Zeitungsschreiber.
1. Fünfmalhunderttausend Lumpen
Wohnten in dem großen Reich,
Aber ach, die armen Lumpen
Hatten keinen Nahrungszweig.
2. Sprach ein Staatsmann zu den Lumpen:
„Euer Schicksal thut mir leid,
Meinen Beistand sollt Ihr haben,
Seid Ihr mir zum Dienst bereit.
3. Ihr braucht nicht zum Kampf zu ziehen,
Laßt die Waffen nur in Ruh’,
Einer Feder blos bedarf es
Und ein Tintenfaß dazu.
4. Ich plazire in der Presse
Uns’res Vaterlandes Euch,
Und dann müßt Ihr klug belügen
Alles Volk im großen Reich.
5. Ohne eigene Gedanken
Folget meinem Wink getreu,
Lobet Alles, was ich thue,
Sei es immer, was es sei.“
6. Kaum vernahmen es die Lumpen,
Schrieen Alle herzlich froh:
„Du kannst Dich auf uns verlassen,
Wir sind Lumpen comme il faut.“
7. Bald fand man nur Blut und Eisen
In der ganzen Lit’ratur,
Alles Lob und alle Ehre
Galt dem „großen Staatsmann“
nur.
8. Und an weißgedeckten Tafeln,
Nobel in Glace’s und Frack,
Sitzt bei Austern und Champagner,
Jubelnd dieses Lumpenpack.
9. Bei’m Verlangen nach Toasten,
Da erhebt der Eine sich,
Und er spricht mit ernster Stimme:
„Meine Brüder, höret mich.
10. Wir sind Alle echte Lumpen,
Doch ein Höh’rer waltet noch:
Der uns hat so gut plaziret,
Dieser Hohe lebe hoch1“
In dem Liederbuch „Sozialdemokr. Ldb. 12.
Aufl. London 1889, Nr. 54“ heißt es in Strophe 7, Zeile 1:
„Bald fand man des Handels Spuren“
Geschichte / Kommentar:
Das Lied schrieb Max Kegel (von Johann Most mit
dem Kürzel M. K-l. belegt) ein Jahr nach dem Krieg 1870/71 auf
eine Melodie von Graben-Hoffmann und dessen „Hommage“ an
den Champagner, Fünfmalhunderttausend Teufel.
Quellen:
Johann Most (erste Auflage vor 1873), Nr. 54;
Most’s Proletarier Ldb. 5, (Gustav Geilhof),
1875, Nr. 41;
Sozialdemokr. Ldb. 8. Aufl., Zürich, 1885,
Nr. 49;
Sozialdemokr. Ldb. 12. Aufl. London 1889, Nr. 54;
Arbeiter-Liederbuch. 21. Auflage. New-York 1894,
Nr. 36;
Originaltext in:
Verband Deutscher Post- u.
Telegraphen-Assistenten, Liederbuch, Berlin 1898, S. 247
spätere Beachtung:
Werner Hinze, Johann Most und sein Liederbuch.
Warum der Philosoph der Bombe Lieder schrieb und ein Liederbuch
herausgab, Hamburg 2005, Nr. 54, S. 92 u. 96f.