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Unsere Lieder

Zweite ganz umgearbeitete Auflage
Hamburg 1853.
Agentur des Rauhen Hauses.



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Aus der Vorrede zur ersten Auflage

Wer das Büchlein verstehen will, der nehme es als „Unsere Lieder“, und denke sich unter den Rauhhäuslern über 120 Menschen, denen ein ernst und ein fröhlich Lied eine wahre Herzensfreude ist. Wenn die Sonne vom blauen Himmel her so hell und lustig durch’s Grüne scheint, wenn es in den Werkstätten hämmert, hobelt und schnarrt, wenn wir gar heiter und glücklich über die Felder und im schattigen Wandsbecker Holze wandern, wenn der Feierabend im Sommer die Knaben in der schönen Kastanie (sie ist wie ein von Blättern und Aesten erbauter Pallast) sammelt, und sie dann auf den Zweigen schaukeln und in dem hohen Wipfel jubeln, wenn die Mädchen und die geräuschlose arbeit her sitzen oder in ihren Blumengärtchen ihre Herrlichkeiten besehen oder unter den Tannen im Schatten kauern, - dann singt es und klingt es oft aus jeder Brust, und Jeder macht’s so gut er kann. Wer sich die nachstehenden Lieder als die anspruchlosen Zeichen solcher innigen Freude in solch einem Leben in’s Herz klingen läßt, der wird sich mit uns an ihnen freuen, wird sie mit singen und dieses oder jenes derselben mit zu dem seinen machen.

Das ganze Büchlein trägt überhaupt das Zeichen seiner ursprünglichen Bestimmung sehr stark an sich. Es war zunächst nur die Absichte, die von uns hier gesungenen oder zu singenden Lieder für unsern nächsten Hausbedarf zu vervielfältigen. So ist von einem eigentlichen Plan nur wenig zu sehn. Es steht ja Jedem frei, die Lieder zu
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ordnen wie er will und kann. Die Hauptsache ist, daß Jeder singe mit Lust und Freude und zu seinem Liede mache was jener Sänger „in vollen Tönen schlägt“:

Ich singe wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet.

Gute Freunde, die gern einmal ein Lied mit uns singen oder unter uns singen hören, sind die Veranlassung, daß das Büchlein in mehrere Hände kommt, und mögen es nun verantworten, wenn Andere tadeln, daß es geschiehen ist; die ursprüngliche Absicht war nicht die Veröffentlichung.

September 1844



Zur zweiten Auflage.

Die um mehr als 100 Lieder vermehrte Auflage unserer Lieder ist, wie die erst Auflage, lediglich aus dem Bedürfniß unseres Hauses hervorgegangen. Auch diese Auflage würde nicht über dne Kreis unserer Hausgenossen hinausgekommen sein, wenn nicht die weit Verbreitung der ersten es zu einer Art Pflicht gemacht hätte, die vielen dieserwegen gestellten Anforderungen zu befriedigen. Die vorliegende kleine Sammlung macht gar keine Ansprüche, und darf keine machen, aber daß die Vielen und zunächst unsern hiesigen Kindern und Hausgenossen Freude machen wird, dessen ist sie gewiß. Ich gestehe gern, daß es auch mit unter vielen ganz anders gestalteten Arbeiten, wie von jeher, so auch jetzt wieder, eine große Freude gewesen ist, die Dichter und Sänger sich unter uns zu einem so großen, schönen Chor versammeln zu sehen, um uns des deutschen Sang und Klang zu lehren, mit dem der Gott unsers Volkes vor allen andern Völkern das unsrige so reich beschenkt hat. Das unvolksthümliche, gespreizte Wesen der Liedertafeldn, wie diese jetzt gemein beschaffen sind, die Philisterhaftigkeit, mit der in andern Kreisen gerade der Jugend die naturwüchsigen Wurzeln und Blüthen des Gesangslebens abgegraben und abgestreift werden, gleichwie die Zurückhaltung, mit der andere ernster gestimmte Kreise das Lied des Volkes am liebsten auf den Choralgesang be-
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schränken möchten, - fordern freilich Jeden, der dazu Gelegenheit hat auf, das Seine zu thun, daß in immer weiterem Umfange das gesunde, christlich-nationale Element auch im Volksliede wieder zu seinem vollen Rechte komme. Vielleicht erkennt dieser und jener an, daß auch dies Büchlein dazu einen kleinen Beitrag liefern kann; wenigstens wünscht es die Ueberzeugung, daß das Volkslied auch schon im Jugendliede eine sehr hohe Bedeutung hat, zu bethätigen und zu verbreiten. – Das Büchlein ist kein gemachtes, sondern in einer größeren Hausgenossenschaft, zu der jetzt an 200 Menschen gehören, seit 20 Jahren gewachsen und darin selbstgewurzelt. Deswegen ist auch wohl hie und da ein Liedchen geblieben, daß sonst weggelassen wäre.

