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Liederbuch
für
FRÖHLICHE  FÄLSCHER


nebst

etlichen weisen Sprüchen, Regeln
und Glossen, Waaren etc.

BERLIN
1878

Emil Jacobsen (Allgemeiner Verein zur Verfälschung von Lebensmitteln),
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Wer nie sein Brot mit Gypsmehl aß,
Wer nie bei schwerspathvollen Klößen
Und kreideschweren Nudeln saß,
Vor dem will ich mein Haupt entblößen,
Ihn fragen, fröhlich im Gemüth,
Woher sein Weib das Mehl bezieht

Emil Jacobsen.


Pro domo

Unverfälschten Handschlag und Gruß den Fälscherbrüdern allerorts zuvor!

Wenn wir in ernster Zeit, die aus uns ein gehetztes Wild machen will, vor Euch mit einem Liederbuch erscheinen, so werden nur die Kleinmüthigen und die minder Gebildeten unter Euch fragen: „Was soll uns dies!“ Euch Anderen aber wir Euer Scharfsinn schon gesagt haben, daß dieses Buch, im Geiste unserer schönen Kunst geschrieben, zum Mittel werden muß, uns über unseren Krach hinweg zu helfen. Oder giebt es ein besseres Fälschungs- und Verdünnungsmittel für den Trübsinn als Lachen und Singen?

Daß unsere Sache endlich siegen wird und muß, sollen einige Worte über den gegenwärtigen Kampf beweisen. Was ist falsch und was ist echt? - wo ist das Sein und wo der Schein allein berechtigt? Idealismus und Pessimismus,
VIII
fälschen sie nicht beide die Wahrheit? Von Muhamed, der Millionen seiner Gläubigen einen Himmel, erfüllt mit fleischlichen Genüssen fälscht, bis zu dem inmitten von Goldhaufen darbenden Geizigen, der sich selbst betrügt; vom uralischen Goldgrubenbesitzer, der auf die Echtheit und Unvergleichlichkeit seines nachgemachten Champagners schwört, weil er acht Rubel für die Flasche zahlte und das Etiquett von der Veuve Cliquot fabelt, bis herb zu dem armen Mütterchen, der die braune Brühe, welche sie aus torfverfälschter Cichorie sie bereitet, köstlicher schmeckt, als der beste Moccaaufguß - sehen wir Fälschungen, die nicht nur das Nützlich mit dem Angenehmen verbinden, sondern bei denen man auch nicht weiß, auf welcher Seite der größere Betrug liegt, und deren Existenz Berechtigung verdient, wenn wir das Wort des Philosophen unterschreiben: Alles was ist, ist auch vernünftig. Die Phantasie fälscht unsern Verstand, die Leidenschaften den rechten (normalen) Gang unseres irdischen Treibens, und doch zucken wir mitleiig die Achseln über phantasie- und leidenschaftslose Menschen. Wir wissen, daß dem Geschwisterpaar Phanasie und Leidenschaft ausschließlich die freien Künste Ursprung und Bestand verdanken, und wenn Auge und Ohr des Kunstkenners beim Hochamt in St. Peters=Dom in Entzücken schwelgen - was Anderes,
IX
als Ablaßzettel schufen all die Pracht! Gäbe es Gerechtigkeit in der Welt, unsere Frage wäre nicht müssig: warum die menschliche Gesellschaft gerade uns ächtet? Wozu der Lärm und Sturm, als stände die Welt vor einem neuen Feinde, wie die Kartoffel vor dem Coloradokäfer, der Weinstock vor der Reblaus?! Schmäht man die Laus als nicht existenzberechtigt, so greift man damit - fragt nur irgend welchen Pfaffen - frevelhaft die göttliche Ordnung der Natur an. Jeder Naturforscher wird den sog. Moralisten beweisen, daß jegliches Thier (und jegliche Pflanze) seinen ihm eigenthümlichen Schmarotzer besitzt, der Freud und Leid mit seinem Wirthe theilt, und ihm nicht nur Lust, sondern auch Vergnügen schafft.1 Und wir, denen der Titel Schmarotzer der Menschheit ein Ehrentitel ist, sollen geringere Berechtigung zum Leben haben, als eine unvernünftige Laus?! Was die Naturwissenschafter aber nicht beantworten könnten, trotz Darwin, ist die Frage: wer ward früher geschaffen, der Schmarotzer oder sein Wirtz? Und ist der Floh im Besitz des Hundes oder der Hund im Besitz des Flohes? - Es beweist dies, daß unsere prähistorisch Existenz unser Recht zu leben historisch gemacht, daß Verjährung ein vermeint-
X
liches Unrecht unseres Daseins in Recht verwandelt hat.

