Tord Foleson
1. Sie standen in Norwegs Feld gerüstet zum
Streit;
Die alte gegen die neue Zeit.
Das, was mußt‘ fallen, gegen das, was
besteh’n sollt;
Das, was wollt‘ wachsen, gegen das, was
vergeh’n soll.
2. Da zogen das Schwert sie zur selbigen
Stund‘
Der kühne junge Olaf und der graue Torehunt.
Und der Heerruf erscholl, daß die Erdfesten
dröhnten,
Und die Pfeile schwirrten, und die Spieße
stöhnten.
3. Nun meldet die Sage: Da trug ein tapfrer Mann,
Tord Foleson, Olafs Banner voran.
Von diesem Bannerträger wird man singen und
sagen,
Solang‘ man in Norweg‘ Banner wird
tragen.
4. Denn wie er die tödliche Wunde empfing,
Weit vor in den Kampf mit dem Banner er ging,
Und bevor er fiel: mit der letzten Kraft
Fest in die Erde stieß er den Schaft.
5. Und die alte Sage, sie tut uns kund:
Tord fiel zu Boden, doch das Banner stund!
Und solches soll fürder ein jeder noch wagen,
Der das Freiheitsbanner im Kampf mag tragen.
6. Der Mann mag sinken, wenn das Banner nur steht,
Gleich jenem in Norwegs Feld, wie die Sage geht,
Und das ist das Herrliche, Große auf der
Welt:
Das Banner kann stehen, wenn der Mann auch
fällt.
Geschichte / Kommentar:
Das Lied, dessen Text von Per Sivle (1857-1914)
geschrieben wurde und dessen Melodie Gustav Adolf Uthmann (1867-1920)
schrieb, wurde in den 1920er Jahren erstmals von der KAPD in einem
Liederbuch aufgenommen. Herbert Fuchs schreibt in seiner
Erklärung, das Lied sei „sehr beliebt“ gewesen und
„bei allen Veranstaltungen, auch Geburtstagen und
Jubiläen“ öffentlich gesungen worden. Uns sind
darüber keine Berichte bekannt. Wir haben es nur in
Liederbüchern zu Beginn und zum Ende der 1920er Jahre gefunden.
Das Lied wurde auch nicht in Nachbetrachtungen gewürdigt.
Zur sich dahinter verbergenden Geschichte zitieren
wir Alfred Guttmann:
„Die Geschichte des Tord Foleson ist so
eigenartig, daß sie verdient, ausführlicher behandelt zu
werden: Die in diesem Gedicht beschriebene Sage schildert die Schlacht
bei Stiklestad im nördlichen Norwegen (beim heutigen Drontheim),
in der König Olav am 29. Juli 1030 die nordländischen
Häuptlinge, die unter Tore-hund gegen ihn kämpften, in der
Entscheidungsschlacht angriff und schlug. Man kennt den Tag aus
astronomischen Gründen genau: es fand eine Sonnenfinsternis statt.
So siegte nach hundertjährigem Streit Christentum und
Königsherrschaft über die freien heidnischen Ritter. Olav,
der ‘Heilige’ (zu Lebzeiten allerdings ‚Digre’
d. h. der ‚Dicke’ oder auch der ‚Stämmige’
genannt) fiel in dieser Schlacht. – Die Dichter dieser Ballade,
Per Sivle, lebte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in
Oslo, der Hauptstadt von Norwegen, als Redakteur einer linksgerichteten
Zeitung und als Schriftsteller, der auch einen sozialen Roman,
‚Streik’ betitelt, geschrieben hat. Zeitlebens leidend und
zur Melancholie geneigt, starb er durch Freitod, als ihm die staatliche
Pension, seine Existenzbasis, entzogen werden sollte. Ein sehr starker
nationaler Einschlag kennzeichnet seine Werke, die vielfach der
norwegischen Geschichte entnommen sind, mit der Tendenz, die
Vaterlandsliebe und das streben nach Unabhängigkeit zu steigern.
Man muß sich erinnern, daß damals die ‘Union’
zwischen Norwegen und Schweden bestand und lange Zeit
Bruderkriegsgefahr drohte. –
Im norwegischen Gedicht ist sinngemäß
nicht vom ‚Freiheitsbanner’ sondern vom
‘Zukunftsbanner’ die Rede, das der ‘lichte König
Olav’ in die Dunkelheit des Heidentums bringt. Tatsächlich
war das Volk bis dahin viel eher „frei“ zu nennen als nach
Einsetzung von Königtum und Christentum im Nordland. Erst der
deutsche Uebersetzer (den festzustellen leider nicht gelungen ist) hat
durch die Umwandlung des ‘Zukunftsbanners’ in das
‚Freiheitsbanner’ einen völlig neuen Sinn in die
Ballade hineingetragen und hierdurch ihre allgemeine Verbreitung
begünstigt. –
Die neue Bearbeitung hat wesentlich in das
harmonische Gefüge eingegriffen, ohne jedoch an der
Melodieführung etwas zu ändern, abgesehen vom vorletzten
Takt, dessen Betonung ‚wenn der Mann auch fällt’ den
des Gedichtes ja geradezu auf den Kopf stellt! Der Bearbeiter hat, um
es kurz auszudrücken, versucht, fehlende Harmonien zu
ergänzen, unlogische Harmonien richtig zu stellen, falsche oder
schlechte Harmonien völlig zu ändern. Wie weit ihm das
gelungen ist, muß die Zukunft entscheiden. (Es wird auf alle
Fälle eine Weile dauern, bis sich unsre konservativen
Männerchordirigenten daran gewöhnen werden.) Der Bearbeiter
hat sich bemüht, so gut es ging, hierbei Uthmanns eigene Harmonik
des Chorsatzes thematisch zu verwenden, um dem zweifellos vorhandenen
Schwung und der Erfindungskraft dieses Stückes in der neuen Form
noch besser Geltung zu verschaffen als in dem bisherigen, für den
Fachmann musikalisch außerordentlich peinlichen
Originalsatz.“
Quellen:
KAPD
Kampfgesang. Proletarische Freiheitslieder, Berlin
(Verlag der KAPD), 1920
Kampfgesang 1921 Nr. 28 S. 29
KPD–Umfeld
Arbeiter-Kampfliederbuch. (Paul Schmidt), Berlin
Ca. 1930
SPD–Umfeld
Alfred Guttmann: Vorwort zur Chorsammlung des
Deutschen Arbeiter-Sängerbundes, Männer Chöre. Partitur,
Verlag des DAS, Berlin, 1929, Nr. 27 S. 94ff.
Nachbetrachtungen:
Herbert Fuchs, Wohlan, wer Recht und Wahrheit
achtet … Lieder der Arbeiterbewegung, Hamburg 2006, S.25 u. 53.