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Arbeiterliedarchiv
Lancken
im e.V.
Musik von unten
Liederbuch für FRÖHLICHE  FÄLSCHER (8)

S. 22. Alles nur ein Uebergang. 
Verfasser dieses Trostliedes ist der berühmte Erfinder des besten Verfälschungsmittels für Pfeffer, nämlich des entölten Palmkernmehles, mit welcher Erfindung er der ganzen Gewürz-Fälscherwelt zweifellos einen großen Dienst geleistet hat. Unter uns gesagt, hat der Verfasser bei der fünften Strophe seines Gedichtes eine allerliebste Fälschung geleistet, die wie ihm gerne hoch anrechnen wollen. Er mischte nämlich kunstgerecht die beiden Sprüche

„Alles hat seine Zeit“
und
„Duck dich, laß vorübergahn
Das Wetter will seinen Willen han“
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un machte aus salomonischer und altdeutscher Weisheit einen Ausspruch des Moses! Bravo! Ein falsches Citat ziert den ganzen Menschen, sagt Heine. Uebrigens ist auch Strophe vier gefälscht, denn

„Betrogen werden macht Vergnügen,
So gut gewiß als das Betrügen“

sagt Butler, und der Verfasser knetet den Butler’schen Pfefferkuchen nur in eine andere Form. Bravissimo!

Im Uebrigen wissen wir dem Verfasser für seine trostreichen Worte Dank und hegen mit ihm die Ueberzeugung, die Wetter, welche sich heute über unsere Häupter entladen, werden bald ausgetobt haben. Gestrenge Herren regieren ja bekanntlich nicht lange. Unsere Prophezeiung auf gut Wetter ist in Folgendem begründet. Die allgemeine Hetze auf Lebensmittelfälscher ist modern geworden und trägt damit den Stempel der Mode, den baldigen Moder aufgeprägt. Nichts ist wankelmüthiger in Liebe und Haß als der große Haufe. Gebt ihm morgen ein ander Wild, welches zu jagen ihm bequemer und erfolgreicher erscheint, und es lässt von der Hatz auf uns ab. Die Carricatur kommt uns zu Hülfe. Doch sind nicht einmal die modernen Begriffe über das Fälschen der einzelnen Lebensmittel etc. festgestellt, oder die Grade der Berechtigung einzelner Surrogate fixirt, und schon finden sich Superkluge, die entweder Alles verdammen oder Alles be-
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schönigen wollen 2*). Leute sieht man da ferner sich dem verehrten Publikum empfehlen, die vorher sich niemals mit diesen Gegenständen beschäftigt; sie verhochstapeln sich plötzlich als Sachverständige, wittern Unrath in allen Töpfen, sehen Manches für neu und unerhört an, was seit Jahrhunderten von uns geübt wurde, und setzen, von der Wichtig-, Tugendsam- und Heiligkeit ihrer Person durchtränkt, ihrem Publikum so dünne Bettelsuppen vor, daß ein verdorbener Magen und das Bedürfniß nach derberer Kost nicht ausbleiben werden. Zum Erlöschen der Verfolgungsseuche, die jetzt den großen Haufen befallen, wird nicht wenig dazu beitragen, daß der Philister sehr bald müde sein wird, sein gutes Geld für Analysen in die Untersuchungs-Aemter zu tragen. Einmal werden die oft widersprechenden Gutachten der Chemiker den Glauben an deren Ansehbarkeit in’s Wackeln gerathen lassen und die abweichendsten Richtersprüche erzeugen, und wenn, was vorauszusetzen, unsere Thätigkeit während der Hetze von uns zeitweilig auf das kleinste Maaß
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beschränkt werden muß, wird das Publikum, ungeduldig darüber, daß die Chemiker nichts oder zu wenig für’s Geld an Verfälschungen finden, darauf verzichten, freiwillig sich Steuern aufzubürden, die weder Vortheil nach Vergnügen versprechen. Die dem Publikum angepriesene Selbsthülfe wäre im Grunde von uns zu fürchten; doch es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen: zur Selbsthülfe gehören Selbsthelfer. Die Ausdauer, solche heranzubilden, fehlt aber und lässt sich nicht kaufen.

