Für die Gefangenen
Wenn sich euer Auge labet
an des reichen Sommers Pracht,
wenn in müdem Glanz die Sonne
hell auf euch hernieder lacht;
Wenn ihr durch die Fluren ziehet
und dem Lied der Lerche lauscht,
wenn ihr Blumen pflückt am Wege,
wenn euch kühl der Wald umrauscht;
Wenn ihr von dem Kamm der Berge
froh herniederschaut ins Thal,
und ihr athmet frische und freier
und vergesset Leid und Qual;
So vergesset nicht das Eine:
daß die Freuden der Natur
eure besten Kampfgenossen
im Gefängniß ahnen nur;
Daß für sie des Lenzes Kinder,
seine Blumen nicht geblüht,
daß an ihrem Haupt der Sommer
unbemerkt vorüberzieht;
daß die Waldeslust, die reine,
den Gefang’nen nie erquickt,
daß die Sonne nur verstohlen
manchmal durch sein Fenster blickt;
daß er lebend ist begraben
in dem düstern Kerker dort,
und warum? – weil er gesprochen
für euch all’ ein kühnes Wort.
Dieses dürft ihr nicht vergessen!
Einer trat für Alle ein,
darum Alle auch für Einen
müssen schaffend thätig sein.
Müssen freien Lichtgedanken
brechen in der Menschheit Bahn,
daß die Zukunft überwinde
alter Zeiten dunklen Wahn;
daß recht bald des Herbstes Früchte
reifen, Allen zum Gewinn,
daß hinfort die Frühlingsblumen
auch dem Freiheitskämpfer blühn.