Brüder, zur Sonne zur Freiheit (2)
Im weitesten Sinn der SPD zuzurechnen sind die
Turn- bzw. Sportliederbücher so weit sie sich der Arbeiterbewegung
zugehörig bekennen bis ca. 1929. Dann beginnt mit der erneut
aufgegriffenen Strategie der „Einheitsfront von unten“ (die
erste Version dieser „Methode“ stammt aus dem Jahr 1922 und
war zwischenzeitlich aufgegeben worden) der kommunistische Versuch eine
eigene, kommunistsche Parallelwelt aufzubauen. Da der uns
interessierende Zeitraum ab 1920 zu betrachten ist, liegen uns gerade
mal drei Liederbücher vor. Zwei davon fallen in die mittlere
Phase. Das Liederbuch „Der freie Turner“, Leipzig 1923
(Arbeiter-Turnverlag A.-G., Leipzig) und das
„Bundes-Liederbuch des Arbeiter Turn- und Sportbundes“
(Bearbeitet von W. Riedel und R. Koppisch, Arbeiter-Turn-Verlag).
Leipzig 1928. Anders verhält es sich mit dem Chorsammlung des
Deutschen Arbeiter Sängerbundes (DAS) für
Männer-Chöre gesammelt von Alfred Guttmann, Berlin 1929. Als
Überschrift wurde nur „Brüder zur Sonne“
gewählt und als musikalisches Vorbild „Russische Volksweise.
Bearbeitung von Hermann Scherchen“. nach einem dramaturgischen
Hinweis heißt es dort außerdem:
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1. Brüder in Zechen
und Gruben,
Brüder ihr hinter dem
Pflug,
aus den Fabriken und
Stuben
folgt unseres Banners Zug.
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2. Börsengauner und
Schieber
knechten das Vaterland;
wir wollen ehrlich
verdienen,
fleißig mit
schaffender Hand.
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3. Hitler ist unser
Führer,
ihn lohnt nicht goldner
Sold,
der von den jüdischen
Thronen
vor seine Füße
rollt.
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4. Einst kommt der
Tag der Rache,
einmal, da werden wir
frei;
schaffendes Deutschland
erwache,
brich deine Ketten
entzwei.
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5. Dann laßt
das Banner fliegen,
daß unsere Feinde es
seh’n,
immer werden wir siegen,
wenn wir
zusammensteh’n
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6. Hitler treu
ergeben,
treu bis in den Tod.
Hitler wird uns
führen
einst aus dieser Not.
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1) An dieser Stelle wurde zusätzlich
erklärt: "Im übrigen sei an dieser Stelle daran
erinnert, daß der Artikel 118 der deutschen Reichsverfassung
bekanntlich die freieste der ganzen Welt, folgendermaßen lautet:
Jeder Deutsche hat das Recht, innterhalb der
Schranken der allgemeinen Gsetze seine Meinung durch Wort, Schrift,
Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An
diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhält-nis
hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Recht
Gebrauch macht.
Eine Zensur findet nicht statt.
Quellen:
SPD (Die Liederbücher von Albrecht, dem
Reichbanner und den Falken)
August Albrecht, Jugend-Liederbuch, Berlin, 1924,
Nr. 1c, 1925: Nr. 1c, 1929: Nr. 11, 1930: Nr. 8
alle Hrsg. Verband der Arbeiterjugend-Verein
Deutschlands
Reichsbanner Liederbuch. 1924. Ewald Reincke. Nr.
3; Reichsbanner-Liederbuch, 1925, Nr. 23; Lieder-Buch des Reichsbanners
Schwarz-Rot-Gold. (Bundesvorstand) Berlin, ca. 1926, Nr. 29;
Verfassungs-Lieder. Liederbuch Schwarz-Rot-Gold, Verlag: Paul Schmidt,
Berlin, Nr. 20.
Die Falken singen. Berlin, 1931 Nr. 8
KPD
Kampfgesang 1921 Nr. 37 S. 37 (3 Str.)
Mit Lenin. 50 Kampflieder, 21.-40. Tausend (ca.
1928/29), Nr. 9, S. 6
Siehe auch:
Eckhard John: Brüder zur Sonne, zur Freiheit.