Von anderer Seite ist man bemüht, als unfehlbares Universalmittelchen wider uns die Beschaffung der wichtigsten Lebensbedürfnisse durch die Stadt- und größeren Landgemeinden zu empfehlen und verweist auf das Vorbild städtischer und staatlicher Betriebsstätten: Gasanstalten, Rathsweinkeller, vferner Gemüsebau, Viehzucht und Milchwirthschaft in Verbindung mit städtischer Kanalisirung und Vertiefung. Man wird dadurch das größere zwischen zwei Uebeln wählen, und, indem man unsere Thätigkeit beschränkt – nicht aufhebt – ein neues unter der Condurrenz des staatlichen Gewerbsbetriebes seufzendes Proletariat schaffen und zu nicht geringer Bestürzung plötzlich mitten im Lager der Sozialisten aus dem schönen Traum erwachen.

Der große Haufe hat unsere Macht unterschätzt und geglaubt, es bedürfe heute nur der Einsetzung eines Reichsgesundheitsamtes und morgen schon vermöge dies unsere Thätigkeit lahm zu legen. Als
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das Reichsgesundheitsamt nicht nach Wochen schon uns Schlachten geliefert, weil es ja erst seine Söldner werben und drillen, Kriegsmaterial und Troß herbeischaffen und den Feldzugsplan ausarbeiten mußte, wurde das allzeit schlagfertige Publikum ungeduldig und verlangte nach dem Sedan der Fälscher. Das Reichsgesundheitsamt glaubte nunmehr, unvorsichtig genug, Lebenszeichen seiner kriegerischen Tätigkeit geben zu müssen und einstweilen die Mäuler Derjenigen zu stopfen, auf deren Geldbeutel geklopft werden muß, damit die Armee erhalten bleibe. Es leiß da und dort die Kolben- und Retorten-Batterien seines Laboratoriums auffahren und knallte ein paar abseits unsrer großen Heerhaufen irrende Bundesbrüder nieder. Das war falsch; man hatte die Genügsamkeit der ungeduldigen Schreier unterschätzt; sie wallten Schalchten, nicht einen Wagen voll verwundeter Feinde. Der kleine Familienzwist, der sich darum entspannen, kommt natürlich uns zu Gute. –

Was aus dem großen Feldzuge werden wird? – wer kann es sagen!? Warten wir es ab. Im ungünstigsten Falle wird er unter Proletariat treffen; die klügeren und Vorsichtigeren von uns werden voraussichtlich zu neuen Listen, die Gesetze zu umgehen, angespornt werden und die Geldstrafen nicht zu achten brauchen, denn diese können immer nur in geringem Verhältniß zum Fälscherlohn stehen. – Endlich ist uns auch die neuere Chemie ein Bundesgenosse, denn sie lässt täglich Körper, die bis dahin
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nur die Naur zu schaffen vermochte, künstlich aus ihren Töpfen hervorgehen und verwirrt zum Schrecken aller Philister die Begriffe von kunstproduct und Surrogat. Jeder Fortschritt der Chemie wird auch dem rationellen Fälscher zum Beförderungsmittel seiner schönen Kunst werden.

„Papier van Gelder“


Druck von W. Drugulin in Leipzig




Kurze Anmerkung (von vielen möglichen):
Im Jahr 2018 gingen Meldungen durch die Presse, nach denen in Paprikapulver gemahlene Mauersteine reingemischt werden.


Anmerkungen:
1) Veröffentl. d. Kais. Gesundh.-Amtes 187, Nr. 33
2) *) In Hamburg erklärte z. B. der eine Gelehrte Fälscher bildeten die Ausnahme, ehrliche Leute die Regel, während 1865/66 in Basel um 175 Milchproben nur 18% sich als unverfälscht erwiesen (Löbner, Maßregeln gegen Verfälschungen der Nahrungsmittel, Chemnitz 1877) und in Crefeld kürzlich noch 85% aller dort verkauften Milch sich als getauft erwies (Ind.Blätter 18977, No. 49); ein anderer Hamburger Professor verstieg sich  sogar im öffentlichen Vortrage zu der Behauptung: der Zusatz von Strychnin zum Bier sei ganz unschädlich. Außerdem gewöhne sich der menschliche Organismus mit der Zeit an viele Gifte (Hamburger Zeitung 1877, No. 286). Bravo! Mehr davon!



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