In dieser zunächst beschränkten Bestimmung des Büchleins war auch die Gränze bei der Auswahl gegeben; der Gesichts- und Lebenskreis der Jugend durfte nicht überschritten werden. Der Kundige wird sehen, daß das Aeußerste der Gränze betreten, aber daß sie nicht übertreten ist. Wem das hie und da doch so scheinen möchte, dem bitten wir, von solchem einzelnen Liede abzusehen.

Von Nr. 127 an steht eine Reich von Liedern ohne Noten; ich wünschte, daß unsere Kinder sie kennen lernten, auch noch ohne sie singen zu können, aber ich hoffe, auch später noch zu manchem derselben schöne Weisen zu erlangen. Wie ein Freund unsers Gesanges mehrere Mendelssohnsche „Lieder ohne Worte“ (s. p. 254ff.) für den vollen Chor mit Texten von Spitta eingerichtet, - ich denke, es werden mit uns Viele Herrn v. Roda dafür Dank wissen, - so bringt und vielleicht ein anderern musikalischer Freund zu diesen Worten ohne Weisen, sowei sie überhaupt singbar sind, ein passende Melodie, für die wir ebenso dankbar sein würden. – Herr v. Roda hat auch die Güte gehabt, die Noten vor dem Druck durchzusehen und mannigfach zu bessern, wofür ich demselben hier meinen herzlichsten Dank sage.

Die melodielosen Lieder bilden zugleich den Uebergang zu einer Reihe von Volks- und Jugendlidern, die überwiegend religiöen Inhaltes sind, wiewohl diese Gattung auch in den vorangehenden keineswegs fehlt. Es war die Absicht, hier ein Auswahl der besten der Art aus älterer und neuerer Zeit zusammenzustellen; Choräle sind an dieser Stelle absichtlich nicht mit aufgenommen, sie gehören nich in diesen engeren Kreis.

Im Ganzen sind wehr viele ein- zwei- und dreistimmige Lieder aufgenommen. Ich habe dabei zunächst unsere hiesigen Kinderfamilien im Auge gehabt; dieselben gebrauchen Lieder, zu deren Durchführung zwölf Kinderstimmen ausreichen. Ebenso habe ich dabei
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an so viele unserer entlassenen Brüder gedacht, die andere Lieder kaum brauchen können, weil ihnen die Männerstimmen in den ihnen anvertrauten Anstalten und Schulen fehlen. Die vollchörigen Stücke fehlen aber in diesem Liederbuche auch nicht, weil sie in unserm Hause, wo an Männerstimmen kein Mangel ist, recht an ihrem Platze sind. Der hiesige volle Chor umfasst außer dem Sopran- und Altstimmen zusammen zwischen 50 und 60 Tenöre und Bässe; derselbe singt Fugen aus Händels Messias und Motetten von Haydn, Michael Bach und andern Meistern. Doch sind in diesem Heft alle diese größeren Singstücke weggeblieben. Dieselben müssten ein zweites, ganz anders gestaltetes Bändchen bilden.

Der Anhang giebt, außer einigen für liturgische Zwecke bestimmten Stücken, nur einige Proben des in unserer Hausgemeinde ganz einheimisch gewordenen vierstimmigen rhythmischen Chorals, die den Wunsch andeuten mögen, daß in der evangelischen Kirche mehr und mehr der Schatz des Chorals gehoben werden möge, den uns ein Winterfeld und Tucher und nach ihnen so viele Andere als ein ächt evangelisches Kirchengut wieder nachgewiesen haben.

Was aber das Ganze der Lieder am letzten Ende will und soll, das sagt die Hirtenflöte in der Hand de guten Hirten auf dem Titelblatt.

Horn im Juni 1853.
Dr. Wichern.

 
 
 
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