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Arbeiterliedarchiv
Lancken
Weberlied

1.  Hier im Ort ist ein Gericht
Viel schlimmer als die Vehmen,
Wo man nicht gleich ein Urteil spricht
Das Leben schnell zu nehmen.

2.  Hier wird der Mensch langsam gequält,
Hier ist die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt,
Als Zeugen von dem Jammer.

3. Die Herrn Zwanziger die Henker sind,
Die Dierig ihre Schergen
Davon ein Jeder tapfer schindt,
Anstatt was zu verbergen.

4.  Ihr Schurken all, ihr Satansbrut,
Ihr höllischen Dämone
Ihr freßt der Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne.

5. Ihr seid die Quelle aller Not,
Die hier den Armen drücket,
Ihr seids, die ihm das trockne Brot
Noch von dem Munde rücket.

6. Was kümmerts euch, ob arme Leut
Kartoffeln satt könn’ essen,
Wenn ihr nur könnt zu jeder Zeit
Die besten Braten fressen.

7. Kömmt nun ein armer Weber an,
Die Arbeit wird besehen,
Findt sich der kleinste Fehler dran,
Wirds ihm gar schlecht ergehen.

8. Erhält er dann den kargen Lohn
Wird ihm noch abgezogen,
Zeigt ihm die Tür, und Spott und Hohn
Kommt ihm noch nachgeflogen.

9. Hier hilft kein Bitten und kein Flehn,
Umsonst ist alles klagen.
„Gefällts euch nicht, so könnt ihr gehn
Am Hungertuche nagen.“

10. Nun denke man sich diese Not
Und Elend dieser Armen
Zu Haus oft keinen Bissen Brot.
Ist das nicht zum Erbarmen!

11. Erbarmen ha! ein schön Gefühl,
Euch Kannibalen fremde,
Ein jedes kennt schon euer Ziel,
S’ist der Armen Haut und Hemde.

12. O, euer Geld und euer Gut
Das wird dereinst vergehen
Wie Butter an der Sonne Glut.
Wie wirds um euch dann stehen.
13. Wenn ihr dereinst nach dieser Zeit
Nach eurem Freudenleben
Dort dort in jener Ewigkeit
Sollt Rechenschaft abgeben.

14. Doch ha! sie glauben keinen Gott,
Noch weder Höll noch Himmel,
Religion ist nur ihr Spott,
Hält sich ans Weltgetümmel.

15. Ihr fangt stets an zu jeder Zeit
Den Lohn herab zu bringen,
Und andere Schurken sind bereit
Eurem Beispiel nachzuringen.

16. Der Reihe nach folgt Fellmann jetzt
Ganz frech ohn’ alle Bande,
Bei ihm ist auch herabgesetzt
Der Lohn zur wahren Schande.

17. Die Gebrüder Hoferichter hier,
Was soll ich von ihnen sagen,
Geschindet wird hier nach Willkühr,
Um Reichthum nachzujagen.

18. Und hat ja Einer noch den Mut
Die Wahrheit euch zu sagen,
Dann kommt’s so weit, es kostet Blut,
Und den will man verklagen.

19. Herr Kamlot-Langer so genannt
Der wird dabei nicht fehlen,
Einem jeden ist er wohlbekannt,
Viel Lohn mag er nicht zählen.

20. Von euch wird für ein Lumpengeld
Die Ware hingeschmissen,
Was euch dann zum Gewinne fällt,
Wird Armen abgerissen.

21. Sind ja noch welche, die der Schmerz
Der Armen laut beweget,
In deren Busen noch ein Herz
Voll Mitgefühl schläget.

22. Die müssen von der Zeit gedrängt
Auch in das Gleis einlenken
Und eurem Beispiel eingedenk
Sich in jedem Lohn einschränken.

23. Ich frage, wem ist’s wohl bekannt,
Wer sah vor 20 Jahren
Den übermütigen Fabrikant
In Staatskarossen fahren?

24. Sah man wohl dort zu jener Zeit,
Paläste, hocherbauen
mit Thüren, Fenstern prächtig weit,
fast fürstlich anzuschauen.

