Arbeiterliedarchiv
Lancken
Ein Mädchen für Geld
Ja, in Hamburg, da bin ich gewesen,
in Sammet und in Seide eingehüllt.
Meinen Namen, den darf ich nicht nennen,
denn ich bin ja ein Mädchen für Geld.
Meine Schwester, die tat mir einst schreiben:
Liebe Schwester, ach, kehre doch zurück.
Deine Mutter liegt sterbend im Bette;
sie beweinte ihr unglücklich Kind.
Ich tat meiner Schwester drauf schreiben:
Liebe Schester, ich kehre nicht zurück.
Meine Ehre ist längst schon verkuppelt,
in der Heimat, da find’ ich kein Glück.
Ach, Mutter, ach herzliebste Mutter,
verstoß nicht dein unglücklich Kind!
Unterm Herzen hast einst mich getragen,
für das Gute da ward ich zu blind.
Ja, in Hamburg, da bin ich gewesen,
in Sammet und Seide eingehüllt.
Meinen Namen, den darf ich nicht nennen,
denn ich bin ja ein Mädchen für Geld.
Ich will euch mein Schicksal erzählen
1. Ich will euch mein Schicksal erzählen,
wie mir’s in der Fremde erging.
Meinen Namen den darf ich nicht nennen,
Denn ich war ja ein Mädchen für’s
Geld.
2. In Hamburg, da bin ich gewesen,
In Samt und in Seide gekleid’t.
Meine Ehre, die ist mir genommen,
Denn ich war ja für jeden bereit.
3. Mein Bruder, der hat mir geschrieben:
Liebe Schwester, ach kehr’ nur zurück.
Meine Mutter liegt schwerkrank darnieder
Und beweinet ihr unglücklich Kind.
4. Ach Brüder, ich kann ja nicht kommen,
Ich kehre auch nie mehr zurück.
Meine Ehre, die ist mir genommen.
In der Heimat, da hab’ ich kein glück.
5. Des Nachts, beim Mondenscheine,
In St. Pauli, da kehrten wir ein.
Da gedacht’ ich der Lieben der Heimat,
So ganz, so ganz allein.
6. Was nützet dem König die Krone,
Was nützet dem Seemann sein Grab?
Denn es gibt ja nichts Schön’res auf
Erden
Als in Hamburg ein Mädchen für’s
Geld.
Aus:
Reinhard Olt, Krieg und Sprache. Untersuchungen zu
deutschen Soldatenliedern des Ersten Weltkriegs, Gießen 1980, Bd.
2, Nr. 184, S. 104f.
Traurige Welt
Fordre niemals mein Schicksal zu hören;
Wie traurig war damals die Welt!
Ich ließ mich als Kind schon verführen
Und wurde ein Mädchen fürs Geld.
Ach, Mädchen, hast du schon erfahren,
Wie man’s treibt in jugendlichen Jahren?
Und wie man’s treibt in dunkler Nacht?
Ein solcher Traum viel Freuden hat.
Ich träumt’, ich läg’ auf
grüner Heide,
Ganz voller Unschuld, voller Freude;
Ganz voller Unschuld hingestreckt,
Mit Gras und Blumen zugedeckt.
Ein klares Bächlein hört’ ich
rauschen,
Ein’ hübschen Jüngling sah ich
lauschen:
Ein Jüngling, schön von Angesicht!
Ein’ solchen Traum vergeß ich nicht.
Er kniete sich wohl zu mir nieder;
Er pflückt ein Röslein, steckt es an
mein Mieder.
Er küßt das Röslein,
küßt auch mich:
Ich aber tat, als schlummert’ ich.
Die Unschuld hat er mir genommen;
Ein bleiches Angesicht hab’ ich bekommen;
Ein bleiches Angesicht bekam ja ich,
Da gab er mir den Jungfernstich.
Fordre niemals mein Schicksal zu hören,
Wie traurig war damals die Welt:
Ich ließ mich als Kind schon verführen
Und wurde ein Mädchen fürs Geld.
In Hamburg bin ich gewesen,
In Samt und Seide gekleid’t;
Mein Name, den durft ich nicht nennen;
Denn ich war schon ein Mädchen fürs
Geld.
Aachen, „Antrhopophyteia“
Variante:
Fordre niemals mein Schicksal zu hören,
Wie traurig war damals die Welt!
Ich ließ mich als Kind schon verführen
Und wurde ein Mädchen für Geld.
In Hamburg bin ich gewesen,
In Samt und Seide gekleid’t.
Mein Name, den durft’ ich nicht nennen,
Denn ich war schon ein Mädchen fürs
Geld.
Meine Schwester, die schrieb mir im Briefe:
„Ach, Schwester, ach, kehre zurück!
Deine Mutter liegt weinend zu Bette
Und bedauert ihr elendes Kind.“
„Ach, Schwester, ach lasse das Schreiben!
Ich kehre ja nie mehr zurück.
Meine Ehre, die ist mir genommen;
In der Heimat da find ich kein Glück.“
Des Morgens schon an der Türe,
Des Abends bei Mondenschein,
Da gedacht ich an meine Heimat,
An meine Heimat so ganz allein.
Nach der Heimat will ich jetzt ziehen,
Wo all meine Liebenden sind.
Meine Mutter wird mich nicht verstoßen,
Sie verstößt sonst ihr eigenes Kind.