Ist nicht das alte Testament bereits auf unserer Seite? Finden wir nicht schon im 1. Buche Mose Cap. 27 genau angegeben, wie der Erzvater Jakob sich den Segen Isaaks erfälschen durfte? - ungestraft! Denn schon im nächsten Capitel darf er wahrheitsgemäß träumen, daß seine Nachkommen ausgebreitet werden sollen, wie der Staub auf Erden gegen Abend, Morgen, Mitternacht und Mittag - täglich in vier Ausgaben, wie eine große Zeitung!

Auch für Uebervortheilung, welche sich Jakob durch ein Gericht Linsen seinem Bruder Esau gegenüber schuldig machte, würde heute sich ein Paragraph des Strafgesetzbuches auffinden lassen.

Wenn im Laufe der Jahrhunderte das Gefühl für die Berechtigung unserer Kunst innerhalb der menschlichen Gesellschaft verloren ging, so sind wir nicht daran schuld; man müßte uns denn nachweisen können, daß es einen Zeitraum gab, wo unsere Kunst nicht geblüht hätte.

Dies nachzuweisen wird Niemand im Stande sein.

Bei den alten Deutschen gehörte der Kaufmann (Krämer) gleich dem Henker zu den unehrlichen Leuten, weil unsere Vorfahren nicht zu begreifen vermochten, wie Kaufleute ohne Betrug bestehen könnten. Dies spiegelt sich in den deutschen Sprüchwörtern:
XI
Ein Kaufmann sollte wohl seinen eigenen Vater betrügen,
Ein Kaufmann mag schwerlich ohne Sünde handeln,
Man muß entweder Kaufmann oder Dieb sein,
Kaufleut, verschmitzte Leut,
Es ist kein Kaufmann, der nicht Mäusedreck für Pfeffer verkaufen kann

Und das noch heute gültige Sprüchwort

Wer gerne tauscht, täuscht gern,

stammt sicher aus einer Zeit, wo der Gebrauch des Geldes als Tauschmittel sich erst einzubürgern begann. Der Henker konnte zu einem unfähigen Knechte sagen: „Gehe hin, werde ein Krämer, ein Dieb!“

Die fortschreitende Cultur hat den Kaufmann ehrlich gemacht und ihn vom fälschenden Krämer unterschieden, wir aber leben der Hoffnung, de Zukunft werde auch den Fälscher ehrlich machen, wenn auch unter der Bedingung des spartanischen Gesetzes, sich beim Fälschen und betrügen nicht erwischen zu lassen. Soll aber der Fälscher ehrlich gesprochen werden und gleichberechtigt in der Gesellschaft dastehen, so darf er nicht müssig die Hände in den Schoß legen, sondern er muß sich eine solche Stellung durch Arbeit erringen. Er muß mit einem Worte mit den Fortschritten von Kunst und Wissenschaft gleichen Schritt zu halten suchen - er muß Kunstfälscher oder Falschkünstler werden. Das
XII
geistige Proletariat der Fälscherwelt braucht darum immer noch nicht an einem erfolgreichen Kampf ums Dasein zu verzweifeln, ihm bleibt das Heer der Dummen, und wie bekannt, „werden die Dummen nicht alle“. Euch Anderen aber rufen wir zu: Eure Antwort auf Reichsgesundheitsamts- und Polizei-Umtriebe, auf die Angriffe der Chemiker und Vereine, die uns bekämpfen, sei

Die Gründung einer Fälscherakademie.

Wenn gegenwärtig Gevatter Schneider und Handschuhmacher es zur Gründung von Akademien gebracht haben, liegt wahrlich kein Grund vor, daß wir nicht auch eine solche zu Stande bringen könnten. An Lehrkräften wird es nicht fehlen; wir besitzen in allen Zweigen unserer Kunst die vortrefflichsten Vertreter und unsere Lehrkräfte werden den Vorzug vor denen anderer Hochschulen besitzen, zu ihrem Amt geboren und nicht durch Vetternschaft auf ihre Stühle gelangt oder vom Vater zu einem Beruf bestimmt zu sein, zu dem sie kein Talent besitzen. -

Unsere Gabe zur Gründung einer freien internationalen Fälscherakademie sei diese Anregung; Ihr mögt die nöthigen Geldmittel dazu an uns einsenden.2 (2)

Anmerkungen:
1) Siehe v. Beneden, Die Schmarotzer des Thierreichs. Leipzig, Brockhaus 1876.
2) Falsche Kassenscheine und Münzen aus Compositionsmetall könne für diese Zweck nicht verwerthet werden.

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