25. Wer traf wohl da Hauslehrer an
Bei einem Fabrikanten.
In Livreen Kutscher angetan.
Domestiken. Gouvernanten?
Andere Titel:  Das Blutgericht
Text: Unbekannt,
Melodie:
Es liegt ein Schloß,
Noten: Es liegt ein Schloß,
Vorlage:
Kategorie: 1848, Industrialisierung,
Zeit:
Vehmen = Femegericht; Zwanziger = Verlegerfirma in Peterswaldau; Dierig = Verlegerfirma in Langenbielau; Fellmann, Hofrichter, Kamlot-Langer = Verlegerfirmen.
Geschichte / Kommentar: 

Das Weberlied berichtet über einen Aufstand der schlesischen Weber von Peterswaldau und Langenbielau aus dem Jahre 1844. Es liegt in 25 Strophen vor. Zu den frühesten Veröffentlichungen zählt der Abdruck bei Wilhelm Wolff. „Das Elend und der Aufruhr in Schlesien“. In: Deutsches Bürgerbuch für 1845, hrsg. von H. Püttmann. Darmstadt 1845. Das Lied ist nicht nur Geschichte, es hat auch Geschichte gemacht. So hat das Singen des Liedes, das ein gemeinsamen Wollen beschreibt zugleich den schlesischen Weberaufstand mit entfacht.

Die Industrialisierung seit ungefähr den 1830er Jahren machte mit ihrer technischen Entwicklung auch vor der häuslichen Arbeit nicht halt. Besonders betroffen davon war das Textilgewerbe und damit Heimarbeit an den herkömmlichen Spinn- und Webstühlen. Die aus England eingeführten Textilien, die größten Teils bereits auf mechanische Spinn- und Webmaschinen produziert worden waren, waren preiswerter und somit eine existenzielle Bedrohung für die heimischen Weber. In der Folge sanken die Löhne und ganze Regionen verarmten. Es entstand ein gewaltiger sozialer Sprengstoff. Und so war es nur folgerichtig, dass es in den Vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in einigen Gegenden Deutschlands (z. B. in Schlesien) zu Aufständen kam. Vor allem Peterswaldau (25 km östl. v. Waidenburg in Schlesien) war ein Zentrum des Aufstands (1844). Hier ist wohl auch das „Weberlied“ entstanden. Es schildert in 25 Strophen die Lage der armen Weber, das Leben der Fabrikanten und die Behandlung der abhängigen Hausweber. Der Journalist Wilhelm Wolff hat in seinem Bericht über den Weberaufstand auch den Wortlaut des Liedes mitgeteilt. Steinitz erwähnt, daß in einem Aktenband sich eine Abschrift des Liedes befinde, und darunter stehe in Klammern der Zusatz: „So ist dieses Schmähgedicht in Peterswaldau an einem Baum befestigt gefunden worden.“ (Vgl. Wolfgang Steinitz, Band 1, S. 233)

Steinitz zufolge wurde das Lied erstmals von „einem Kampfgefährten“ von Marx und Engels, WIlhelm Woll, „der selbst aus Schlesien stammt, unmittelbar vor dem Aufstand im Webergebiet weilte und über den Weberaufstand einen Aufsatz ‘Das Elend und der Aufruhr in Schlesien’ für das ‘Deutsche Bürgerbuch’ 1845 schrieb“.

Wilhelm Wolff berichtet, wie das Weberlied den Aufstand mit veranlasst hat: „Ein Gedicht, nach der Volksmelodie ,Es liegt ein Schloss in Österreich’ abgefasst und von den Webern gesungen, war gleichsam die Marseillaise der Notleidenden. Sie sangen es zumal vor Zwanzigers Haus wiederholt ab. Einer ward ergriffen, ins Haus genommen, durchgeprügelt und der Ortspolizei überliefert. Endlich, um 2 Uhr nachmittags, dem 4. Juni, trat der Strom über seine Ufer. Eine Schar Weber erschien in Nieder-Peterswaldau und zog auf ihrem Marsche alle Weber aus den Wohnungen rechts und links an sich. Alsdann begaben sie sich nach dem wenig entfernten Kapellenberge und ordneten sich paarweise und rückten so auf das neue Zwanzigersche Wohngebäude los. Sie forderten höheren Lohn und - ein Geschenk! Mit Spott und Drohen schlug man’s ihnen ab. Nun dauerte es nicht lange, so stürmte die Masse in’s Haus, erbrach alle Kammern, Gewölbe, Böden und Keller und zertrümmerte alles ... (Die Unruhen setzen sich fort, Militär wird aufgeboten.) Der Major, welcher Dierigs Haus und seine Truppen immer mehr bedroht sah, ließ Feuer geben. Infolge dreier Gewehrsalven blieben sofort 11 Menschen tot.“ (Nachdem die Truppen auch durch Artillerie verstärkt worden waren, wurde der Aufstand niedergeschlagen.) (ziiert nach: Historische Lieder aus acht Jahrhunderten, S. 82)


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