Das Lied vom
1.
Leute, hört die große Mordgeschichte,
Die bei uns in Deutschland ist passirt,
hat ein Mann betrieben Weltgeschichte,
Doch die Räder hat er schlecht geschmiert.
2.
Dieser Mann hieß Otto und war Junker
In der trock’nen Brandenburg’schen
Mark,
Außerdem sagt von ihm ein Geflunker,
daß er war in Blut und Eisen stark.
3.
Eine Glatze hatt’ er, mondscheinhelle,
nur drei Haare standen einsam da;
Dieses war die einz’ge Lichtesquelle,
Die von ihm das Volk der Deutschen sah.
4.
Erst wollt’ er die deutsche Einheit
gründen,
Doch er zeigte sich nicht sehr geschickt,
Hat die Deutschen, statt sie zu verbünden,
Mit Zündnadeln schlecht zusamm’
geflickt.
5.
Hat die „Einigkeit“ herausbeschworen
Mittels Bruderkrieges, welch ein Graus!
Schlug die Kleinen tapfer um die Ohren,
Oest’reich schmiß er zu dem Tempel
’naus.
6. In Hannover warf er über’n Haufen
Einen Thron und nahm der Welfen Geld,
Um Reptilien sich dafür zu kaufen,
Die belogen dann die ganze Welt.
7. Nachher kam er über die Franzosen,
Köpfte ihnen ihren Kaiser ab.
Diese thaten sich nicht sehr erbosen,
Zahlten drauf die Milliardengab’.
8. Elsaß-Lothringen, in deutsche Hände
Kam es, ocht’ es wollen oder nicht.
Otto aber, durch die Bismarckspende
Hat des Fechters reichen Lohn gekriegt.
großen Otto.
9.
Nachher mit den Schwarzen und den Juden
Und mit Polen er krakehlte sehr.
Auch die Strafanträge niemals ruhten,
Wenn ihm kam ein Gegner in die Quer’.
10.
Schließlich hat er mit den Sozialisten
Noch begonnen einen harten Strauß,
Doch an ihnen, trotz Gewalt und Listen,
Biß er endlich sich die Zähne aus.
11.
Ob er auch geschmiedet Ausnahmsketten,
Gegen diese war er nur ein Zwerg,
Haupt und Schröder konnten ihn nicht retten,
Die drei Haare standen ihm zu Berg.
12.
als die Wahlschlacht siegreich war geschlagen
Von der sozialistischen Partei,
Ging’s dem großen Otto an den Kragen
Und mit seiner Herrschaft war’s vorbei.
13.
Seht, so mußte aus Berlin nun fort er,
Friedrichsruh ihm stilles Obdach bot,
Hamburgs Nachrichtsblatt nahm als Reporter
Ihn, und so verdient er sich sein Brot.
Moral:
Lern’, o Menschenkind, aus dem Berichte:
Unbesiegbar bleibt der Sozialist,
Und du, spiel’ nicht mit der Weltgeschichte,
Wenn du auch ein „großer
Staatsmann“ bist.
Geschichte / Kommentar:
Max Kegel schrieb dieses Lied im Stile der
Bänkelsänger 1891 auf Otto von Bismarck.
Ähnliche Liedanfänge:
„Leute höret die Geschichte“
(oder „Des Morgens in der vierten Stunde“) Das Robert
Blum-Lied
Leute, hört die grause Mordgeschichte,
Leipziger Mordgeschichte
Quelle:
Liederbücher der Arbeiterbewegung im 19. Jh.
Max Kegel’s Sozialdemokratisches Liederbuch,
Stuttgart, 1891, Nr. 28, S. 44ff.
Arbeiter-Liederbuch. Eine Sammlung
sozialdemokratischer Lieder und Deklamationen. Einunszwanzigste,
bedeutend vermehrte Auflage. New-York 1894, Verlag von Brausewetter
& Benedix, Alt-Bitamo, Druck von William Lehmann, 7. Avenue 596.,
Nr. 24, S. 28.
Max Kegel’s Sozialdemokr. Ldb, (8. Aufl.),
Stuttgart, 1897, Nr. 31, S. 44.