Deutsche Arbeiter-Reveille
1. Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Sturmgebraus und Wogenschall.
Der Ruf erschallt durch’s deutsche Land:
Zur Freiheit auf, Arbeiterstand!
Der Ruf, er kommt von dem Lassall’,
Drum, Proletarier, folgt ihm all’,
Frei macht vom Capital Euch überall! :|:
2. So lang’ ein Tropfen Blut noch rinnt
Und eine Hand die Fäden spinnt,
Und noch ein Arm die Garne webt,
Noch Mannesmuth im Busen lebt,
Sollst, Proletar, nicht ängstlich sein,
Die Freiheit, sie wird endlich Dein;
Drum sei zum Kampf bereit zu jeder Zeit! :|:
3. Wozu um Grenz’ und Mark noch Streit?
Wozu noch die Uneinigkeit?
Wozu noch Völkerzwist und Krieg?
Wozu Eroberung und Sieg?
Auf, Proletarier, eint Euch all’,
Bekämpft und schlagt das Capital
Mit freiem Geistesschwert, dies sei Eu’r
Werth. :|:
4. Lassalle war der Freiheit Kind,
Sein Banner flattert hoch im Wind;
Drum schaaret Euch und haltet dran
Mit Kampfeslust gleich einem Mann.
Ja ringet stets mit Muth und Kraft
Nach Produktivgenossenschaft,
Mit Staatshülf’ obendrein, so soll es
sein. :|:
5. Wenn hunderttausend Feinde schrei’n,
Und alle Pfaffen sich kastei’n,
Der Geldsack sich in Ohnmacht ringt,
Vor Wuth und Aerger fast zerspringt,
Wenn Schulze=Delitzsch ängstlich klagt,
Daß Max, sein Hirsch, wird todtgejagt:
Dann sind wir bald am Ziel, am hohen Ziel.:|:
6. Wenn alle Zeitungsschreiber sind
Vor Haß und Aerger toll und blind,
Wenn Lügen sie in Haufen sä’n,
Sich in bezahltem Schwindel bläh’n,
Wenn Fortschritt und auch Reaktion
Gleichzeitig drückt der Arbeit Lohn:
Dann, ja dann ist das Ziel entfernt nicht viel. :|:
Geschichte / Kommentar:
Friedrich Polling (Arbeiter), Social-demokratische
Lieder und Gedichte, Dessau 1869, Nr. 4, S. 6f.
Die Parodie auf Schneckenburger „Wacht am
Rhein“ wurde geschrieben von K. Wiegleb. Sie bezieht sich
genau auf die Original-Wacht, deutet aber bereits zu Beginn die
inhaltliche Umkehrung an: es werden die Härten und Folgen des
Krieges aufgezeigt. Auch das Lied selbst wird in seiner Funktion
erkannt und als „schriller Todesklang“ bezeichnet. Von
diesem Anti-Kriegslied hätten auch viele Marxisten lernen
können. Es macht deutlich wie die sozialen Bedingungen eines Teils
der Bevölkerung, die sie als Lumpenproletariat diffamieren,
zustande gekommen sind.
Die vorliegende Parodie erschien 1869 in einem
kleinen Büchlein mit dem Titel: Social=
demokratische Lieder und Gedichte von Friedrich Polling, Arbeiter im Selbstverlag.
Polling, offensichtlich ein Lassalleaner, schreibt eine von vielen
Lobeshymnen auf den Arbeiterführer, hier verbunden mit allgemeinen
Forderungen und Auseinandersetzungen innerhalb der organisierten
Arbeiterbewegung in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts (siehe
die „Wacht am Rhein“; da sind auch weitere Parodien dokumentiert)
Vereinzelte Parodien aus Archiven
Aus dem Ersten Weltkrieg
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
in Mannem sin die Kartoffle all.
Eier, Butter, Schinke, Speck
Fressen uns die Reichen weg,
und füttern uns wie’s liebe Vieh
mit Rüben und Kohlrabibrüh.
Wolfgang Steinitz, (S. 359f. Nr. d)
Schuhmacher, Soldatenlied, S. 177: E. K., Anfang
1918 in Mannheim (Mannem). – Ganz ähnlich A. M. bei
Pfälzer Feldtruppen: „In Lamprecht sin.“ –
Schuhmacher, Soldatenlied schreibt hierzu:
„War in der Heimat 1917 sogar unter Kindern
schon vielerorts bekannt und von Ersatzabteilungen in Marschkolonne
gesungen worden … Von vielen Gewährsmännern habe ich
auch Gewißheit darüber erlangt, daß derartige rohe
Verhunzungen gesinnungsstarker Lieder in ihren Fronttruppenteilen nur
in heimlichen Quartierecken oder Unterständen gesummt wurden,
nicht aber in geschlossenen Abteilungen, wie es in manchen
Frontverbänden auch vorkam. Im Laufe des Jahres 1918 steigerte
sich Zahl und Beliebtheit der bitteren Parodien allerdings
allenthalben.“ (Vergleiche auch Wolfgang Stinitz Bd. II, S.
358f.)
Es braust ein Ruf wie Donnerhall, In Frankfurt
sind die Kartoffeln all.
Kartoffeln, Schinke, Wurscht und Speck, Das fresse
uns die Reiche weg.
Quelle: DVA A 101 341
Von jetzt ab geht’s von hinten rein,
weil vorne Reparaturen sein.
Quelle: Sammlung Kleye“ Arbeiterliedarchiv
Berlin / DDR (in Kopie an das DVA 1989) Berlin (hier nach DVA A
228 661)
Mel.: Es braust ein Ruf. Berichtet: O. Hammer,
Spandau, 1905 in Sagan gesungen
* * *
1. Der Räbbe (1) schneidet mit Geschick vom
Zoneff (2) ab ein kleines Stück,
den Rest den lässt er baumeln. Bleibt grad
genug zum Chaumeln (3).
2. Wer Kaviar auf Stiebeln schmiert und in der
Brautnacht onaniert.
Und wer im Bette stehend fickt, der ist
verrückt, der ist verrückt.
Anmerkungen: 1) Rabbiner; 2) Penis; 3) Beischlaf
Kanonier Hirschfeld, 1916 von einem jüdischen
Soldaten, gehört. Er nannte das Lied die „jüdische
Nationalhymne“.
Quelle: Aufgezeichnet von Dr. Koepp. hier nach DVA
A 105 499.
Wir knautschen auf dem Kanten rum, Wir knautschen
auf dem Kanten rum. (Immer wieder von vorn beginnend)
Melodie: Es braust ein ruf.
Anfangs der 20er Jahre beim Wandern gesungen.
Berichtet: Frau Engelmann, Berlin-Spandau
Quelle: „Sammlung Kleye“,
Arbeiterliedarchiv Berlin/ DDR Hier nach DVA 1989)