches
Säkulum,
muß heutzutage untergehn, zernagt von dem
„Warum?“
3. Fiel einem Herrn der alten Zeit was zu befehlen
ein,
so konnte treuer Folgsamkeit er stets versichert
sein;
kein Widerspruch klang irgendwo und man gehorchte
stumm;
jetzt aber geht das nicht mehr so, heut fragt man
erst: „Warum?“
4. Dem Priester frührer Tage war es recht
bequem gemacht;
die Menschheit blind am schwarzen Star, ringsum
stockfinstre Nacht.
Es war das Wort aus Priesters Mund ein Evangelium,
jetzt fort man nach der Sache Grund und fragt
zuerst: „Warum?“
5. Es forscht, erweckts gleich manchen Groll, das
heutige Geschlecht,
bei allem, was bestehen soll, ob es besteht mit
Recht.
Der mächtge Zeitgeist achtet nicht der alten
Herrn Gebrumm,
er wünscht in allen Sachen Licht und lobt
sich sein „Warum?“
6. Ja, das „Warum“ wird fort und fort
erprobt mit seiner Kraft,
wer weiß es, was das kleine Wort noch all
für Wunder schafft.
Nur durch dies Wörtchen siegen wir, wers
nicht gebraucht, bleibt dumm,
drum schreibt auf jedes Stück Papier das
goldne Wort: „Warum“=
Geschichte / Kommentar:
Das Lied / Gedicht ist erstmals im Schweizer
„Volkswille" erschienen. Daher hat der Herausgeber des
Buches „Sozialdemokratische Lieder und Deklamationen" in
Zürich es 1881 (in der Frühphase der Sozialistengesetze)
übernommen. Dann ist der Text erst einmal verschwunden, um dann in
den Liederbüchern „freien Turner" von 1905, 1908,
1923 und dem Liederbuch des Turn-Vereins „Fichte" wieder
aufzutauchen. Es hat dann wohl wieder einige Fragen gegeben.
Quelle:
Sozialdemokratisches Liederbuch. 8.
veränderte Aufl., Zürich, Verlag der Volks-Buchhandlung,
1881, Deklamationen Nr. 10, S. 70.
Liederbuch Der freie Turner. Mit in den Text
eingedruckten Sing-Noten. Verlag des Arbeiter-Turnerbundes (Franz
Siedlersleben), Leipzig 1905, Nr. 111, S. 81
Liederbuch Der freie Turner. Leipzig, 1908 u.
1923, Nr. 136, S. 192
Lieder-Buch des Turn-Vereins "Fichte".
Mitglied des Arbeiter-Turn- und -Sportbundes, Selbstverlag des Vereins,
Berlin 1920, Nr. 116, S. 79.