Die unerhörte Geschichte eines Revolutionsliedes. Ch. Links
Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-96289-016-2
„Es wird dringend davor gewarnt, eine vierte
Strophe anzufügen, wie es vielfach „Mode“ ist. Der
gesamte künstlerische und musikalische Aufbau wird dadurch
vernichtet!“
Eine solche vierte Strophe findet sich in dem
„Bundes-Liederbuch des Arbeiter Turn- und Sportbundes, Bearbeitet
von W. Riedel und R. Koppisch“, Leipzig 1928 mit Noten S. 9 in
einer vierten Strophe mit dem Vermerk „4. Strophe in Deutschland
entstanden“:
4. Brecht das Joch der Tyrannen,
die euch so grausam gequält,
schwenket die blutroten Fahnen
über der Arbeiterwelt.
Ein Autor wird nicht erwähnt.
Anders verhält es sich mit dem Liederbuch des
Turnvereins „Fichte“, der 1929/30 die beiden ersten Strophe
von Scherrchen’s „Brüder zur Sonne“
übernahm und dann lediglich schrieb „Der Abdruck des
weiteren Textes dieses Liedes unterbleibt aus den vorstehenden
Gründen.“ Diese vorstehenden Gründe lautete:
„Wir haben diesen Teil unseres Liederbuches
freiwillig selbst zenstiert um eine Beschlanahme desselben durch die
reaktonären Organe der deutschen kapitalistischen Demokratier zu
verhindern.“ Eine Aktion, die aber für unser Lied und dessen
3. Strophe wohl kaum einen Sinn gemacht haben dürfte.
Von dieser Selbstzensurmaßnahme betroffen
waren die Lieder:
Brüder zur Sonne (Nr. 4)
Des Volkes Blut verströmt in Bächen (Nr.
6)1
Feindliche Stürme durchtoben die Lüfte
(Nr. 12)
Sieh durch die Straßen mit festen Schritten
zieht (Nr. 23)
Die Praxis in den Liederbüchern der KPD
Ab der 2. Auflage „Kampflieder“ der
FSJ (Verlag Junge Garde, 21.-40. Tsd., 3 Strophen) ist das Lied in
kommunistischen Liederbüchern unter dem Titel „Russischer
Rotgardistenmarsch“ zu verzeichnen. Ihm folgt 1920 das Liederbuch
der KAPD („Kampfgesang. Proletarische Freiheitslieder“) mit
dem gleichen Titel. Erst 1923 wird unterschieden zwischen dem Titel
„Hymnus“ für das dreistrophige „Brüder zur
Sonne“ und „Russischer Rotgardistenmarsch“ für
das fünfstrophige „Brüder ergreift die Gewehre“
(Kampf-Lieder, Viva, 1923). Das „Neue Kampfliederbuch Rot
Front“ übernimmt 1925 diese Aufteilung. Eine Tatsache, die
häufig zu Irritationen Anlass gab und gibt. Von Verboten betroffen
war vermutlich nur diese Variante, die eigentlich ein
eigenständiges neues Lied darstellte, lediglich mit der gleichen
Melodie. Verbote sind in den Liederbücher (Rot Front. Das neue
Liederbuch mit Noten, 1927, Nr. 10 und Mit Gesang wird
gekämpft’!, 1928, Nr. 9, S. 6) Alle anderen Versionen
betreffen das originale Lied nach Scherchen.
Ein weiteres Lied mit dem Titel
„Rotgardistenmarsch" basiert auf einem Text von Erich
Mühsam und der Musik von Siegfried Köhler (s. Lammel, Lieder
der Partei, Das Lied im Kampf geboren [Heft 10], Leipzig 1961, S.
31ff.).
Rot wallt das Blut, und rot durchglüht uns
Liebe.
In roten Flammen zuckt der Horizont.
Der roten Fahne nach - aus dem Betriebe!
Als rote Kämpfer formen wir die Front.
Genossen, marsch! Wir fürchten nicht
den Tod.
Ihr Proletarier, folgt der Fahne rot!
Nichts ziehn wir aus, um Völker zu bekriegen.
Dem ganzen Erdball unsre Bruderhand!
Ein jedes Volk hilft allen Völkern siegen,
bezwingt's dem Fein in seinem eignen Land.
Genossen, marsch! …