(„Fordre niemals“ dürfte ein
Druckfehler sein)
Klaus Budzinski u. Hans Reinhard Schatter,
Liederliche Lieder. Erotische Volkslieder aus fünf Jahrhunderten,
München 1967, S. 279f.)
Andere Titel: Hamburger Dirnenlied,
Geschichte / Kommentar:
Die genaue Herkunft des, seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts beliebten aber von Liederbuchautoren meist ignorierten
Liedes „Ja, in Hamburg, da bin ich gewesen“ liegt noch im
dunkeln. Das erste Zeugnis stammt von 1903 aus Hans Ostwalds
Rinnsteinliedern. In seinem Klagecharakter weist es Ähnlichkeiten
zu einigen Soldatenlieder - insbesondere zu dem Lied „Fordere
niemand mein Schicksal zu hören“, was uns die beiden
Parodien, die bei Steinitz erwähnt werden und Klaus Budzinski in
seinen „Liederlichen Liedern beweisen. Interessantes hat auch
Reinhard Ott „in seinen Untersuchungen zu deutschen
Soldatenlieder des Ersten Weltkriegs“ über das Lied zu
Berichten: siehe hier
Die Melodie wurde wahrscheinlich durch den
Gebrauch von Soldaten in Erinnerung an ein anderes Soldatenlied
umgesungen und ist in der neuen Form in den Zwanziger Jahren vielfach
belegt. Ostwalds Melodie klang folgendermaßen: [Hier]
Friedrich Krauss (1859-1938) veröffentlichte
in seinem Buch „Das Geschlechtsleben des deutschen Volkes“
folgende Schilderung:
„Es war im Jahre 1900. Das heute zum
größten Teil niedergelegte, sogenannte Scheunenviertel in
Berlin bildete damals ein Dirnenquartier in Reinkultur, wie für
die Grisetten die Höhen von Montmartre. Ich saß in einer
jener Dirnenkneipen, die von den Mädchen aufgesucht wurden, wenn
der Sittenschutzmann gerade seine Runde machte sowie auch, um sich
für Momente auszuruhen oder etwas zu genießen. Das Lokal war
überfüllt. Alle schimpften über den schlechten
Verdienst. Verschiedene konnten, wie ich aus dem Gespräch, das sie
laut führten entnahm, seit Tagen nicht ihre Miete zusammenbringen.
Plötzlich stimmte irgendeine das eben zitierte Lied an. Es
vergingen nur wenige Takte, und alle sangen mit. Keine des Singens
ungewohnte Stimmen. Sie sangen mit Refrain und waren sichtlich
bemüht, den Gesang möglichst in die Länge zu ziehen.
Dann war alles still. Eine während des Singens gekommene alte Frau
- man sah ihr die berufsmäßige Bettlerin nicht an - trat an
ein Mädchen heran, fing an zu weinen und klagte der Dirne ihr
Leid. Was soll ich weiter ausholen, genug: es dauerte nur wenige
Minuten, und man hatte für die arme Frau ungefähr vierzig
Mark gesammelt. Ich habe gestaunt. Für diese Mädchen
bedeutete das ungeheuer viel. Hatten sie nicht selbst vorhin gesagt,
daß sie ihre Miete nicht zahlen konnten und schließlich, es
waren doch marmites pour dix et quince sous, also Mädchen, die
für den gespendeten Obolus verschiedene Male ihren Körper
preisgeben mußten. Daß aber an dieser
außergewöhnlichen Gutmütigkeit (etwas gutmütig
sind alle Dirnen von Natur) tatsächlich die Stimmung, welche bei
allen durch das Lied hervorgerufen war, schuld hatte, das sollte ich
etwa eine Stunde später erfahren, als ein Mädchen von der
Straße hereinkam und sagte: ‘Kinder, heut’ is aber
jarnischt zu wolln. Un da muß man noch so doow sind, un seine
letzten paar Jroschen wechjeben, bloß weil die dumme Paula immer
mit ihre Lieder kommt’. Alle schwiegen resigniert. Nur eine,
abseits in der Ecke sitzende meinte: ‘Mensch, recht hast; aber
watt soll’n wa machen, man is doch nu mal so’. Eine tiefer
gehende Wirkung dürfte selten ein poetischeres Erzeugnis
hervorrufen.“
Quelle:
Hans Ostwald, Erotische Volkslieder aus
Deutschland, Berlin 1910
Hans Ostwald, Lieder aus dem Rinnstein, 3 Bde.,
Leipzig / Berlin 1903-1907.
Hans Ostwald, Rinnsteinsprache, Berlin 1906
Leo Schidrowitz, Das schamlose Volkslied. Eine
Sammlung erotischer Volkslieder, Wien 1925, S. 131
Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder
demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1962,
S. 58f.
Klaus Budzinski u. Hans Reinhard Schatter,
Liederliche Lieder. Erotische Volkslieder aus fünf Jahrhunderten,
München 1967, S. 279f. (Scherz Verlag)
Reinhard Olt, Krieg und Sprache. Untersuchungen zu
deutschen Soldatenliedern des Ersten Weltkriegs, Gießen 1980, Bd.
2, Nr. 184, S. 104f.
Werner Hinze, Lieder der Straße. Liederbuch
und Lexikon Lesebuch, Hamburg 2002
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