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Arbeiterliedarchiv
Lancken
im e.V.
Musik von unten
Der Landgraf von Hessen  
Juchheißa nach Amerika

1.  Der Landgraf von Hessen, der kleine Potentat,
wie sind wir seiner Dienste so überdrüssig satt.
Was fangen wir nun an in diesem Jammertal,
allwo ist nichts zu finden als lauter Not und Qual.

2. Des morgens halwer acht, da heißt es auf die Wacht.
Kein Teufel tut nicht fragen, ob man gefressen hat.
Kein Branntwein in der Flaschen, kein weißes Brot dabei,
ein schlechtes Tabakrauchen, das ist der Zeitvertreib.

3. Und kommt das Frühjahr an, da ist die große Hitz.
Da muß man exerzieren, daß eim der Buckel schwitzt.
Da muß man exerzieren von Morgen bis Mittag
Und das verfluchte Leben, das währt den ganzen Tag.

4. Dann kommt ein frisch Parad’. Tut man ein falschen Tritt,
so schreit der Adjudante: „Der Kerl muß aus dem Glied!
Patronentasch’ herunter, den Säbel abgelegt.
Gleich munter draufgeschlagen, bis er sich nicht mehr regt“.

5. Ihr Herren nehmts nicht Wunder, daß mancher desertiert,
wir werden wie die Hunde mit Schlägen abtractiert.
Und bringen sie mich wieder, sie henken mich nicht auf.
Das Kriegsrecht wird gesprochen und Gassen muß ich lauf.

6. Und wenn ich Gassen laufe, so spielen sie frisch auf
mit Trommeln und mit Pfeifen, so geht es wacker drauf.
So tun sie mich ja hauen, Grenadier und Musketier,
der eine der Bedauert mich, der andre gönnt es mit.

Rezitativ (7)
Juchheißa nach Amerika, dir Deutschland gute Nacht.
Ihr Hessen präsentiert’s Gewehr, der Landgraf kommt zur Wacht
Ade Herr Landgraf Friederich, du zahlst uns Schnaps und Bier
schießt Arme man und Bein uns ab, so zahlt sie England dir.

8. Und ist der Krieg zu Ende, wo wenden wir uns hin.
Die Gesundheit ist verloren, die Kräfte sind dahin.
Ei nun so wird es heißen: Ein Vogel und kein Nest.
Ei Bruder nimm den Bettelsack, bist auch Soldat gewest.

Andere Titel: 
Text: unbekannt,
Melodie: Wir preußischen Husaren,
Noten:
Vorlage:
Kategorie: Auswanderer; Auswandererlieder; Soldatenlieder.

Zeit: 18. Jh.,
Geschichte / Kommentar: 

Hier handelt es sich um eine Variante des oppositionellen Soldatenliedes „O König von Preußen“, das bereits vor 1800 auf die Melodie des Marsches „Wir preußischen Husaren“ getextet und im Laufe der Zeit auf eine Vielzahl deutscher Klein- und Großpotentaten umgesungen worden war. Den Zusammenhang mit der siebten - der Auswanderer - Strophe unternahm in den 1980er Jahren die hessische Folkloregruppe um Bodo Kolbe. Die Verbindung macht durchaus Sinn. Beides hessische Besonderheiten, dokumentieren die dortige Phase ab 1775. Zu den miserablen Bedingungen unter denen die Soldaten lebten, kam der Verkauf von Menschenmaterial an England um die amerikanischen Kolonien zu sichern. Auf einer Abschiedsparade in Kassel sangen hessische Soldaten das Lied als sie vor dem Landgrafen parodierten. Eine ähnliche Situation schilderte Friedrich Schiller in seinem 1784/83 entstandenen Drama „Kabale und Liebe“ durch den Mund eines Kammerdieners (2. Akt, 2. Szene):

„Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch’ vor die Front heraus und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? - Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe nach Amerika!“

Eindruckvoll beschrieben wird in dem Lied das sogenannte „Gassenlaufen“. Bei dem Soldatenbrauch jener Tage handelte es sich um eine perfide Straf- und Disziplinierungsmaßnahme, bei der der Betroffene durch eine Gasse laufen mußte, die von anderen Soldaten gebildet wurde. Diese mußten zu beiden Seiten stehend auf den Delinquenten einschlagen oder -treten. Taten sie das nicht, waren sie selber an der Reihe.



Quellen: 

Erk/Böhme, "Deutscher Liederhort", Nr. 333, S. 144
Uli Otto und Eginhard König, "Ich hatt' einen Kameraden…". Militär und Kriege in historisch-politischen Liedern in den Jahren von 1740 bis 1914, Hrsg v.d. Folk- & Volksmusikwerkstatt Regensburg und Ostbayern e.V., Regensburg 1999
Karl Simrock, "Die deutschen Volkslieder" Nr. 305
Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1962 Nr. 130, S. 317-329.


Disco:
Bodo Kolbe / Gerd Schulmeyer / Alex Maillis / Rudolf Berg / Jörg Stork, Die Sens' uffm Buckel, Rockport Records / Dickworz-Bladde, DWB 19 782



 
 
 
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